In altbewährter Cappuccinogruppen Zusammenstellung starten wir heute mit Jill einen erneuten Versuch der gemeinsamen Radausfahrt. Nachdem sie das letzte Ausscheidungsrennen durch die Schilfstrasse ja jäh zur Aufgabe und zur Führung der Berggruppe zwang, sieht es heute besser aus. Wir wollen bis 15h zurück sein, denn der Wettkampf Trainer gegen Teilnehmer auf den Hauspuig steht an und dann gibt es heute Abend zusätzlich auch noch selbstgemacht Paella.

Mit Jill nach Arta

Und die braucht Vorbereitungszeit. Eine Paella kocht für gewöhnlich mehrere Stunden. Es ist also relativ wichtig, dass wir heute pünktlich zurück sind. Ist notiert und sollte auch klappen. Mit Jill wollen wir heute nämlich zum Lieblingsplatz von Timo Bracht. Der hat diese Strecke mal in einer Triathlonzeitung beschrieben und der Zeugwart hat sie sich gemerkt. Es geht für uns heute zum Kloster Bethlem und wir fahren dafür nach Arta. Die Strecke wird vom Tonangeber als flach angepriesen. Ich bin nicht besonders skeptisch, denn flach ist ja ziemlich eindeutig. Es gibt wenig Möglichkeiten das Wort flach zu interpretieren.

Sonnenwunsch

Ich fahre heute mit Armlingen, aber die Beinlinge von gestern lasse ich im Schrank. Ganz so kalt ist es nicht, es ist immerhin Frühling auf Mallorca. Außerdem hatten wir bei der Chefin ja bei Buchung Sonne angekreuzt, wieso sollte ich also an mehr als zwei Tagen Beinlinge brauchen. Das wäre ja total sinnfrei und vollkommen buchungswidrig.

Wellen voran

Für meine untrainierten Athletenbeine geht es heute aber doch ziemlich wellig in Richtung Arta. Die Definition von Flach werde ich gleich, nachdem wir wieder daheim sind, im Lexikon nachschlagen. Und dann -wenn nötig- selbstverständlich mit dem Tonangeber diskutieren. Wir haben mit Jill eine wirklich vorbildliche Fahrradführerin, die großzügig Zeichen gibt, vorausschauend Richtungen weist und sich bemüht, dass alle zusammenbleiben. Am Berg, oder wenn es nach dem Tonangeber geht, an den Hügeln bzw. Asphaltblasen, hat sie damit etwas mehr zu tun, in der Ebene brüllt sie von hinten nach vorne oder umgekehrt und die Gruppe funktioniert überragend.

Nach ein paar Tagen gemeinsamen radelns ist die Gruppe aneinander gewöhnt. Wir harmonieren mehr oder weniger gut, ich kann die Mitfahrer mittlerweile ganz gut einschätzen. Emily Erdbeer zum Beispiel fährt ganz toll ihre Spur, wackelt nicht und schaltet vorbildlich, ja fast nachahmenswert. Sarabi gibt unfassbar guten Windschatten, sie hält eine Linie, schlenkert nicht hin und her und hält einen für mich sehr angenehmen Abstand zu Nebenfrau oder Mann. Wir können gemeinsam um die Kurven fahren, wie in Formation. Als würden wir auf Schienen fahren, als wären wir fahrradtechnisch schon ewig gemeinsam unterwegs. So halten wir stets den gleichen Abstand zum Vordermann und schaffen es wirklich, wie eine Autoachse zu reagieren. Der Zeugwart ist ja sowieso bekannt, fährt unheimlich sicher und vorausschauend und auch bei der Hübschen kann ich die Aktionen meist gut voraussagen. Lediglich der Zerstörer ist mir fahrtechnisch noch zu unerfahren und verlangt mir, wenn er mal direkt vor mir herfährt, jegliche Energie ab.

Definitionsfrage

Unsere Gruppe erarbeitet sich so bis Arta jeden Hügel, wir genießen Aussichten, wenn welche da sind, warten aufeinander, wenn der Gesetzeshüter oder ich mal wieder etwas länger brauchen, und finden uns mal wieder großartig. Jill schafft es uns auch über viel befahrene Strassen und schlechten Straßenbelag sicher zu lotsen und ich bin wirklich begeistert, was die Tricamper uns immer für tolle Guides zur Seite stellen. Solche Leute muß man auch erst mal auftun. Und bei Jill bin ich wirklich geplättet, weil sie mit weit unter 30 wirklich extrem erfahren, verantwortungsbewußt und fürsorglich unterwegs ist. Sie fährt gut Rad, keine Frage, aber die sozialen Kompetenzen und die Fähigkeit ein Radguide zu sein, die braucht Mann oder Frau ja noch zusätzlich. Und hier leistet sie wirklich ganze Arbeit.

Sie hetzt nicht, sie fragt, wie es mir geht. Sie hat ein Auge darauf, ob jemand müde ist, ob Hilfe angebracht ist, oder ob jemand noch mehr möchte. Sie steuert die Gruppe vorbildlich und ich fühle mich wirklich gut aufgehoben.

Wir kommen nach 46km nach Arta und steuern ein Café an. Passenderweise hat es eine Eisbar und heißt „Fahrrad“. Jill hat es wirklich drauf. Ich bin ziemlich geschafft. Die flache (?) Strecke nach Arta hatte es für mich heute tatsächlich in sich. Einen weiteren Aufstieg nach Bethlem schaffe ich definitiv nicht. Aber die Hübsche und der Zeugwart sind motiviert und voller Energie. Und weil Jill ihre Herde zusammenhält, fährt sie mit den Beiden zum Kloster und wir anderen ruhen uns im Café aus.

Als die Herrschaften von ihrem Klosterausflug zurück kommen, bin ich lediglich mittelmäßig erholt. Unfassbar, diese flache Strecke. Wir fahren zurück und bereits beim ersten Anstieg nach Arta falle ich erneut zurück. Ich habe zwar einen Riegel während der Pause gegessen, aber anscheinend ist der noch nicht wirklich angekommen. Ich schiebe ein PowerBar Gummidings nach und erfreulicherweise folgt eine Abfahrt. Perfektes Timing. Wir biegen nach Arta auf das berüchtigte Waschbrett ab und fahren das Waschbrett hoch nach Petra. Also zumindest ist das der Plan. Nach Petra sind es 14km.

Zeitfrieden in Sicht

Nach ungefähr 12km kommt uns die Gruppe vom Tonangeber entgegen und teilt mit, dass die Strasse gesperrt ist und wir umkehren sollen. Ahja. Umkehren? Schockt mich nicht. Mein Riegel hat angeschlagen. Und ich sehe unsere Tagesplanung schwinden. Wir werden es niemals pünktlich bis 15h zurück schaffen. Egal.

Wir haben Urlaub und tun, was super ist. Radfahren in der Sonne. Der Zeitdruck löst sich in Luft auf, wir drehen und ich bin total entspannt. Zu Hause sind meine Tage meistens total durchgetaktet, Arbeiten, Termine zum Monatsabschluß, Wünsche vom Chef, Rehasport, Physiotherapie und Arzttermine, einkaufen, Wäsche waschen, aufräumen, jeder will was von mir und ich natürlich auch von den anderen. So gelange ich nie in die Situation, dass ich mich treiben lassen kann.

Straßensperren

Dieser neu gewonnene Zeitfrieden wird durch ein Radrennen verursacht, für das auf der Insel zahlreiche Strassen gesperrt werden. Und wenn Spanier Strassen sperren, dann aber richtig. Es gibt keine Kreuzung, keine Überquerung oder Ausnahme. Wir sprechen mehrere Ordner an. Also die Hübsche, weil sie Spanisch spricht. Ich nicht, denn ich kann kaum ein Wort. Aber ich denke tatsächlich darüber nach, das zu ändern. Schaden würde das nicht.

Wir legen noch eine Pause ein, weil die Chance besteht, dass der Führende bald vorbei kommt. Aber als er sich dann doch nicht blicken läßt, fahren wir doch weiter. Es ist ja nicht so, als wären es nur noch 2km bis heim… wir haben immer noch rund 30km vor uns. Und die Verpflegung wird knapp. Und meine Mitstreiter können dem Zeitfrieden nicht so viel abgewinnen, wie ich.

Mit reichlich Verspätung und noch ein paar Umwegen sind wir dann aber überpünktlich zur Paella daheim. Die kommt nämlich ebenfalls mit spanischer Verspätung. Die Chefin hat aber vorgesorgt und ich kann schon mal Salat und Vorspeise in mich reinschaufeln. Gut, dass sie weiß, wie man sich nach so einem beradelten Tag fühlt. Im Hotel würde ich jetzt wahrscheinlich nicht so viel Verständnis ernten.

Während die Hübsche ihrem Körper heute alles abverlangt hat und mit engmaschiger Betreuung ihre Speicher auffüllt um fit für den morgigen Tag zu sein, falle ich zeitnah nach dem Essen ermattet ins Bett. Ich könnte noch 10 Teller Paella essen, wenn ich doch nur nicht so müde wäre. Oder 11 oder 12.