Jetzt inhaliere ich also regelmäßig zweimal am Tag und stelle mir die Welt, seit unserer Radausfahrt in den Spessart auch wieder total einfach vor. Es ist eben jetzt auf einmal alles so wie früher, denkt mein Kopf. Der, wie ich heute feststelle, wirklich überhaupt gar keine Ahnung hat. Leider. Wäre mir irgendwie lieber, wenn er so ein bisschen Durchblick hätte und nicht unnötige Erwartungshaltungen schüren würde. In meinem Kopf redet sich die Gedankenwelt ein, dass jetzt eben wieder weitestgehend alles in Ordnung ist.

Dazu gehört auch, dass ich laufen gehen kann. Das wurde, seit dem ersten Besuch beim Kardiologen Anfang April ja gänzlich in Walken umgewandelt. Laufen war ich also deshalb schon eine Weile nicht mehr. Reine Vorsichtsmaßnahme. Wer will schon einfach umkippen beim Lauftraining? Heute packe ich meine Lauftasche fürs Büro und will direkt im Anschluß an die Arbeit oder in der Mittagspause eine Runde drehen. Warum auch nicht? Es ist ja schließlich klar, dass mir das Lauftraining nicht schaden kann. Und mein Kopf denkt, dass das Laufen sicherlich ähnlich toll klappen wird, wie die Radlerei.

Mmhh. Klar. Ich weiß nicht, warum ich -auch im hohen Alter- immer noch so naiv bin. Ich bin mir sicher, dass ich jedem, der mit dieser Erwartungshaltung zu mir gekommen wäre, einfach mal den Zahn gezogen hätte. Ich hätte denjenigen vorgewarnt, hätte gesagt, dass so eine Laufpause nicht zu unterschätzen ist. Dass auch vorher nicht auf hohem Niveau, sondern eben mit Atemnot trainiert wurde, und dass derjenige sich nicht zu viel vornehmen würde. Ja… wenn andere kommen. Das ist leicht gesagt. Aber gelten die Regeln auch immer für mich? Für einen selbst? Anderen Ratschläge verpassen, das kann jeder. Auch der vollkommen Ahnungslose schafft das.

Sich selbst etwas eingestehen, für sich selbst eine Ratschlagsregelung zu finden, ohne sich klein zu machen und sich selbst in der Euphorie zu bremsen, das ist schwieriger. Finde ich zumindest. Auf der Arbeit haben die Männer bereits das Trainings- und Wettkampfprogramm für die nächste Zeit festgelegt. Wir starten zusammen beim 70.3 Kraichgau im nächsten Jahr und hängen den Start beim Ironman Frankfurt gleich hinten dran. Es sei ja eine logische Schlussfolgerung, nach einer Mitteldistanz auch die Langdistanz zu machen, haben sie behauptet. Weil auch sie durch meine Laufeuphorie geblendet waren. Für sie ist es anscheinend genauso logisch, wie für mich, dass ich jetzt einfach wieder anfange.

Da ich im Tasche packen nicht mehr ganz so geübt bin, vergesse ich meine Socken daheim und laufe deshalb nicht auf der Arbeit. Wenigstens fahre ich schon komplett umgezogen nach Hause, die Zeit habe ich mir dann also daheim schon mal gespart. Wenn es auch nicht ganz so geplant war. Walter Mitty läuft also deshalb vollkommen alleine, allerdings hätte ich ihn selbst auf den ersten Metern nur gebremst. Daheim angekommen freue ich mich richtig auf den Lauf. Ich überschätze mich gänzlich und bin der Meinung, dass ich eine „kleine“ 5km Runde gut schaffen kann. Als würde alles nur an der Atmung hängen… wie naiv.

Draußen ist es extrem warm. Ich trabe los, der Blick auf die Uhr zeigt einen Puls im akzeptablen Bereich und eine unterirdische Geschwindigkeit. Ich ändere die Ansicht und blicke nun, wenn ich auf die Uhr schaue, auf die Uhrzeit. Dann rufe  ich die Teamchefin an, weil ich ja nicht genug bekommen kann. Wir schwätzen ein bisschen, das klappt mit der Luft auch ganz gut. Allerdings merke ich tatsächlich jeden Muskel in meinen Beinen und in meinem Hintern. Es ist ja jetzt nicht so, als wäre ich eine Gazelle, oder würde die Beine überdimensional anheben. Ich würde sogar fast denken, dass es keinen größeren Unterschied geben kann, wenn ich ehrlich bin. Dafür brauche ich noch nicht mal den so oft genannten Abstand. Auch von Nahem ist da nichts zu holen. Jeder Schritt ist anstrengend.

Gerade kann ich mir auch gar nicht vorstellen, dass ich jemals überhaupt länger gelaufen bin. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass laufen am Stück möglich ist. Ich habe zwar die Puste, aber meine Beine können das gar nicht! Während ich mich mit meinem Motivationslied „und ich war wieder da“ versuche moralisch etwas aufrecht zu halten, drehe ich um und schleppe mich zurück. Ich bin mir auch gerade gar nicht sicher, ob ich überhaupt daheim ankommen werde… ist der Zeugwart daheim und könnte mich abholen? Das ist doch ein Witz! Ich bin keine 2km von daheim weg.

Irgendwann komme ich tatsächlich wieder daheim an. Mir fehlt jeglicher Glauben daran, dass ich das jemals wieder schön finde. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass ich irgendwann mal wieder 5km laufen kann. Ich bin so extrem untrainiert, dass ich auch gar nicht weiß, wie ich es dem Tonangeber sagen soll. Oder den Mitstreitern vom Rookie Projekt. Meine Mitteldistanz ist so weit weg, und ich dachte, dass ich da wieder hinkommen kann… und jetzt das? Nach 3,9km drücke ich den Stopknopf auf meiner Uhr und überlege, ob ich die Treppen überhaupt noch hoch gehen kann. Eventuell wäre ein Seil aus dem 1. Stock eine Lösung und ein Flaschenzug? Wie würde ich jetzt spontan so eine Firma finden, die uns einen Flaschenzug installiert? Was googelt man da am Besten?

Ich schleppe mich dann doch mit letzter Muskelkraft, die Treppe hoch, aber ich kann super gut durchatmen. Dem Zeugwart teile ich mit, dass ich heute leider weder duschen, noch in meinem eigenen Bett schlafen kann. Ich würde einfach hier im Flur sitzen bleiben, Und ich informiere ihn außerdem, dass ich jegliche Wettkämpfe aus meiner Zukunftsplanung gestrichen habe. Er lacht und sagt was von, nicht aufgeben, wird schon werden und ich sei immer so positiv… mehr höre ich nicht, denn dann schlafe ich ein.