Fehler sind menschlich und sie passieren ständig. Mal sind sie schlimmer als an anderen Tagen und so richtig fehlerfrei ist niemand. Das ist kein Problem und wenn man das weiß, kann man sich eben überlegen, wie man mit so Fehlern umgehen möchte. Ich glaube, mein Fehler heute war das Aufstehen. Alles, was danach kam, hätte ja mit der Vermeidung dieses schweren ersten Fehlers wegfallen können. Alles. Aber es ist nun mal passiert. Ich bin aufgestanden.
 

Nachbarschaftsfreuden

Als Erstes darf ich lesen, dass die Nachbarin findet, mein Auto, was in den Grenzen seines kleinen Parkplatzes parkt, würde zu nah an ihrem Auto dran stehen. Das interessiert mich natürlich brennend, eben weil es ja genau in seinen Parkplatzbegrenzungen steht. Aber schön, dass die Nachbarin gerne Zettel schreibt. Sie wirft mir außerdem, wunderbar in einem Nebensatz versteckt, noch vor, dass ich keinen rechten Überblick beim Autofahren habe und sie mir das aber bisher nicht sagen wollte. Gut. Auch darüber bin ich nun informiert. Und denke mir meinen Teil. Das ist besser, als etwas zu antworten. Die Nachbarin käme damit nicht gut zurecht und dem Weltfrieden würde es auch nichts Nennenswertes bringen. Also lasse ich es. Wahrscheinlich ist es auch in diesem Fall, wie so oft, eh so, dass das Schweigen die Verursacherin noch am allermeisten fuchsen wird. Ich werde es ja dann erleben.

 

Der Aufstehfehler 

Gut und weil Fehler eben menschlich sind, fahren wir heute zum Core Sportclub in Darmstadt. Sicherlich kein Fehler vom Prinzip her, aber irgendwie ist mir, wie so oft, wenn ich herfahre, einfach mulmig zumute. Heute ist Kenneth da. Das hat der Coach mir gesagt. Kenneth ist unnachgiebig. Und als wir rein kommen sitzt Conny auf der Bank und wartet auf ihr Training. Obwohl ich besser erst mal prüfe, ob sie nicht vielleicht ihr Training schon hinter sich hat. Ist aber nicht so. Sie wartet. Und wieder weiß ich, dass das Aufstehen heute sicherlich Fehler Nummer 1 war. Das Training heute wird sicherlich so richtig anstrengend. Wenn Conny mitmacht, ist mir das ja schon glasklar. Immerhin kommt sie nicht her, um Kindergeburtstag zu feiern.

Während ein schrecklich fitter Mann, den ich noch niemals vorher gesehen habe, der aber in seinem grünen Shirt dank der ausgeprägten Muskulatur und der unmissverständlichen Anordnungen, die er gibt, ganz klar der Hulk ist, die Gruppe die gerade turnt vom feinsten scheucht, wischt Kenneth die Tafel. Das Tafel wischen hat im Sportclub immer zwei Seiten. Meistens ist die anstrengendere Seite die, die mehr Sichtbarkeit hat. Ich habe das Gefühl, wenn etwas weg gewischt wird, wird niemals eine leichtere Übung angeschrieben. Es wird nur schwerer. Immer. Scheint eine Regel zu sein?

Sportprogramm an der Tafel

Kenneth wischt also und schreibt auf. Ich lese mit, einfach deshalb, weil ich von Hulk abgelenkt werden möchte. Der quält die Turner vor meinen Augen dermaßen, dass ich Muskelkater vom Zuschauen bekomme und weiß, bleibt Hulk heute hier, ist da nichts mit „kein Bauch anspannen“ oder „kein Po fest“. Hulk sieht alles. Er macht mir Angst. Kenneth schreibt. Zum warm machen 5Minuten mit einem Sandsack von beliebigem Gewicht aus dem Liegen aufstehen und wieder hinlegen. Am Stück. Aha. Der Zeugwart wird blass. Ich denke mir, dass ich ja auch langsam machen kann und es deshalb nicht ganz so schlimm werden muß. Warm werde ich dabei aber auf alle Fälle. Soviel ist sicher.

Als Nächstes sollen wir 8 Runden absolvieren und dabei verschiedenste Übungen turnen. Gewichte im Knien über den Kopf stemmen, Kniebeugen und Ausfallschritte springen, Schlitten schieben, an einem Seil hochklettern und lächeln. Lächeln steht natürlich nicht dabei, aber bei dieser Übungsabfolge stelle ich mir so vor, dass das Lächeln dabei am schwierigsten sein dürfte. Am Seil hochklettern und die Decke berühren ist das, was mich an dieser Übungsabfolge am meisten fasziniert. Ich komme wirklich kaum drüber weg und bin mir sicher, dass mein Leben mit dem heutigen Tag ein jähes Ende findet.

Dass mein Ende mit einem Seil zu tun haben könnte, war mir nicht klar. Aber gut. Ich denke zurück an Fehler Nummer 1 und hoffe inständig, dass ich noch eine Chance bekomme und heute den Sportclub lebend verlassen kann.

Unnötig zu erwähnen, dass Conny bei uns mitturnt und mich bereits bei den ersten Kniebeugen weit hinter sich lässt. Auch die anderen Fitten, die für diesen Kurs als Teilnehmer angemeldet sind, liegen vorne. Das bedeutet, ich mache noch immer meine Kniebeugen, während vor meiner Nase schon ein Metallschlitten, der schrecklich leicht aussieht, einmal quer durch den Raum geschoben wird. Der Metallschlitten ist fies. Außerdem wird er direkt durch den Hulk überwacht. Das ist zweimal fies. Ich habe keine Ahnung wie schwer dieser Metallschlitten ist, aber bis zur Wendemarke ist es weit und auf dem Rückweg wird der Schlitten sogar noch eine Ecke schwerer als auf dem Hinweg. Ehrlich. Ich bin fix und fertig und überlege, ob ich mich um die Weihnachtszeit nicht als Rentier bewerben könnte. Viel schwerer kann Santa Claus wirklich nicht sein.

Am Seil mache ich die Babyvariante, hänge schrecklich durch, versuche zu lächeln und schaffe meist nur die Übersprungshandlung und lache herzlich. Einfach deshalb, weil ich mich hier so halb hochziehe, während die Fitten wie die Affen an den Seilen hoch zur Decke sprinten und wieder hinabgleiten. Fitte wohnen ohne Treppen. Sie haben Seile stattdessen. Obwohl das auch nicht sein kann, denn in den Bankhochgehern sind die Fitten ja auch schrecklich gut dabei.

Die Fitten sind ein Mysterium.

Als der Hulk zusätzliche Gewichte auf die Schlitten packen will, bin ich mit meinen gesprungenen Kniebeugen auf einmal so schnell, dass ich noch einen ohne Gewicht ergattere. Man muss auch einfach mal Glück haben. Ich bin dankbar, dass die Fitten so schnell sind, denn so bleiben mir zwei Runden erspart. Kenneth ordnet an, dass ich nur noch eine Runde zu absolvieren hätte. Ich schnaufe wie eine alte Dampfwalze, bin sicher, dass der komplette Raum sich fragt, warum ich eigentlich hier bin und versuche so unauffällig zu wirken, dass der Hulk oder Kenneth mich kaum bemerken. Es ist ohne ihr waches Augenmerk schon anstrengend genug.

Die nächste Übungsabfolge hat was mit Halten zu tun. Gehaltene Liegestütz. Und da passiert es auch schon. Ich mache ganz furchtbar toll gehaltene Liegestütz, weil ich das daheim ja auch immer übe. Und dann treffen mich die Blicke. Die zwei Helden müssen nichts sagen, ich merke die Blicke sofort. Und als ich dann auch noch gefragt werde, was ich da mache, weiß ich, dass das Kind genau jetzt in den Brunnen gefallen ist. Nichts wird mehr so sein, wie es mal war.

Mein Po gehört angespannt.

Und so ist es dann auch. Der Hulk schmeißt sich auf den Boden und macht vor und Kenneth sagt, dass ich mal meinen Po anspannen soll. Puh. Genug Po ist ja eigentlich da. Er hat wirklich recht. Angespannt war der auch nicht wirklich. Die sehen alles. So ist das mit Superhelden. Denen bleibt nichts verborgen. Die zwei Runden von jeweils 50 Wiederholungen pro Seite, die wir zu guter Letzt seitlich liegend, mit den oben liegenden Beinen und mit den oben liegenden Armen machen müssen, kommen mir als krönender Abschluss gerade gelegen. Das 1,25 kg Gewicht, auf dem Kenneth besteht, sorgt bei meinem Arm ganz sicher für den schlimmsten Muskelkater seit langem. Aber Kenneth ist unnachgiebig und ich hoffe wirklich, dass der Hulk nicht noch mehr schaut und entdeckt.

Die zwei sind zusammen halt auch doppelt fies. Superhelden unter sich. Das ist wie bei den Fantastic 4 oder wie bei Batman und Robin. Gemeinsam sind sie einfach noch mal stärker als sie alleine eh schon sind. Nachdem mein Pomuskel unmissverständlich mitteilt, wie er diese Abschlussrunde findet und meine Arme nur noch bedingt fähig sein werden, die Duschgelflasche zu öffnen, sind wir mit dem Workout fertig.

Nasse Nachbetrachtungen 

Der vorwurfsvolle Blick des Zeugwarts spricht Bände und ich weiß, was er denkt und wie er sich fühlt. Und ich weiß auch, dass der Hulk und Kenneth sicherlich sehr zufrieden sind. Ich selbst weiß gar nicht so genau wo ich eigentlich bin und hoffe nur darauf, dass ich es gleich schaffe meine Klamotten auszuziehen, zu duschen und mich dann wieder anzuziehen. Das Auto kennt ja den Weg heim, darum muss ich mich nicht sorgen.

Und wie ich da so stehe, das Shirt nasser als es aus der Waschmaschine rauskommt, und meine Flasche gierig austrinke, sagt mir eine der Fitten, dass es doch prima war und sie sich soviel Mühe gegeben hat, damit ich mich nicht als Unfitteste fühle. Da sieht man mal wieder, dass Frauen ihr Licht grundsätzlich unter den Scheffel stellen. Ein Mann hätte das niemals gesagt. Frauen haben eben oftmals ein vollkommen anderes Eigenbild, als sie andere sehen. Die Fitte ist nämlich prima mitgekommen und hat es keinesfalls geschafft, dass ich mich nicht als Unfittestes gefühlt habe. Aber das bleibt unter uns.

Denn darauf kommt es auch nicht an. Wichtig ist: ich lebe noch. Mein Schweinehund hat heute mal wieder ordentlich das Körbchen gezeigt bekommen.

Und als wir nach Hause fahren, sehen wir, wie der Hulk sich sein nächstes Opfer gesucht hat… jetzt ist Kenneth dran. Und obwohl der einfach nur aus Kraft besteht, habe ich doch ein bisschen Mitleid mit ihm. Weil der Hulk sich die Unnachgiebigkeit von ihm abgeschaut hat und sie gleich an ihm übt. Und weil ich keinen, und so auch das Kraftpaket Kenneth nicht, leiden sehen kann, fahren der Zeugwart und ich nach Hause und fallen sofort ins Bett.