Lieber Abenteurer,

ich weiß, dass die eiserne Regel lautet, dass unter 10km nichts gepostet wird, aber heute ist es anders. Meine Welt hat sich kürzlich etwas gewendet und umso mehr beneide ich Dich und alle Anderen, die lockere 10km laufen können, oder die berühmten 16 stressfreien Kilometer heim rennen. Ich habe heute viel an Deine Abenteuer gedacht, viel daran, was Dein Körper kann und meiner nicht. Ich hatte 43 Minuten in denen ich mir selbst leid tun konnte, während ich vor dem Catcher Car weggelaufen bin, und in denen ich entschieden habe, dass ich durchaus unter 10km etwas posten kann. Einfach deshalb, weil Du es verstehen wirst, weil heute 10m genauso viel zählen, wie 80km, weil es heute um einen guten Zweck geht und weil eben magische Grenzen dazu da sind zauberhaft angepasst zu werden.

Der Zeugwart, der Tonangeber, die Chefin, der Räuberhauptmann, Lovis, Emily Erdbeer, der pinke Ranger, der Rocker, Karla Kolumna und viele Andere haben heute in München große Pläne. Nach einem sehr leckeren Abendessen bei einem Münchener Griechen, dessen Vater ein von uns oft besuchtes Restaurant in Offenbach führt (was natürlich nur durch puren Zufall herausgefunden wurde), treffen wir uns heute Vormittag um gesammelt zum Start im Olympiapark zu marschieren.

Olympiastadium München

Vom Olympiastadium bin ich total beeindruckt. Hier hat mein Vater 1972 gesessen und sich Wettkämpfe angeschaut, zumindest kenne ich Fotos, die das beweisen. An mich war da noch lange nicht zu denken. Wir treffen das Team Tricamp und irgendwie geht alles ganz schnell und doch extrem langsam. Wir lachen viel, es werden noch ausgiebig Vor-Wettkampf-Bilder gemacht und dann geht’s in die Startaufstellung. Da ist es schon proppenvoll, aber natürlich ist in unseren Startblöcken noch Platz für uns und wir bekommen ein nicht zu überhörendes Warm-up, ehe wir uns abklatschen und alle zusammen, und doch jeder für sich, in Richtung Startbogen gehen.

Das Konzept des Laufes beeindruckt mich sehr. Über 100.000 Läufer auf der ganzen Welt starten um 13h unserer Zeit und theoretisch kann jeder mitmachen. Schnelle, langsame, alte oder junge. Dieser Lauf gibt Dir das Ziel nicht vor, jeder läuft, wie er eben kann, bis das sogenannte Catcher Car kommt und die Ziellinie markiert. Ich lasse viele ziehen, denn heute walke ich und deshalb bin ich am Rand unterwegs, um keinem in den Füßen rumzugehen. Einige wollen die Enge nicht wahr haben und schlängeln sich durch, machen fast Intervalltraining und wollen einfach nicht verstehen, dass es eben wirklich kaum voran geht. Wir machen hier eine Prozession durch den Olympiapark. Das Wetter ist herrlich, für den ersten Kilometer brauche ich deutlich über 13Minuten.

Langsamer als sonst

Dann, auf einmal ohne wirklich erkennbaren Grund, lichtet es sich um mich rum und ich kann frei gehen. Statt mir Gedanken zu machen, dass ich keinem in die Haxen trete, mache ich mir Gedanken, wie ich das finde hier zu walken. Gefällt es mir? Die Menschen um mich rum walken, manche sitzen im Rollstuhl, keiner rennt. Alle für den guten Zweck und doch bin ich ungerecht und würde viel lieber rennen. Ich bin undankbar, weil walken immer noch besser ist, als nichts zu tun oder tun zu können, aber es liegt immer im Auge des Betrachters und ich kann eben leider nicht aus meiner Haut.

Vielleicht sind die Sorgen auch alle unbegründet? Vielleicht ist es Klagen auf hohem Niveau? Beim walken kommen mir wirklich die komischsten Gedanken. Ich hole jede Menge ein, die einfach viel langsamer walken als ich. Teilweise joggen die Menschen jetzt um mich rum und ich hole sie trotzdem ein. Das ist bestimmt auch nicht besonders motivierend für die. Jetzt mache ich mir also schon Gedanken und dann versaue ich es auch noch den anderen. Ist ja heute total mein Tag.

Es kommt

Als ich das Catcher Car auf der Brücke über mir sehe, bin ich wirklich nicht weit gekommen und wieder werde ich undankbar. Aber aufgegeben wird natürlich nicht. Ich finde, dass ist man denen, die gar nicht laufen können, dann auch irgendwie schuldig, also gebe ich noch mal Gas und kann tatsächlich noch etwas schneller walken. Allerdings muß ich aufpassen, denn jetzt komme ich schon gut ins Pusten, also nehme ich besser wieder raus. Je näher die Ziellinie kommt, desto lauter werden die Leute am Streckenrand. Sie feiern uns, als wären wir Helden, als wüssten sie, von meiner Kurzatmigkeit. Als würden sie mein Leid im Kopf erkennen, dass ich lieber anders könnte, als es geht.

Nach etwas über 4km bin ich wieder ganz nahe an der Startaufstellung und werde von der Ziellinie eingeholt. Ich war 43 Minuten auf der Strecke. Ich bin geschafft und extrem müde, also hole ich mir was zu trinken und schau mir den Lauf so lange auf der Leinwand an, bis die anderen Tricamper nach und nach von den Bussen zurück ins Olympiastadion gebracht werden. Wir machen ein bisschen Pause und haben dann für unser Abschlußgruppenfoto das beste Timing, was man haben kann. Julius Brink, Olympiasieger 2012 im Beachvolleyball, sucht nämlich gerade ein cooles Team für ein Interview. Und da kommen wir ihm anscheinend gerade recht. Bevor wir also unser „Glücklich mit Medaille“ Bild machen, geben wir noch ein Interview bei Servus TV, mit stolzgeschwellter Brust.

Und was mache ich? Ich entscheide mich, den Lauf zu posten, obwohl er keine 10km lang gewesen ist. Und was machst Du, lieber Abenteurer? Du feierst uns, weil Du genau weißt, was es bedeutet. Danke dafür!