Immer wieder Sonntags fahren wir mit den Männern Rad. Heute habe ich darauf Wert gelegt, dass wir locker unterwegs sind, weil ich schon gestern, bei der Radausfahrt vom Ironman 70.3 Wiesbaden frühzeitig schlapp gemacht habe, und nicht mithalten konnte. Mit dem ursprünglich groß angekündigten Strum auf die Platte ist es ja bekanntlich nichts geworden. Heute hat der Trainer also locker und langsam in den Plan geschrieben und die Männer haben  zugestimmt, dass es sowieso genau das wäre, was sie eh heute vor hätten. Na was soll da noch schief gehen?

Das Wetter ist klasse und wir sind zeitig am Treffpunkt. Heute fahren wir locker flach in Richtung Rhein und das ganze ab Neu-Isenburg. Ich bin ganz zuversichtlich, weil ich die Strecke kenne, hier führt nämlich jährlich auch eine RTF entlang, die wir schon ein paar mal gefahren sind. Wir fahren zwar nicht 100% die RTF Strecke, aber ähnlich ist es doch. Besonders am Rheindamm entlang, wo wir noch einen Einheimischen nach dem Weg fragen „läuft es wie die Sau“. Genau so drückt er sich nämlich aus. Das nenne ich mal Ortskenntnis.

An der Rheinfähre haben wir 47km auf der Uhr und genehmigen uns eine Pause. Der Schnitt ist trotz der lockeren Fahransage deutlich flotter, als ich es erwartet hätte. Allerdings passt mein Puls und wieder einmal ist klar, dass ich ganz offenbar einfach keine trainierte Bergziege bin. Wir fahren locker zurück nach Hause bzw. in Richtung Neu-Isenburg, denn da steht unser Auto.

Auf einmal

Leider passiert plötzlich ein Unfall und mein Leben ändert sich erneut von „fit und gesund“ zu „wer ruft den Rettungswagen“. Ich überschlage mich mehrfach und bleibe verletzt auf dem Asphalt liegen. Nach einigen Minuten, die uns wirklich lange vorkommen, trifft ein Rettungswagen ein. Im Gegensatz zu meinem letzten Radunfall bin ich die ganze Zeit bei Bewusstsein. Mir tut meine Schulter weh, mein Becken und mein Rücken. Ich habe außerdem Schwierigkeiten zu atmen. Die Sanitäter, von denen ich irgendwie nur einen wirklich wahrnehme, sind sehr nett und lassen den Zeugwart mitfahren. Die Männer kümmern sich netterweise um unsere Räder und Helme und so hat der Zeugwart nur eine wirkliche Sorge: Mich.

Nicht schon wieder, denken wir wahrscheinlich beide, wobei mir alle gleich versichern, dass mein Gesicht heute nicht betroffen ist. Mit ordentlich Rumgewackel fährt mich der Rettungswagen in die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses in Groß – Gerau. Ich spüre jede Bodenwelle im Brustkorb. Im Krankenhaus werde ich in einer Garage mit Rolltor ausgeladen und in den leeren Krankenhausflur geschoben. Für einen Sonntagnachmittag ist hier wirklich wenig los. Erstaunlich, aber natürlich gut für mich. Meine Schulter, mein Ellbogen, mein Becken und mein Rücken tut mir weh. Aus der Erfahrung vom letzten Unfall erwähne ich auch gleich alles, damit nichts vergessen geht und ich nicht, wie mit meinem Knie, einen weiteren Dauerschaden riskiere, weil etwas als nicht so relevant eingestuft wird.

Notaufnahme – der erste Versuch

Die Diensthabende Ärztin prüft die äußeren Verletzungen und schickt mich mit dem Zeugwart zum röntgen. Zusammen mit der Röntgenfrau hievt der Zeugwart mich in die entsprechend notwendigen Positionen und dann geht’s zurück nach unten in die Notaufnahme. Mein Becken und mein Schlüsselbein inkl. Ellbogen wurden durchleuchtet. Erfreulicherweise hat mein Becken nichts, außer einer tiefen Schürfwunde und einem ordentlichen blauen Fleck. Mein Schlüsselbein ist gebrochen und mein Ellbogen soweit man es jetzt sehen kann, ebenfalls. Im Röntgen sollte ich ihn nicht gerade machen, das wäre aber laut Ärztin notwendig gewesen um einen Bruch eineindeutig festzustellen. Noch mal hoch schicken tut sie mich nicht. Ob gebrochen oder nicht, jetzt sofort passiert eh nichts.

Meine Schmerzen im Brustkorb und im Rücken kommen vom Aufprall und selbst wenn eine Rippe gebrochen, angebrochen oder geprellt  wäre, könnte man hier sowieso nichts machen. Rippen werden nicht gegipst. Mit einem Schlingenkonstrukt, zur Ruhigstellung meines Schlüsselbeins und des Ellbogens sowie eingehüllt in ein OP Hemdchen des Kreiskrankenhauses, weil das Schlingenkonstrukt auf nackter Haut getragen werden soll, werden wir nach Hause entlassen. Operiert wird so eine Schlüsselbeinfraktur erst, wenn die Schürfwunden gut verheilt sind, wegen der Infektionsgefahr.

Einer unserer Mitfahrer sammelt uns ein und fährt uns zurück nach Neu-Isenburg. Die frohe Botschaft hat sich mittlerweile schon ganz gut verteilt. Dank WhatsApp habe ich auch bereits Kontakt zu unserem fliegenden Freund, der weitreichende Kontakte in die BGU in Frankfurt hat. Ich erhoffe mir, in einem Telefonat, dass er mir zügig einen OP Termin im Unfallkrankenhaus besorgen kann. Als Kassenpatient ist das ansonsten sicherlich nicht ganz so einfach, stelle ich mir vor, ohne damit Erfahrung zu haben.

Notaufnahme – der zweite Versuch

Der fliegende Freund schickt uns allerdings sofort in die BGU. Gleich jetzt. Er duldet auch nicht, dass ich gerne erst mal duschen würde und wir uns unseren Sonntag eigentlich anders vorgestellt haben. Er besteht darauf. Der Zeugwart soll das Auto sofort umdrehen und in die BGU fahren. Sofort. Unfassbar, wie vehement er darauf besteht, aber gut. Er kennt sich aus. Jahrelang war er selbst im Rettungsdienst, da will ich ihm jetzt mal nicht vorwerfen, dass er keine Ahnung hat. Auch wenn wir laut der behandelnden Ärztin in Groß-Gerau ruhig heim fahren könnten.

Wir fahren in die zweite Notaufnahme des heutigen Tages. Die der BGU in Frankfurt. Hier falle ich natürlich auf, mit meinem Geisterhemdchen, dass auch noch groß die Aufschrift des anderen Krankenhauses zeigt. Warum ich für eine Zweitmeinung am Wochenende anreisen würde und dass Notfälle selbstverständlich vorrangig behandelt werden, erfahre ich gleich am Empfang der Notaufnahme. Ich bin ja erstversorgt, sagt die euphorische Mitarbeiterin und dass ich mich jetzt auf eine lange Wartezeit einrichten könnte. Dass sie mich ja gerne wieder wegschicken könnte, sage ich ihr und soll daraufhin warten.

Der Zeugwart und ich nehmen im Warteraum Platz und ich werde zwei Minuten später aufgerufen. Ein Omen vielleicht, weil Notfälle vorrangig versorgt werden? Die Ärztin, der ich meine Geschichte erzähle, ist erstaunt, dass mein Thorax nicht geröntgt wurde. Sie nimmt mich per Judogriff in die Mangel, stellt fest, dass an meinem Brustkorb auch was kaputt sein könnte und schickt mich zum röntgen. Meinen Ellbogen untersucht sie und teilt mit, dass ein gebrochener Ellbogen sich niemals so toll bewegen lassen würde. Eine Sorge weniger. Wunderbar. Der Besuch hat sich schon gelohnt.

Beim röntgen und im CT geht alles flott, dann hilft mir der Zeugwart noch eine Urinprobe abzugeben. Mit meinen Schmerzen und meiner Kurzatmigkeit fällt es mir nämlich ziemlich schwer, meine Radhose auszuziehen und vor allem auch wieder hochzuziehen. Wie ein Geist mit Döschen quäle ich mich in dem OP Geisterhemd dann wieder in den Behandlungsraum, wo mich ein engagierter Schwesternschüler schon mit einer Nadel und zahlreichen leeren Blutröhrchen empfängt. Er möchte die alle voll machen sagt er und beginnt sich auf die Suche zu machen. Sein Jagdgebiet sind meine Hände und Arme. Er sticht zahlreich, ohne Erfolg zu, und tut mir richtig leid.

Schockraum

Dann fliegt die Tür zum Behandlungsraum auf und die behandelnde Ärztin stürmt herein. Sie ist ganz aufgebracht, schickt den Zeugwart in den Warteraum und heizt dem Schwesternschüler ein. Zusätzlich stürmen einige weitere Ärzte den Behandlungsraum und alle erzählen mir, dass ich einen Pneumothorax habe und zahlreiche mehrfach gebrochene Rippen. Länger halte ich nicht durch, weil ich sonst ersticke. So fühle ich mich gar nicht und frage deshalb, wo ich denn hingehen soll.

Alle stürmen auf mich ein, dass ich nirgends mehr hinlaufe und dass es hier allen anwesenden sowieso total unklar ist, wie ich überhaupt mit dem Krankheitsbild noch irgendwo hin laufen konnte. Die Ärztin klärt mich spontan über alle Risiken der Narkose und der gesamten Operation auf, sagt dem Zeugwart, dass sie das heute schon mal -allerdings auf der rechten Seite- operiert haben und dass sie ihn später im Aufwachraum dazuholen. Die Narkoseärztin hat lange blonde gelockte Haare und erinnert mich sofort an einen Engel. Sie zeigt dem armen Schwesternschüler außerdem, wie man zielsicher einen Zugang zu meinem Blut legt und dass seine zahlreichen Einstiche nicht notwendig waren.

Dann bin ich weg. Und ich ersticke nicht.