Als der Wecker klingelt, sagt der Zeugwart, dass wir eine falsche Uhrzeit im Kopf hatten, als wir ihn gestern gestellt haben. Ohne nochmals nachzuprüfen, sind wir von einem Start um 6:45h ausgegangen und haben davon hochgerechnet, wann wir dann am Besten an unserem geplanten Standort an der Radstrecke sein sollten. Jetzt sind wir schon beim aufstehen im Verzug, weil der Start der Profis schon 15 Minuten früher erfolgt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich zeittechnisch seit Jahren immer die gleichen Ironman Probleme habe. Dieses Zeitgefüge, wer startet wann, wieviel Uhr ist es, wenn derjenige fertig mit dem Schwimmen ist, wann kommt der Athlet wieder vorbei und wo ist er wann, ist für mich immer schon ein großes Rätsel.

Mit Zahlen habe ich es anscheinend nicht so? Auch bei meinem eigenen Wettkampf im Kraichgau war mir nicht klar, wann ich wo sein werde… ich hab ein fach so schnell gemacht, wie es eben ging. So geht es hier den meisten Athleten natürlich auch, aber als Zuschauer könnte man sich ja auch mal kundig machen, wann ist Start, wer sind die Favoriten und bis wann muß man auf die zweite Radrunde gefahren sein um nicht aus dem Rennen genommen zu werden. Ich erstelle mir schon während wir nach Frankfurt fahren einen Plan für das nächste Jahr. Ich nehme mir vor, dass ich mich im nächsten Jahr bereits zu Beginn der Ironman Woche damit auseinandersetze und mir einen Informationszettel bastel, oder die entsprechenden Zeiten und Favoriten im Handybrowser als Lesezeichen hinterlege. Auch ein direkter Link zum Athletentracker gehört im nächsten Jahr für mich zur Vorbereitung.

In Frankfurt angekommen finden wir gleich einen Parkplatz. Es ist genau der, auf dem wir seit Jahren parken. Nicht einer davor, oder einer dahinter. Wir parken seit Jahren, wenn wir hier in Sachsenhausen parken, genau auf dieser Stelle. Als würden die Anwohner das schon erwarten. Sehr lustig. Wir parken also und beladen uns mit unseren Anfeuerutensilien. Heute gehört dazu nicht nur die Trommel und die Kamera. Heute haben wir Klappstühle dabei, Proviant und eine Schablone um die Strasse mit Kreide zu verschönern. Unser Hauptsponsor, der Verein und natürlich das große Ziel, der Ironman M-Dot, sollen die Rad- und die Laufstrecke verschönern. Wir haben Kreidespray besorgt, dass sich dann im Regen wieder verdünnisiert, aber solange es trocken ist, für Furore sorgt.

Nachdem die Radstrecke hier am Literaturhaus auch noch mal verschönert ist, geht’s auch schon los. Die ersten Herren lassen nichts anbrennen und haben offenbar keine Lust besonders lange unterwegs zu sein. Sie schießen an uns vorbei und ich bin mir nicht sicher, ob ihnen das Getrommel und die ermutigenden Rufe, dass wir heute zeitig essen und es schön wäre, wenn wir das alle zusammen täten, überhaupt in die Ohren gehen. Ohne großartige Pause ziehen die Athleten an uns vorbei, manchmal mehrere zusammen, manchmal nur vereinzelt, alle gut trainiert und voller Enthusiasmus für ihren (und meinen) längsten hessischen Tag. Besonders schön finde ich es ja seit dem Kraichgau, wenn auch das Outfit der Athleten zum Rad passt und das alles ein hübsch zusammenpasst. Wobei es die Herrschaften mit schwarzen Einteilern am Besten haben, der paßt ja zu allem.

Bei unserem Triathlonverein in den Farben Orange und Schwarz, ist es mit dem passenden Rad etwas schwieriger. Trotzdem nehme ich mir vor, dass ich für meinen nächsten Wettkampf am Outfit etwas drehen werde. Voraussichtlich wird das ja noch eine Weile dauern, so dass ich hier keine Hetze habe. Ich bin nämlich bereits jetzt, auf der Radstrecke beim Zusehen, ziemlich geschafft und kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre jetzt auf der Strecke zu sein und 180km radeln vor mir zu haben. Eine unglaubliche Distanz, über die ich selbst mit dem Auto nachdenke, ob ich da eine Pause brauche. Und hier wird geradelt was die Beine hergeben.

Unter den Sportlern entdecken wir natürlich auch unsere Athleten. Die sind uns selbstverständlich am heutigen Sonntag am Allerwichtigsten. Der Flitzer fährt als Erstes vorbei. Hinter ihm haben sich einige Athleten angehäuft. Offenbar fährt er ein passendes Tempo, so dass man sich gut an ihm orientieren kann. Der Flitzer möchte heute unter 10 Stunden bleiben. Unvorstellbar, aber für ihn absolut im Bereich des Möglichen. Natürlich bekommt auch er ein ordentliches Getrommel, ehe er sich auf der Hanauer Landstrasse stadtauswärts begibt und in Richtung Wetterau fährt.

William Thacker entdeckt uns erst spät. So war das schon im Kraichgau, und weil er zu den schwarzen Anzügen zählt, ist er auch für uns nicht so leicht auszumachen. Als er uns aber entdeckt, wirft er uns seine Schwimmbrille zu. Äh ja. Ich lache mich schlapp. Das ist so ein toller Anfänger“fehler“, an den er sich noch nach Jahren erinnern wird. Schön wäre es auch gewesen, er hätte der Schwimmbrille die ganze Strecke bis zum Zieleinlauf gezeigt, weil sie wahrscheinlich die einzige Schwimmbrille gewesen wäre, die jemals die ganze Distanz absolviert hätte. Aber nein, das macht er vielleicht bei seinem  nächsten Start in Frankfurt.

Die Vereinsmädels kommen im Anschluß nacheinander, so dass sich jede ihre ganz persönliche Anfeuerung abholen kann. Überall an der Strecke stehen heute Vereinsmitglieder und so geben wir über ihre Durchfahrt bei uns Bescheid, damit sich die nächste Station am Bierhannes und dann oben am Hühnerberg etwas richten können. Wenn man weiß, wer wann auftaucht, feuert es sich einfach leichter an. Der Zeugwart und ich wechseln nun an die Laufstrecke. Allerdings machen wir einen Laufstreckenverschönerungsumweg und besprühen Brücken und das Mainufer zahlreich mit unserer Kreide, mit Hilfe der Logoschablone. Dann geht’s kurz zurück zum Auto und dann fahren die führenden Herren auch schon in Richtung Wechselzone.

Da die Radstrecke dieses Jahr 3km kürzer ist, sind sie natürlich auch schneller als sonst. Mir macht das allerdings nichts, denn ich habe ja auch keinen Zeitplan, wie es wäre, wenn sie 180km gefahren wären, das ist ja mein Projekt für das nächste Jahr. Sebastian Kienle und Andi Böcherer wetzen aus der Wechselzone, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Wir feuern Patrick Lange an, der ganz in der Nähe in Darmstadt trainiert, und tatsächlich ist er zu schnell durch, und auf der Laufstrecke, um ihn auf ein Foto zu bekommen. Ich feuer ihn zur Sicherheit aber doch auch noch mal an, vielleicht kann er ja noch schneller? Wäre kaum zu glauben, aber da ja alles möglich ist, will ich sicher gehen.

Anything is possible.

Wir beziehen Stellung am Mainufer auf der Sachsenhäuser Seite, setzen uns in den Schatten, mit einem herrlichen Skylineblick und feuern hier kräftig an. Nach und nach kommen unsere Vereinskollegen zusammen, die sich vorher zum anfeuern überall an der Radstrecke verstreut hatten. Als ersten unserer Athleten erwarten wir den Flitzer und tatsächlich, da kommt er auch schon vorbei, bekommt ein paar Zurufe und zack, weg ist er. Trotz Hitze, 180km radeln in den Beinen und der 3,8km Schwimmen vorab, läuft er eine respektable, für mich schier unerreichbare, Geschwindigkeit. Alles sieht nach einer Zielerreichung bei unter 10 Stunden aus.

William Thacker ist vom Athletentracker verschwunden. Bei Km 98 scheint er aufgegeben zu haben. Da aber läuft auch er bei uns vorbei. Wir erwähnen nicht, dass er eigentlich gar nicht mehr getrackt wird. Die Athleten haben genug Belastung, da soll er sich über eventuell fehlende Zeiten jetzt keine Gedanken machen. Vielleicht ist es auch einfach nur die Übertragung ins Internet, die gestört ist, denn am Knöchel hat er ein Chipband? Wie ich es insgeheim erwartet habe, ist es für ihn anstrengend, aber das viele Training bei Mario wird sich auszahlen und bereits jetzt scheint mir der Zieleinlauf unumgänglich. Wer 10km schafft, der schafft heute auch 42km! Ich freue mich so sehr für ihn!

Die Vereinsmädels quälen sich, als sie bei uns vorbei kommen. Sie sind lange geradelt, nicht nur kilometertechnisch, sondern auch stundenmäßig, es ist heiß und beide bleiben bei uns stehen, um sich ihre Anfeuerung abzuholen. Wir drücken die Daumen, dass sie es durchziehen können. Aufgeben würde mir so unendlich leid tun. Da leide ich ähnlich, wie bei der Aufregung am Vortag, viel zu sehr mit. Weil ich weiß, wie es mir gehen würde und ich dann automatisch von mir auf andere schließe.

Nachdem Sebastian Kienle längst ins Ziel gelaufen ist, das Damenrennen lange entschieden wurde und der Flitzer auf den roten Teppich abgebogen ist, teilt William Thacker mit, dass er jetzt noch mal einen Gang hochgeschaltet hat und sich jetzt auf den Weg ins Ziel macht. Unfassbar der Typ. Mit Vorankündigung will er tatsächlich zwischen 19h und 20h ins Ziel laufen. Jetzt müssen der Zeugwart und ich uns beeilen. Ich darf ihm nämlich seine Medaille im Ziel geben und muß deshalb natürlich sinnvollerweise vor ihm dort sein. Verrückt, dass ich jetzt dadurch noch mal richtig ins schwitzen komme.

Es ist das erste Mal, dass ich das Ziel einer Langdistanz betrete. Er weiß gar nicht, wie emotional ich werden kann, und auch ich bin über mich selbst überrascht. Wir sind Arbeitskollegen und im Büro gibt es für mich nie etwas zu heulen. Da rege ich mich höchstens auf, wenn 2 und 2 mal wieder nicht 4 ergibt oder einer mir eine komische Frage stellt. Hier aber, im Ziel des Ironman Frankfurt kommen mir die Tränen. Die Athleten sind emotional und irgendwie bin ich sowieso fix und fertig und dann halte ich auch noch seine Medaille in den Händen. Das überwältigt mich schon. Aber natürlich kriege ich mich wieder ein. Ich kann ihm ja schlecht mit verheulten Augen die Medaille umhängen, dann denkt er noch, er hätte es nicht gut gemacht. Hat er aber. Nach knapp über 12 Stunden läuft William Thacker den Zielkanal entlang und kann es scheinbar selbst nur schwer glauben. Er ist ein Ironman. Wahrhaftig. Er hat meinen allergrößten Respekt, wie alle, die sich heute hier durchbeißen und diese unglaublich schwere Medaille um den Hals bekommen.

Am Ziel ihres langen Trainings angekommen. Am Ziel der Träume eines jeden Triathleten, am Ziel einer langen Zeit des Verzichts und manchmal auch am Ende ihrer Kräfte. Während der Zeugwart und ich zurück an die Strecke spazieren, in der Hoffnung die Vereinsmädels noch mal zu motivieren, verspreche ich ihm, dass ich, sollte es jemals so weit kommen, dass ich an so einer Startlinie stehen kann, alles geben werde. Ich werde so hart trainieren, dass am Zieleinlauf niemals ein Zweifel aufkommt. Ich werde nicht aufgeben und nicht müde werden das gesteckte Ziel dann zu verfolgen, bis er mir im Ziel die Medaille umhängen kann. Ob es jemals so weit kommt weiß ich nicht, aber das Grundgerüst steht schon mal.

Als ich heute Abend vollkommen erschöpft und mit ordentlich extra Farbe im Gesicht, ins Bett falle überlege ich mir, dass ich als erstes an meinem Schwimmen arbeiten werde. Ich suche mir einen Schwimmtrainer bzw. Schwimmkurs. Beim Schwimmen kann man nämlich viel rausholen. Man gewinnt dadurch zwar nicht, aber man kann damit verlieren. Und Schwimmtraining geht auch derzeit, mit der lädierten Hüfte, dem Knie und der Schulter. Packen wir es an. Das Ziel Langdistanz.