Wir erreichen heute spät Halifax in Nova Scotia. Spät heißt auf See circa 12h mittags. Ich setze das sofort um und schlafe lange… also genau so lange, bis ein fleißiger Matrose unser Kabinenfenster putzt. Dann bin ich wach. Er macht das geräuschlos, aber trotzdem merke ich es und wache auf.
Wir frühstücken mit Blick auf die Küste von Nova Scotia und gehen danach an Deck um das Lotsenboot zu beobachten. Da man sowieso praktisch gar nichts anderes machen kann außer rumschauen, ist man automatisch total entspannt und legt jede Hetze ab. Also uns geht es zumindest so. Einige Herrschaften an Bord sind trotz dem, dass sie genauso wenig machen können, wie wir, total im Stress und haben für gar nichts Zeit oder einen offenen Blick. Sie hetzen umher, kämpfen am Buffett und ärgern sich mehr über alles als dass sie zufrieden sind.
Wir stehen mit den Ferngläsern eine ganze Weile an Deck, halten nach Walen Ausschau und genießen die Sonne. Die scheint unaufhörlich, am Himmel ist keine Wolke zu sehen. Was das Wetter angeht hat der Zeugwart wirklich ein Händchen. Er hat Sonne und fast wolkenlos gebucht und auch bekommen. Wirklich super, ihn kann man diesbezüglich schicken. Zukünftig wird der Zeugwart all unsere Urlaube buchen, beschließe ich klammheimlich. Sein Zutun scheint eine gut-Wetter-Garantie zu sein. Schließlich laufe ich den ganzen Urlaub nur im T-Shirt und in kurzen Hosen durch die Gegend.
Als der Kapitän uns mitteilt, dass wir in Halifax angekommen sind, packen wir unseren Rucksack und betreten kurz darauf zum ersten Mal in diesem Jahr kanadischen Boden. Wie schon in den USA erkenne ich auch hier sofort, in welchem Land wir sind. Die Menschen, der Geruch und das Wie, alles spricht für Kanada.
Weil wir hier schon ein paar mal gewesen sind, machen wir das, was wir anschauen wollen auf eigene Faust. Und da ich weiß was das bei uns bedeutet, ziehe ich gleich meine Laufschuhe inklusive Einlagen an. Das wird sicherlich ein langer Tag. Immerhin haben wir in Manhattan so über 10km auf die Uhr bekommen. Halifax ist zwar kleiner, aber der Zeugwart definitiv nicht weniger motiviert die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten ausgiebig zu durchkämmen.
In Halifax wandeln wir erst mal auf den Spuren der Titanic und ihres Untergangs und schauen uns das Maritime Museum an. Das befindet sich auf dem Boardwalk direkt am Wasser, wo ein Maritimes Museum auch eigentlich hingehört. Es bietet eine beträchtliche Auswahl an geborgenen Unterwasser – Schätzen, die Geschichte der Transatlantikunterwasserverkabelungen und jede Menge Schiffsmodelle. Diese sind allesamt so detaillverliebt gebaut, dass ich ganz erstaunt darüber bin, mit wie viel Liebe jemand ein 4m Schiffsmodell zusammenklebt. Ich würde noch nicht mal eine der Holzplanken richtig platzieren können, ohne dass mir der Kleber überall hängt und die winzige Holzplanke sicherlich nicht an der richtigen Stelle pappt. Hier steht ein Modell der Carpathia , eines der Mauretania und neben einigen hundert Fundstücken an Sextanten, Quadranten (wofür man die nutzte, wo man doch schon Sextanten hatte?), Laternen und  Schiffsarztfläschen und Kisten erblickt man auch das Modell der Titanic.
Das ist eigentlich mein Hauptgrund für diesen Museumsbesuch. Schiffsmodelle, Segelschoner und Tiefseefundstücke interessieren mich für gewöhnlich nicht so sehr. Ich bin an der Titanic, der Geschichte ihrer kurzen Reise und ihrem Untergang sowie der Bergung der wenigen Überlebenden interessiert. Wahrscheinlich bin ich einfach genau so wie 90% aller Museumsbesucher, die her kommen?
Der Titanic-Bereich im zweiten Stock beginnt mit einem Schiffsmodell und einem Löffel. Letzterer ist nicht von der Titanic, soll dem aufmerksamen Besucher aber zeigen, wie wertvoll selbst kleinste Fundstücke bei einem Schiffsunglück für die Nachwelt sind. Der Löffel trägt einen Herstellstempel und wurde im Hafen von Halifax gefunden. Ich habe mir noch nicht mal gemerkt von welchem Schiff er ursprünglich war… so fixiert bin ich also.
Das Titanicmodell, im Vergleich zu den anderen Schiffsmodellen auf diesem Stockwerk, verhältnismäßig klein, zeigt dem Besucher den Weg in den entsprechenden Bereich des Museums. Gleich um die Ecke, hinter Glas empfängt mich ein hölzerner Deckchair, wie ich ihn schon oft in den Verfilmungen gesehen habe. Dieser hier ist echt.
Er wurde von einem der Kabelschiffe, die viele Opfer geborgen haben, mit an Land gebracht. Lediglich die Bespannung war defekt, wurde aber nachgestrickt, nach einem Modell und einer Beispielbespannung, die ebenfalls geborgen wurde. Der Deckchair steht einsam hinter Glas und trägt seine Sternsymbole der White Star Line nach wie vor gut sichtbar mit Stolz. Die anderen Museumsbesucher verstehen offenbar nur die Hälfte der Beschreibungen und so höre ich auf Deutsch jede Menge Nachfragen ob der Stuhl echt sei, ob das in Filmrequisit ist und so weiter.
Direkt gegenüber vom Deckchair wird erklärt, warum der Eisberg so einen beträchtlichen Schaden angerichtet hat, als die Titanic mit ihm kollidiert ist. Das lag wohl am Stahl… der verwendete war nicht ganz so kälteresistent wie ursprünglich vermutet.
Weiter geht es an Deck der Titanic. Die Museumsmacher haben das Deck samt Liegestuhl nachgebaut und laden den Besucher ein, im selbigen Platz zu nehmen. Nachgebaut ist das Deck der 1. Klasse. Die Reling, die Holzbolen und eben der Liegestuhl. Obwohl man nicht draußen ist, kein Wind um die Nase bläst und man die anderen Museumsbesucher gut hören kann, versinke ich kurz und bin an Bord. Das ist wirklich gut gemacht.
Weiter geht es zu drei Durchgucköffnungen, die Einblick in die einzelnen Kabeinenkategorien der Titanic gewähren. Durch die dritte Klasse blickt man durch ein Bullauge, die zweite Klasse ist schon ein Fenster mit Gardinen und durch das Fenster der ersten Klasse schaut man an schweren Vorhängen vorbei auf die Innenausstattung die, zumindest mir, vom Titanicfilm mit Leonardo di Caprio, bekannt vor kommt. Die Unterschiede waren gewaltig.
Offenbar auch beim Rettungsmanöver der Kabelschiffe, auf die hier im Museum ein besonderes Augenmerk gelegt wird. Die waren nämlich in Halifax stationiert und deshalb natürlich für das Musem unter besonderer Beobachtung. Die Zitate der Besatzung belegen, dass zwar alle rumtreibenden Leichen an Bord genommen wurden, die Toten die sichtbar aus der dritten Klasse oder zur Crew gehörten, wurden aber direkt auf See bestattet und nicht mit an Land gebracht. Wenigstens wurden sie katalogisiert und alles was sie bei sich hatten wurde in Jutebeutel verpackt, so dass man als Angehöriger zumindest eine kleine Chance hatte, seinen Toten wiederzuerkennen bzw. Gewissheit zu bekommen.
In der Ausstellung geht es weiter zu Gegenständen der Inneneinrichtung der ersten Klasse. Ein Schränkchen, Holzpaneelen und eine Spiegelumrandung, alles mit Fotos versehen, auf denen markiert ist, welches Holzteil ich jetzt genau vor mir sehe und wo es auf dem Schiff angebracht war. . Das bringt das jeweilige Fundstück noch etwas lebensnaher zur Geltung, als es sowieso schon ist. Der Museumsgestalter hat auch einen Abguß einer Holzpaneele zum anfassen gemacht und direkt neben das Original was hinter Glas gezeigt wird, gehängt. Die Einladung, diese nachgemachte Paneele doch anzufassen wird offenbar unheimlich gerne angenommen, der Abguß glänzt hochpoliert.
Besonders packend und mitreißend finde ich die Geschichte, der Knabenschuhe, die auch hier im Museum einen entsprechenden Platz gefunden hat. Da hier die Originalschuhe des Kindes stehen, sie wurden bei einer Haushaltsauflösung gefunden, wiedererkannt und vom Finder dem Museum gespendet, bekommt die Geschichte hier ein ganz anderes Leben eingehaucht als im Fernsehen. Das Kind, das in den Schuhen im Meer  gefunden wurde, wurde erst vor kurzem identifiziert. Beerdigt wurde es auf Kosten der Crew, die es geborgen hat, in Halifax auf dem Friedhof, als „das unbekannte Kind“. Wie bei allen Leichen wurde auch hier die Kleidung, darunter eben die kleinen Kinderschuhe, die gerade vor mir stehen, katalogisiert und nicht mit beerdigt. Erst vor kurzem wurde herausgefunden, dass der kleine Junge eines von vielen Geschwistern war und keiner seiner Familie überlebt hat. Der Spender der Schuhe hat sie auf dem Dachboden gefunden, sein Opa tat 1912 Dienst auf einem Kabelschiff und barg den kleinen Jungen.
Das Ende der Titanicausstellung ist markiert mit allen Namen der Mitfahrern geschrieben als Welle auf einer Wand. Nur die weißen Namen haben das Unglück überlebt.
Wenn man, so wie ich, weiteres über den Untergang der Titanic erfahren möchte, lohnt sich der Museumsbesuch nicht wirklich. Man weiß heutzutage einfach schon viel zu viel aus Film und Fernsehen, dass ein Museum einem nicht mehr viel zu bieten hat. Die Fundstücke in Natura zu sehen ist nett, aber bietet natürlich keinerlei mehr Erkenntnis oder Aufklärung. Da praktisch jede Geschichte über die Titanic schon erzählt wurde, ist es einfach Irrsinn zu glauben, ein Museum könnte da noch was Neues aus der Kiste zaubern.
Ein weiteres Museumshighlight ist die Abteilung über die große Explosion von Halifax. Kurz nach dem Titanic Unglück  stießen im Hafen von Halifax zwei Schiffe zusammen und die Explosion war so zerstörerisch, dass große Teile der Stadt verwüstet wurden. Dieses Ereignis wird als die größte von Menschen produzierte Explosion vor den Zeiten der Atombombe bezeichnet.
Nachdem wir das Museum verlassen haben, gehen wir auf Shoppingtour in die Spring Street. Wir erkennen ganz viel wieder. Das ist prima, wenn man ankommt und sich schon ein bischen auskennt. Natürlich ist die Innenstadt von Halifax nicht zu vergleichen mit einer Großstadt und so ist die Geschäfsstrasse genauso übersichtlich wie gemütlich.
Am frühen Abend spazieren wir über den Boardwalk zurück zum Schiff.

Dort werden wir, ganz landestypisch für Nova Scotia, von einem Dudelsackspieler empfangen. Nachdem wir ihm gut 30Minuten zugehört haben und dabei den Sonnenuntergang betrachtet haben, ist er der Meinung, er hat genug getan und sucht das Weite. Schade eigentlich… hier paßt das Spiel perfekt hin und ich hätte ihm gerne noch etwas zugehört.