Der Wecker klingelt mitten in der Nacht. Es ist stockdunkel und ich frage den Zeugwart, ob er sich sicher ist, dass wir jetzt aufstehen möchten. Ist er sich. Sicherer war er selten. Wir sind mit der Hübschen verabredet um gemeinsam zur Wechselzone zu laufen und unsere Athleten vor dem Start noch mal zu drücken, logo stehen wir jetzt auf. Ich bin mir, was das Hamburger Wetter angeht, absolut unsicher und statte mich deshalb mit allem vom stürmischen Regenguß bis hin zum eitlen Sonnenschein aus. Später, wenn ich mitten drin bin im Ironman Erlebnis, werde ich nämlich keine Zeit haben noch mal umzudrehen um mich umzuziehen. Machen die Athleten ja schließlich auch nicht. Umdrehen ist sowieso keine Option und dass Aufgeben ebenfalls nur im absoluten Notfall passieren soll, werde ich heute früh auch ganz bestimmt noch ein paar Mal loswerden.

Der frühe Vogel

Die Hübsche ist überpünktlich und wir sind alle von uns selbst überrascht, dass wir so ausgeprägt fit und voller Glücksgefühle über das anstehende Großereignis in dieser frühen Stunde zum Ballindamm marschieren. Je näher wir kommen, desto mehr Athleten umgeben uns. Die Wechselzone ist für Zuschauer und Teilnehmer gleichermaßen magnetisch. Jeder will hin und alle sind aufgeregt. Die Athleten, weil ihnen ein Abenteuer bevor steht. Die Zuschauer, weil sie es einfach nachempfinden können, viele haben in den letzten Monaten mitgefiebert, Trainings mitgemacht oder ihren Athleten den Rücken frei gehalten. Da wächst man zusammen und man weiß einfach, dass es auf den heutigen Tag ankommt. Heute zählt es, heute wird das komplette Training der letzten Monate und Jahre auf die Strecke gebracht, heute ist es soweit.

Alle da

Wir treffen all unsere Freunde, die hier in weniger als einer Stunde als Athleten an der Startlinie stehen werden. Wir haben uns schlau positioniert und alle müssen an uns vorbei. Die Aufregung ist spürbar, aber der Zeugwart steht da als ruhender Pol und ich gebe mir Mühe meine eigene Aufregung und die Freudentränen über so viel Mut und Entschlossenheit zurückzuhalten. Geweint wird heute ausschließlich vor Glück und am Besten im Ziel. The Rock ist ordentlich aufgeregt, viele Ratschläge verderben den Brei und wahrscheinlich auch die Athletenseele. Also verteile ich überhaupt keine mehr und wünsche einfach nur unheimlich viel Spaß. Und natürlich sage ich dem Sugardaddy, dass wir zeitig essen wollen.

Dann verschwinden die Athleten zum Schwimmstart und der Zeugwart und ich platzieren noch schnell etwas Motivation hier und da, um dann ebenfalls ans Wasser zu marschieren. Dass wir unsere Athleten in der Alster erkennen ist wohl utopisch anzunehmen, trotzdem halte ich Ausschau, denn, man weiß ja nie. Als das Ende des Schwimmens in Sicht und damit die Profis in greifbarer Nähe scheinen, wechseln wir die Position. In Hamburg ist das ganz leicht, weil es wirklich nur ein paar Schritte sind. Und zack, rennen die Profis in die Wechselzone, schnappen sich ihre Räder und sind dann auch schon unterwegs.

Mitten drin

Nach und nach kommen die Altersklassen nach und dann sehe ich The Rock von weitem und er sieht wirklich super aus. Und er ist jetzt schon da, obwohl er jetzt noch nicht mal mit dem Schwimmen fertig sein wollte. Also ist er vor seiner Zeit und das trotz der ganzen Zweifel, ob das wohl alles so das Richtige ist. Wunderbar, wenn Training sich auszahlt und die Leistung perfekt und punktgenau abrufbar ist. Sarabi ist jetzt auch aus dem Wasser und wir feuern sie an, dass die Wechselzone bebt. Immerhin ist sie jetzt 90 Km auf sich gestellt, da können die Ohren ruhig ein bisschen klingeln. Zumindest ist das unser Plan.

Die Radstrecke wendet in Hamburg am Ballindamm, und hat zwei Runden. Insgesamt absolvieren die Athleten 1.000 Höhenmeter inklusive der sonst für Radler gesperrten Köhlbrandbrücke. Die Stimmung hier am Wendepunkt ist toll, die Zuschauer stehen in 5 Reihen hintereinander, es wird gejubelt und gegrölt, getrötet und getrommelt. Die Musik und die Moderation geben alles und jeder Radler wird gefeiert, als wäre er auf Gewinnerkurs. Was ja auch irgendwie der Fall ist, weil jeder nur gegen sich selbst kämpft, zumindest in erster Linie. In zweiter Linie geht es natürlich ums am schnellsten sein und wer nach Hawai möchte, darf natürlich erst recht nicht trödeln.

Henning

Während wir auf unsere Athleten warten, erkennt der Zeugwart jemanden, den man eher seltener auf Triathlonveranstaltungen sieht. Und da ich selten verlegen bin, wenn es darum geht, jemand berühmten anzusprechen, gehe ich mit großen Schritten voran. Ich sage, dass ich finde, er sieht Henning Wehland ähnlich und weil ich seine Musik so mag, frage ich, ob ich ein Foto mit ihm machen könnte. Und er gibt mir die Hand und sagt… „hallo, ich bin Henning, hätte nicht gedacht, dass man mich hier erkennt“.

Ironman Hamburg

Er ist dann genauso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht ist… aber toll war es trotzdem! Danke für das Bild!

Wir jubeln unseren Athleten zu und schreien uns die Seele aus dem Leib, als sie auf die zweite Runde gehen. Es ist einfach unheimlich schön zu sehen, wie flott sie unterwegs sind und wie viel Freude der Wettkampf macht. Wenn man abrufen kann, was man trainiert hat, wenn alles passt, dann wird gelächelt und tatsächlich sind der Sugardaddy, The Rock und Sarabi ausschließlich am lächeln, als sie den Wendepunkt passieren. Also das scheint wirklich ein klasse Tag zu werden.

Lächeln, lächeln, lächeln

Der Zeugwart, der Tonangeber, die Chefin und ich marschieren zwischendurch mal zum zweiten Frühstück fachsimpeln und klönen, weil wir durch das gemeinsame Hobby und die gleiche Wellenlänge eben immer was zu quatschen haben. Und irgendwie ist zusehen ja ähnlich stressig, wie selbst mitmachen und so verlieren wir nicht viel Zeit und sind an der Strecke gefühlt überall und nirgends.

Die Stimmung ist großartig. Gefühlt ist hier überall etwas los. Jeder fiebert mit und als immer mehr Athleten zurück in die Wechselzone kommen, wird es auch in der Stadt immer lauter. Die Stimmungsnester brodeln und tatsächlich gibt es auf der Laufstrecke kaum eine Stelle, an der keiner steht. Es wird nach Strich und Faden gelogen, dass alle gut aussehen, dass es nicht mehr weit sei und dass das alles ganz locker wirkt. Dabei quälen sich viele und nur bei wenigen Athleten stimmt es. Aber alle können noch lächeln.

Motivation

Trotz der immensen Anstrengung, die ihnen auf den Körper geschrieben steht, tun diese Athleten hier, was sie lieben. Sie sind wahre Helden, die neben Beruf und womöglich auch Familie, meinen Lieblingssport ausüben und hier, auf der Strecke, für wunderbare Motivation sorgen. Wer hier keine Lust bekommt, selbst sportlich zu sein, dem kann keiner mehr helfen. Ich auf jeden Fall bekomme eine Motivationsspritzen nach der Anderen und genieße es regelrecht im Takt zu klatschen und wild zu jubeln.

Natürlich kocht die Stimmung bei uns allen ganz besonders, wenn ein bekannter Athlet vorbei läuft. Während der Sugardaddy tatsächlich nach nur 9:58h ins Ziel läuft, genießen The Rock und Sarabi die Stimmung an der Strecke noch etwas länger. Immer wenn ich die beiden sehe, wird mir ganz anders, weil sie den Weg gehen, den ich so unheimlich gerne gegangen wäre in diesem Jahr. Sie erfüllen sich ihren Traum. Meinen Traum. Sie ziehen es durch, sie sind stark und sie haben meinen ganzen Glauben, meine guten Wünsche und meine ganze Gefühlswelt unter Kontrolle. Jedes Mal, wenn ich sie sehe. So viel Arbeit, so viel Wille, so viel Anstrengung… und irgendwie alles für mich, damit ich es mit genießen kann. Damit ich mit meinem Traum nicht alleine bin.

Ins Ziel

Als The Rock sich auf den Weg ins Ziel macht, ist es auch für uns höchste Zeit auf die Tribüne zu wechseln und ihn dort gebührend zu empfangen. Er, der so viele Zweifel hatte, er, der dachte, dass er besser nicht startet, er, an den ich immer geglaubt habe, genau der, er läuft nach 12:38h über die Ziellinie. Ich flippe aus und kann meinen Tränen nicht zurückhalten. Und ich wiederhole mich höchstwahrscheinlich bei den zahlreichen nachfolgenden Umarmungen, solange, bis es nervt, aber „stell Dir bloß vor, Du wärst nicht gestartet“, ist einfach genau passend. Ich bin so extrem froh, dass er es einfach durchgezogen hat. Meinen Traum vom Finish. Und er hat es einfach gemacht.

Wir wechseln zurück an die Strecke, während The Rock in den Athletengarten verschwindet. Es wird später am Tag und dämmert schon leicht, als Sarabi wieder vorbei kommt. Sie lächelt, wie schon den ganzen Wettkampf. Sie hat Spaß, sie drückt die Freude aus, die das Leben verdient hat, sie ist zufrieden, wie sie da so über die Strecke läuft und sie rennt meinen Traum. Wir jubeln und winken und gehen mit einem guten Gefühl zum Abendessen. Denn ich weiß, dass ich sofort umkippe, wenn ich sie im Ziel begrüße und nichts gegessen habe. Bereits jetzt habe ich einen Kloß im Hals, weil sie genau das umsetzt, was ich wirklich auch sehr gerne gemacht hätte.

Mein Traum

Dann, nach unserer Stärkung, gehen wir wieder in Richtung Ziel. Ich bekomme eine Medaille ausgehändigt und warte angespannt, weil ich Sarabi, wenn sie kommt, ihre Medaille umhängen darf. Ich habe es dem König der Löwen zu verdanken, dass ich das tun darf. Er ist großherzig und wusste anscheinend, wie viel mir das bedeuten würde? Ich bin so verspannt, dass ich die Medaille in meinen Händen kaum spüre und ich erzähle jedem, also wirklich jedem im Ziel, dass Sarabi gleich kommt. Und dann ist sie da. Die Stimmung am Rathausmarkt ist der Wahnsinn, sie tanzt und springt über den Zielteppich, als wenn sie heute noch gar nichts gemacht hätte und sie jubelt, wie eine wahre Gewinnerin. Das Publikum und die Moderatoren flippen aus, weil es genau das ist, was einen Ironman ausmacht. Es ist dieser Moment, diese Hingabe, diese Leidenschaft, wenn die Athleten über die Ziellinie rennen und es tatsächlich geschafft haben.

Sarabi hat es geschafft. Sie ist eine Ironman Hamburg Finisherin. Ich kann meine Freudentränen nicht zurückhalten, so viel Anspannung fällt von mir ab. Ich freue mich unheimlich, weil das genau mein Traum ist. Da ich aber vom Anfeuern heute bereits komplett fertig bin, weiß ich einmal mehr, dass dieser Traum tatsächlich unfassbar weit entfernt ist. Wie das bei Träumen eben oft der Fall ist.