Seit dem ich mir die Schuhe wieder zubinden kann, erfreue ich mich minütlich dieser neuen Beweglichkeit und mache die Übungshausaufgaben des Aktiven mit noch mehr Hingabe, als vorher schon. Ich dehne und wippe und halte mich strikt an alle Auf- und Vorlagen. Da sollen mir schließlich keine Klagen kommen, wenn ich heute wieder beim Orthopäden vorstellig werde! Es ist der Tag der Tage heute, rund 6 Wochen nach der Schlüsselbein OP soll ich nämlich die Platte kontrollieren lassen.

Plattenzustand

Je nach Plattenzustand kann dann beurteilt werden, ob der Arm und die Schulter weitere Belastung vertragen und ob der Bewegungsrahmen ausgedehnt werden kann. Derzeit bin ich ja auf 90° limitiert, was gewöhnungsbedürftig ist. Natürlich geht alles und man muß sich immer im Kopf behalten, dass es auch gut hätte passieren können, dass ich mich 6 Fuß unter der Erde hätte befinden können, weil die Ärztin im ersten Krankenhaus den Pneumothorax nicht für diagnosewürdig hielt. Aber da es ja nun mal nicht so ist, wünscht sich der Athletenkörper nichts mehr als schnelle Besserung und endlich eine Mobilität von über 90° für den Arm und eine erhöhte Belastbarkeit. Haare waschen, ein Glas aus dem Schrank holen, Flaschen aufdrehen, Blumen gießen, auf der Seite liegen das alles sind Themen des täglichen Bedarfs und erfordern ein funktionierendes Schlüsselbein.

Schlüsselbein

Das hätte mir mal jemand vor meinem Unfall sagen sollen! Oder noch besser, man hätte mich mal vor meinem Unfall fragen sollen, wofür ich mein Schlüsselbein alles nutze bzw. in welche Art von Körpernutzung es involviert ist. Als medizinischer Laie hätte ich ganz sicher nicht „ein Glas aus dem Schrank holen“ gesagt. Aber gut, ist ja auch egal, ob ich es gewußt hätte, oder eben nicht, es ist wie es ist. Und heute schaut der Orthopäde also mal danach.

Abenteuer

Ich kann ja im Moment kein Auto fahren und wähle so das Abenteuer öffentlicher Personennahverkehr. Im Rhein-Main-Gebiet hat man das Glück praktisch überall auch mit den Öffentlichen hinfahren zu können. Wenn man genügend Zeit hat. Was hat man als kranker Mensch mehr, als Zeit? Ich löse eine Fahrkarte über mein Mobiltelefon und stehe pünktlich an der Haltestelle. Die Verbindung habe ich mir zuvor über meine Handyapp rausgesucht. Der Bus, der zur angegebenen Zeit auftaucht, trägt nicht die erwartete Nummer, sondern ein Schulbussymbol. Aber der Fahrer hält trotzdem. Ich frage ob ich mitfahren kann, und der Fahrer lächelt und sagt ganz trocken: „Nur, wenn Sie noch einen Platz finden!“. Ich trete in den Bus ein und blicke ins Leere. Es gibt keine Passagiere.

Busfahren

Der Fahrer fragt mich, wo ich denn hinfahren möchte und fährt mich zum Bahnhof. Ich bin fast 5 Minuten früher da, als der Fahrplan es sagt. Da kann man ja nur hoffen, dass er nicht mit dem Auslassen der Haltestellen jemanden vergessen hat? Wahrscheinlich streicht er den Tag heute rot im Kalender an, weil die Tour keine Leerfahrt war? Am Bahnhof laufe ich, ebenfalls vollkommen alleine, zum Bahnsteig. Es ist 8:15h. Wo sind die Berufspendler? Habe ich mich im Tag vertan und wir haben Sonntag? Gott lob steht auf dem Bahnsteig noch ein Herr. Wir warten zu zweit und zwar genau so lange, bis irgendwo ganz offensichtlich eine Tür aufgeht und zwar die Tür zum Bahnsteig. Plötzlich und für mich ohne erkennbaren Grund, stürmen Menschenmassen auf den Bahnsteig. Wahrscheinlich ein weiterer Bus, anders ist das nicht zu erklären.

Bahnfahren

Eine Durchsage, dass der Zug 5 Minuten später einfährt, läßt mich kurz rechnen, ob ich den Anschluß zur U-Bahn schaffe. Und weil das eine Dame neben mir mitbekommt, sagt sie, die Bahn kommt da vorne schon, das ist eine aufgezeichnete Ansage, die hier pro Forma jeden Tag abgespielt wird. Ach was. Und tatsächlich, die Bahn fährt ein. Überpünktlich! In der Bahn fragen mich mehrere Menschen, wo sie denn für welche Frankfurter Sehenswürdigkeit am Besten aussteigen und ich habe das Gefühl, dass ich ziemlich wissend aussehen muß. Erstaunlicherweise, kann ich auch zweimal tatsächlich aushelfen und muß sonst passen. Ich muß umsteigen und von der Bahn in die U-Bahn wechseln. Die U-Bahn, die ich eigentlich bräuchte, finde ich nicht, weil die Ausschilderung, wenn man sich auskennt ganz bestimmt super ist, aber für ahnungslose doch noch besser sein könnte. Ich nutze einfach die Alternativ U-Bahn, die ich mir rausgesucht hatte. Die ist ausgeschildert.

U-Bahn

Und kommt in 6 Minuten. Perfektes Timing. Ich stelle mich auf den nächsten Bahnsteig und versuche diesmal möglichst ahnungslos auszusehen, weil ich einfach nicht in der Lage bin, Auskünfte zu geben. Es nützt aber nichts. Kaum stehe ich, spricht mich der Erste an. Ob hier auch eine weitere U Bahn fährt, will der Mann wissen. Ich scanne schnell die Anzeige und antworte, dass ich vermute, alles was hier langfährt, ist auch angeschrieben, denn mir fällt kein Grund ein, eine Bahn hier geheim durch zuschicken. Das leuchtet ihm ein. Und weil das ja so gut geklappt hat, sagt die Leuchtschrift auf meiner Stirn jetzt wohl ganz offensichtlich, dass ich unheimlich gerne jedem bei seinen Fragen helfen würde, falls jene zum Frankfurter Personennahverkehr gestellt wird.

Leider kann ich nicht alle Fragen beantworten. War ja auch irgendwie klar. Ich weiß z.B. nicht, wo die andere U Bahn abfährt, die mich auch ans Ziel gebracht hätte, denn sonst würde ich ja sicherlich bereits drin sitzen. Alles in allem bin ich mit meiner Auskunftsgabe aber sehr zufrieden. Das ist mehr als ich erwartet hätte. Die U-Bahn kommt pünktlich und einen Sitzplatz gibt es auch. Etwas verwundert bin ich, dass die U-Bahn hauptsächlich überirdisch fährt, wo doch das U für unterirdisch steht und die Bahn nicht Ü-Bahn heißt. Aber egal. Andere verwundert das nicht und schwups bin ich auch schon an der Haltestelle meiner Wahl.

Arztbesuch

Beim Orthopäden läuft das Praxismanagement und kaum sitze ich und habe zur ausliegenden Damenzeitschrift gegriffen, werde ich auch schon aufgerufen. Er prüft die Narben und das Heilungsstadium der Schürfwunden, läßt mich durch meinen Lungentrainer atmen und schickt mich dann zum röntgen. Nach mittlerweile 6 Wochen will er wissen, wie die Platte mit dem Schlüsselbein verknöchert ist und ob er die Bewegungseinschränkung aufheben kann.

Kann er nicht. Das Röntgenbild ist eindeutig. So, wie es jetzt aussieht, möchte er noch keine Vollbelastung erlauben und auch eine Bewegung über 90° soll ich noch nicht machen. Ich fühle mich etwas ausgebremst. Gerade erst freue ich mich, dass ich mir die Schuhe zubinden kann und jetzt sagt mein Körper, dass er noch nicht so weit ist, noch größere Schritte zu machen.

Und dabei bin ich jetzt schon ständig dabei mich zu verteidigen, weil alle Welt denkt, es würde aber verdächtig lange dauern mit der Heilung. Ständig muß ich mich neu erklären, warum ich wegen einer gebrochenen Rippe so rumpiense. Wobei es ja genau genommen 11 Knochenbrüche sind und ich auch nachweislich wirklich wenig piense. Die Situationen, in denen ich Schmerzen habe, bekommt von außerhalb kaum jemand mit. Trotzdem sind die Einschränkungen, die ich habe, ganz offensichtlich Grund genug. Egal. Laß die Leute reden! Manchmal einfacher gesagt, als getan, trotzdem eine gute Methode.

Anfang Oktober werde ich erneut beim Orthopäden vorstellig. Dann -so stellt er in Aussicht- gibt es bestimmt ein Rezept zur Physiotherapie um die Vollbelastung des Armes zu trainieren und ein weiteres Rezept zum Lungentraining hole ich mir dann auch gleich noch ab. Bis dahin heißt es jetzt aber ausgebremst im vorgegebenen Rahmen weiter trainieren, nicht unterkriegen lassen und das Beste aus der Situation machen.

Meine Rückfahrt mit den Öffentlichen verläuft extrem unspektakulär.