Obwohl es heute noch wärmer ist als gestern, habe ich fest vor laufen zu gehen. Das ist keine große Sache bei mir, denn nach wie vor bin ich, was das Laufen angeht, streng limitiert. Von der Beweglichkeit, vom Schmerzempfinden und natürlich von der Kondition und Kraftausdauer. Ich glaube dabei, dass die Kondition die größte Grenze ist, aber wenn man nichts tut, dann wird sich die Grenze auch niemals verschieben. Ich kann ja schlecht warten, bis das Wetter wieder kühler wird und dann an der Kondition arbeiten, wenn ich das mache, finde ich immer eine Ausrede. Und die will ich ja gar nicht finden. Laufen gehen macht so viel Spaß, heute will ich es also nochmals versuchen.

Ich habe mir eine Strategie zurecht gelegt. Jeder Sportler hat einen Plan, manche bekommen ihn vorgegeben, manche machen sich den auch selbst, aber ich habe noch keinen getroffen, der einfach so sportelt, ganz ohne Plan. Und wenn es nur „ich möchte mich bewegen“ ist… einen Plan und/ oder einen Grund gibt’s immer. Meine heutige Strategie ist zweigeteilt. Ich möchte entweder meine übliche Walkingrunde von 2,5 km durchjoggen, oder ich absolviere sie mit laufen und gehen im Wechsel. Ich will aber eigentlich laufen, kontinuierlich. Mein Arzt hat heute früh zu mir gesagt, dass ich eine Kämpferin bin, das werde ich den Laufschuhen heute Abend zeigen.

Nachdem ich umgezogen bin, spaziere ich in die Wärme. Es ist auch jetzt am Abend noch richtig Sommer. Kein Vergleich zu den Hamburger Temperaturen vom Wochenende! Ich laufe heute eine Schnäppchenhose von der Ironman Expo und trage meinen Hüftgurt. Man muß es ja nicht gleich mit der Belastung übertreiben. Durchjoggen mit Hüftgurt finde ich cooler, als laufen und gehen im Wechsel ohne Hüftgurt. Und mittlerweile habe ich mich auch schon fast an den Gurt gewöhnt, und da mir der Gurt hilft, finde ich, dass es halt eben so ist. Kein Grund sich zu ärgern oder aufzuregen.

Ich laufe heute über das Feld. Es ist weithin gemäht und überall raschelt es. Die Sonne brennt und ich jogge. Gefühlt besonders langsam. Ich kann weder Puls noch Geschwindigkeit prüfen, weil meine Garmin Uhr gerade beim Service ist und wir trotz dass ich einen Zeugwart daheim habe, keine Ersatzuhren vorrätig haben. Vielleicht ist das aber auch gar nicht so schlecht? Vollkommen losgelöst und ohne Druck kann man andere Prioritäten setzen, als wenn das Auge doch in Richtung Geschwindigkeit oder Pulswert geht. Selbst mit einem gute Vorsatz würde man sich trotzdem beeinflussen lassen. Ich zumindest, da brauche ich mir nicht in die eigene Tasche zu lügen.

Die ersten Meter sind etwas holprig, ich schleiche dahin und laufe einfach kontinuierlich. Immer weiter. Ich spreche mit mir selbst, ob ich eine Gehpause brauche, frage ich mich. Nein, ist die Antwort. Wem willst Du da aber etwas beweisen? Es ist keine Schande eine Gehpause zu machen, höre ich mich reden. Das stimmt auch, eine Schande ist es nicht. Aber sie ist nicht notwendig. Ich kann durchlaufen. Ich will keinem etwas beweisen, warum auch. Ich bin wichtig, ich möchte laufen und eben nicht gehen. Und solange ich keine Schmerzen habe, gibt es keinen Grund zu gehen. Ich laufe so die ganze Zeit, bis zum Wendepunkt. Hier biege ich ab und laufe zurück. Jetzt können die Gedanken abschweifen. Ich laufe für mich, weil ich es kann, schmerzfrei. Ich laufe, weil ich es möchte.

Ich denke an den Tonangeber. Er wird nächste Woche operiert. Die Bänder in der Schulter sind durchgerissen. Das klingt wirklich unangenehm. Er ist topfit, so dass er sich bestimmt schnell erholen wird. Er ist ein Kämpfer, weil das zu seinem Lebensmotto dazugehört. Einen Ironman nimmt man sich nicht aus Jux vor, ein Ironman ist eine Aufgabe, die man absolvieren möchte und weil er die schon im Kopf drinne hat, wird die Heilung seiner Verletzungen vom Sonntag einfach zwischengeschoben. Meine eigene Erfahrung ist, dass mir Mitleid nicht so viel bringt, wie Aufmunterung. Wenn mich die Menschen bedauern, für das, was ich alles nicht kann, dann habe ich immer das Gefühl ich muß mich verteidigen. Wenn die Menschen sich mit mir freuen, was ich alles kann, dann fühle ich mich motiviert. Mitfreuen macht oft auch mehr Spaß, als mit fühlen oder mit leiden. Und Freude ist ja auch ein Gefühl. Das Leid der anderen haben sie ja sowieso, egal ob man mitleidet, oder eben nicht.

Jetzt sind es noch 500m bis nach Hause. Ich bin tatsächlich schon 2km gerannt… oder geschlichen, je nach dem aus welcher Perspektive man es sieht. Eine Walkerin kreuzt die Strasse und wir grüßen uns. Sie teilt mit, dass es ja so unheimlich heiß ist und ich erwiedere, dass wir halt total sportlich sind und ich es super cool finde, dass wir trotzdem Sport machen. Und sie antwortet, dass ich die erste Joggerin wäre, die ihre Walkerei als Sport ansieht. Und weil ich sowieso geschafft bin, nehme ich etwas Geschwindigkeit raus, laufe zurück und sage ihr, dass sie ziemlich weit vorne ist, was den Sport angeht und sie sich bloß keinen Mist einreden lassen soll, womöglich noch von Leuten, die schon ihr ganzes Leben lang rennen und vergessen haben, dass jeder mal angefangen hat und Walken immer noch besser ist als auf der Couch rumzusitzen. Dann verabschieden wir uns. Sie freut sich auf ein Wiedersehen und ich kann die Ignoranz mancher Mitmenschen -mal wieder- nicht fassen. Das soll mal einer zu mir sagen, wenn ich am walken bin!

Nach 2,5km kontinuierlichen Laufens bin ich nach 17 Minuten zurück zu Hause. Schmerzfrei, was das Wesentliche ist. Wenn das über den Abend und die Nacht so bleibt, werte ich das als erreichten Meilenstein. Ich bin fix und fertig. Aber sehr zufrieden.