Bei uns macht auf der Arbeit gefühlt jeder Sport, wenn es Freizeit gibt. Wir haben alle möglichen Sportarten vertreten und gerade in der Mittagspause, früh morgens, wenn ich zur Arbeit komme, oder abends nach Feierabend, türmen sich die Rucksäcke und Sporttaschen in der Umkleide und weisen auch dem skeptischsten Beobachter den überzeugenden Weg um den Sportlichkeitsbeweis der Belegschaft anzutreten. Diese Menschen beschäftigen sich das ganze Jahr mit Sport, beruflich und privat. Wir leben offenbar, was wir lieben.

Gestern haben Walter Mitty und ich uns zum laufen verabredet. Grob. Und wenn ich es mir recht überlege kann man es auch nicht wirklich Verabredung nennen, wir haben einfach beide beschlossen, heute laufen zu gehen und zwar nach getaner Arbeit und vor der Dunkelheit. Je nach dem was früher eintritt. Wie bei jeder Arbeit heutzutage dürfte klar sein, dass das Ereignis „vor der Dunkelheit“ eher eintritt und wir garantiert nicht wirklich mit der Arbeit heute fertig werden. Wirklich zusammen laufen, können Walter Mitty und ich nicht. Aber, weil es irgendwie cooler ist, laufen wir später dann wenigstens gemeinsam los.

Während des heutigen Arbeitstages gehen ganz viele Kollegen laufen. Und zum Feierabend hören wir über den Tag hinweg ebenfalls heraus, dass das Feld heute lauftechnisch kaum zur Ruhe kommen wird. Außer uns planen noch vier weitere Kollegen einen Lauf. Alle in unterschiedlichen Leistungsklassen und mit unterschiedlichen Plänen und doch alle irgendwie im gleichen Boot. Wir stimmen uns kurz mit der laufenden Bevölkerung des Gebäudes ab und dann planen wir unseren Aufbruch und schaffen es dann auch überpünktlich loszulaufen. Walter Mitty läuft sich den ersten Kilometer langsam ein und so laufen wir tatsächlich gemeinsam.

Ich laufe das Tempo, was sich die ersten 400m angenehm anfühlt und dann denke ich mir, dass jetzt langsamer werden für Walter Mitty bestimmt total blöd wäre und halte durch. Obwohl ich genau weiß, dass es zu flott ist. Viel länger als den ersten begleiteten Kilometer, werde ich kaum durchhalten. Aber es wäre wirklich blöd, jetzt rauszunehmen, immerhin sind es jetzt tatsächlich nur noch 200m und die werde ich ja wohl auch noch schaffen. Herrlich, dieser Kampfgeist. Da stehe ich voll drauf! Früher gab es den nicht, früher hätte ich rausgenommen und nicht einfach durchgezogen, früher, früher, früher. Jetzt glaube ich einfach, dass es irgendwie zu schaffen ist und mache es.

Und dann ist es auch zu schaffen. Beim Kilometersignal seiner Uhr verabschiedet Walter Mitty sich, wie vereinbart und zieht davon. Große Schritte, weit ausgreifend und schon ist er unerreichbar weit weg. Ich nehme etwas Geschwindigkeit raus und so entfernen wir uns immer weiter voneinander. Walter Mitty hat einen straffen Trainingsplan, der ihn ohne Umschweife in Richtung Staffelteilnahme beim Frankfurt Marathon bringt, und heute stehen mal wieder Intervalle drauf.

Laufen

Der Weg führt uns direkt an der Autobahn entlang und ich frage mich einmal mehr, wer überhaupt auf den Gedanken gekommen ist, hier einen Weg anzulegen. Und wenn ja der, der den Weg angelegt hat, schon irgendwie komisch gedacht hat, warum laufen wir dann diesen Weg, direkt an der Autobahn, entlang? Das ist doch irgendwie verrückt! Deshalb laufe ich auch nicht die komplette Strecke hier entlang, sondern biege vorher ab. Was Walter Mitty heute läuft, ist mir sowieso zu weit, also entdecke ich einen neuen Weg und biege ab.

Hier ist es unheimlich schön, obwohl die Autobahn ganz nah ist. Der Weg ist verwunschen und die Büsche, die hier so rumstehen wirken im Herbstlaub wie gemalt. An einem Strommast wird gearbeitet und in der Ferne sind zahlreiche Läufer in bunten Farben zu sehen, die sich prima in das Herbstlaubfarbschema einfinden. Als hätte der Maler zusätzlich noch ein paar Neonfarben ausprobieren wollen.

Laufen

Mittlerweile laufe und walke ich im Wechsel, weil ich ansonsten wahrscheinlich niemals mehr ankommen würde, aber das ist ok, weil es Schritte gibt für die Schritte Challenge, die ich mit der Hübschen absolviere und weil man halt irgendwie wieder starten muß. Und wenn es mit Gehen und Laufen im Wechsel ist, dann ist es eben so. Ich habe keinerlei Schmerzen, an den Hüftgurt habe ich mich mittlerweile gewöhnt und so bin ich ziemlich zufrieden, als ich nach runden 40 Minuten und 5,5km wieder zurück im Büro bin.

Dort klatsche ich förmlich die nächsten zwei Sportler ab und verspreche, das warme Wasser nicht vollständig leer zu duschen, so dass für die Beiden noch etwas übrig bleibt. Eine gute halbe Stunde nach mir, ist auch Walter Mitty von seiner Trainingsrunde zurück. Trotz dass sein Leben auf einen geheimen Plan hindeutet, der große sportliche Ziele erahnen läßt, reklamiert er heute, nicht so wirklich zufrieden zu sein. Aber wirklich ändern, läßt es sich ja nun auch nicht mehr. Gute und schlechte Tage gehören einfach zum Trainingsalltag dazu und mit dieser Weisheit verabschiede ich Walter Mitty in die Dusche und verschwinde in den Feierabend.