Nachdem unsere Radfahrverabredungen heute länger schlafen wollen, als wir, starten der Zeugwart und ich alleine bei der RTF in Jügesheim. Der Flitzer, fast wie Superman, fährt sogar noch früher los als wir, so dass wir die Vereinsflagge über eine ordentliche Zeit auf der Strecke hochhalten werden. Da der Start der RTF in Jügesheim nicht wirklich weit von uns daheim entfernt ist, starten wir von daheim.

Der Wettergott plant für heute ordentlich Sonne, da wir aber Frühaufsteher sind, habe ich statt kurz/kurz auch noch meine Armlinge und eine Windweste an. Schon auf dem Weg zum Start wird mir allerdings gut warm und ich bin froh, dass ich mich mehr eingemummelt habe. Es wird heute sicherlich noch wärmer, auch wenn uns die Radausfahrt in den Odenwald führen wird. Heißt ja immerhin „Odenwald Klassiker“ oder so ähnlich, da kann man schon was erwarten.

Tacho im Blick

Im Startkarten ausfüllen bin ich schon mal vorne, so schnell wie ich da unsere Namen und Anschrift drauf schreibe, bin ich über mich selbst überrascht. Wir bekommen unsere Startnummern und dann gibt es auch schon den Startstempel und wir sind auf der Strecke. Um uns rum lauter andere Radfahrer, die wir aber recht zügig abhängen. Da wir schon warmgefahren sind, müssen wir nicht erst langsam rein kommen und so mache ich gleich so weiter, wie wir hergefahren sind. Der Tacho ist immer über 32km/h. Immerhin kommen ja noch Berge und da werde ich ja automatisch langsamer… warum also jetzt rumbummeln?

Wir fahren für meine Beine nicht zu flott und zum ersten Mal in der Geschichte der RTF  Teilnahmen kommt es vor, dass ich zahlreiche Leute überhole. Ich fühle mich stark, wie Superman. Wie das genau kommt, weiß ich nicht, führe es aber eindeutig auf den Trainer von iQ Athletik zurück, denn ohne ihn würde ich ja niemals so trainieren, wie ich es tue. Ich wußte gar nicht, wie ich man jemanden überholt, weil das bisher nicht zu meinem Repertoire gehört hat. Ich wurde überholt. Fertig. Es gab keine Gelegenheiten selbst jemanden zu überholen, weil schlichtweg keiner noch langsamer als ich unterwegs gewesen ist.

Heute ist es anders.

Und keiner weiß warum. Ich überhole sogar einige Male den Zeugwart und lasse ihn, ganz wie es sich gehört, dann auch recht weit hinter mir. Unbeabsichtigt. Wir ziehen so gemeinsam über die Strecke, bis der erste Anstieg kommt. Den sehe ich kommen und schalte entsprechend, was ziemlich cool ist, denn das passiert nicht so häufig. Ein Herr mit dem Tour de France Bergtrikot zieht an mir vorbei, als würde ich stehen, aber mit 11km/h fahre ich schneller hier hoch als beim letzten Mal, als ich hier war, und kann oben auch flott wieder schwerer schalten um aufzuschließen. Der Zeugwart ist nämlich weit vorne. Berge scheinen sein Spezialgebiet! Als wir den Berg wieder runtergeschossen sind, ist auch gleich der erste Kontrollpunkt und nach dem Stempel kann ich flott wieder aufsitzen und weiterfahren. Herrlich, dieses Gefühl wirklich keine Pause zu brauchen!

Nachdem ich heute früh noch einen Artikel über das Radrennen Paris – Roubaix gelesen habe und die extreme Kopfsteinpflasterpassage, trifft es sich, dass die Strecke dieser RTF über eine eben solche verfügt. Glücklicherweise nicht in gleicher Länge wie beim Radrennen, aber deshalb heißt es ja hier auch RTF und es gibt auch keine Zeitnahme.

Paris - Roubaix

Genau wie es im Artikel aus dem vergangenen Jahr geschrieben steht, geht die Passage ordentlich in die Arme und man wackelt förmlich noch etwas nach, auch wenn das Kopfsteinpflaster bereits vorbei ist. Wie auf einem Schiff, wenn man die Wellen noch in den Beinen spürt, obwohl man längst wieder an Land ist.

Auf dem Auflieger übe ich heute die tiefe Sitzposition, das Schalten und genieße dabei noch ein bisschen die Landschaft, ehe es in Dorndiel dann zum zweiten Mal hoch geht. Hier war ich auch schon mal, so dass ich wieder einen Vergleich fahren kann. Ich bin 4km/h schneller als das letzte Mal. Und weil der Zeugwart auf mich am Waldparkplatz oben wartet, trinke ich da einen Schluck und schon kann es weitergehen. Ich überhole alle, die ich am Berg schon überholt habe und die dank der Waldparkplatzpause jetzt an uns vorbei sind und wir fahren wieder in der angenehmen 32-33km/h Geschwindigkeit.

Und es läuft einfach so.

Was es bislang noch nie getan hat. Ich bin verwirrt. Vor allem, als ich auf den Tacho schaue und feststelle, dass wir bereits weit über die Hälfte der Strecke hinter uns haben. Fühlt sich gar nicht so an. Ich mache zur Sicherheit noch einen kurzen Ganzkörpercheck, vielleicht übersehe bzw. überfühle ich ja was? Aber nein, alles ist im grünen Bereich und Arme sowie Beine melden, dass alles prima ist. Was will man mehr?

Wir erreichen den letzten Kontrollpunkt für mich vollkommen überraschend und nach einem Stempel und dem Auffüllen eines Schlucks Wasser in meiner Flasche, geht es auch schon weiter. Um uns rum fahren schon den ganzen Tag die gleichen Athleten. Zwei Mountainbikefahrer sind seit einiger Zeit etwas hinter uns, ein Herr im orangefarbenen Anorak fährt immer in passabler Sichtweite vor uns her und jetzt schließt sich noch eine kleine Gruppe an. Die Ansage des Zeugwarts lautet, ich soll den Orangen einkassieren, also ziehe ich etwas an und gebe mir Mühe. Das wäre früher nicht vorstellbar gewesen.

Ich fahre also mit erhöhter Geschwindigkeit und gebe mir redlich Mühe an den Orangen ranzufahren, da biegen wir ab und haben ab sofort Gegenwind. Da wir den alle haben, ist das nicht so schlimm, aber mich macht der jetzt natürlich langsam. Das stört die Mountainbikefahrer und sie überholen. Also unfassbar, was die Beiden für eine Geschwindigkeit fahren, mit Mountainbikes! Wir fahren in einer Gruppe, der Orange führt und haben 35km/h auf dem Tacho. Das müssen Superhelden sein. Halt auf Mountainbikes, aber ist ja egal, wie sich Superman und Batman fortbewegen. Ganz offensichtlich brauchten die Beiden heute mal Abwechslung! Ich kann es kaum glauben, dass wir hier tatsächlich ein Duell was Geschichte schrieb und sogar für einen Kinofilm tauglich war leibhaftig miterleben, aber Superman vs. Batman findet direkt vor meiner Nase statt. Und weil mir 35km/h als Geschwindigkeit bis zum Kuchen absolut ausreichen, überholen wir nicht, sondern üben uns in der Superheldverfolgung. Immer Superman im Blick geht’s wie von selbst.

Kompliment

Und ehe ich mir überlegen kann, ob ich doch noch mal vorbeiziehen soll, sind wir auch schon am Start/ Ziel angekommen. Das ging ja schnell. Generell, kommt es mir gar nicht so vor, als hätten wir schon 85km auf der Uhr. Aber der Tacho lügt nicht. Und als ich meine Uhr stoppe, hält neben mir eine durchtrainiert aussehende Dame mit schickem Fahrrad und bedankt sich. Sie hätte sich rangehängt und versucht mitzuhalten. Ich hätte sie toll gezogen und nur die letzten Meter hätte sie dann abreissen lassen müssen. Müssen? Ich bin baff. Das ist mir ja noch nie passiert. Die Frau wirkt extrem sportlich und bedankt sich bei mir? Ein tolles Kompliment.

An der Startnummernrückgabe treffe ich noch einen Herren im Movistaroutfit. Ich muß sofort an die Hübsche denken und an unsere gemeinsame Meisterleitung auf Mallorca. Also mache ich mit dem Herren noch ein Bild und schicke es ihr. Die Reaktion ist wie erwartet.

Erfreulicherweise hat eine fleißige Vereinsbäckerin an der Kuchentheke für Streuselkuchen gesorgt, so dass der Zeugwart und ich uns samt Kuchen in der Sonne platzieren können und erst mal ein Stück Kuchen vernichten. Wir sitzen genau hinter Superman und beiden Superhelden mache ich ebenfalls ein Kompliment. Und wie es bei Superhelden so ist, stapeln sie tief. So sind Superman und Batman eben. Wir fahren die kurze Strecke noch flott bis heim und haben 97km mit einem 27er Schnitt auf der Uhr.