Heute bin ich nicht so fit, wie vorgestern. Die Woche ist fortgeschritten und ich habe Muskelkater von gestern, zusätzlich fällt jede Menge verrückte Arbeit an und dann setzt das System noch einen drauf und stürzt ständig ab. Einmal mit Profis arbeiten! Oh man. Das ist aber heute ein bisschen zu viel erwartet, ganz offensichtlich. Na hoffentlich täusche ich mich da heute mittag mal nicht bei meinem Lauf. Obwohl ich nicht zu viel erwarte, finde ich zumindest. Ich möchte einfach nur ein Stück weiter laufen, als vorgestern.

Das sollte ja zu schaffen sein. Selbst ein Meter mehr könnte ja schon weiter sein, als vorgestern. Tja, so einfach denk ich mir das und ziehe mich dann auch mit etwas Verspätung um zum laufen. Wenn ich es nicht durchziehe, dann werde ich nicht besser, so einfach ist das. Also muß ich dranbleiben, auch wenn es mir heute tatsächlich besonders schwer fällt. Aber ich habe den Kollegen erzählt, dass ich laufen gehe, also haben sie natürlich nichts besseres zu tun, als regelmäßig nachzufragen, als ich zur angekündigten Zeit noch am Tisch sitze und arbeite.

Druck ist manchmal ganz gut, ob das heute auch der Fall ist, merke ich gleich. Schon nach 200 Metern bin ich platt. Aber aufgeben ist keine Option, zumindest heute nicht. Ich möchte ja immerhin ein Stück weiter laufen, als vorgestern. Aber das ist schwer. Sehr schwer. Ich kämpfe ab dem ersten Kilometer. Mein Puls ist hoch, meine Beine sind müde, jede Pfütze und jede Unebenheit im Weg registriere ich mit purer Anstrengung. Ich brauche ein Mantra. Heute mehr als sonst, wenn mir nicht gleich eines einfällt, dann muß ich eine Gehpause machen.

Es führt kein Weg dran vorbei. Ich denke an Patrick Lange und wie ihn das Trikot von Darmstadt 98 und der Zuruf „Du mußt kämpfen“ beim Ironman Hawaii auf der Laufstrecke beflügelt hat. Ich bin weiter entfernt von Hawaii als vom Mond im Moment. Es ist mir schier unbegreiflich, wie ich den zweiten Kilometer überhaupt hinter mich bringen konnte und wie ich es zum dritten Kilometer geschafft habe. Es ist heute wirklich unendlich schwer. Aber Patrick ist einfach weiter gelaufen. Ich denke daran, wie er sich an den Verpflegungsposten mit Schwämmen versorgt hat und alles mit beiden Händen gegriffen hat und irgendwie hilft mir das.

Obwohl es hier natürlich keine Verpflegungsstelle gibt. Hier gibt es nur das Feld, meine Müdigkeit und mich. Und meine Überwindung einfach weiter zu laufen. Und wirklich einfacher wird es heute nicht. Und von dem Genusslauf, den ich noch vorgestern an genau dieser Kreuzung voller Freude in den Beinen gespürt habe, merke ich ebenfalls nichts. Mittlerweile bin ich beim vierten Kilometer angekommen und hier muß ich an die Hübsche denken. Sie wollte heute eine Runde auf dem Fahrrad drehen. Wie es ihr dabei wohl ergangen ist? Hoffentlich hat sie nicht so viele Absätze und Pfützen auf ihrem Weg, sonst muß sie später ordentlich putzen!

Die Meter ziehen sich und meine Gedanken sind zurück bei der Hawaiübertragung. Kämpfen um jeden Meter, so einfach ist das. Eigentlich. Wenn man Patrick Lange heißt. Bei Claudi ist das zwar schwerer, aber heute beiße ich mich durch. Bis zum Hügel. Hier sind 4,3km vergangen und ich habe die Wahl zwischen kollabieren und einer Gehpause. Und ganz blöd bin ich auch nicht. Also walke ich den Hügel flott hoch, schieße dabei noch ein Blogbild und dann jogge ich langsam und locker zurück zum Büro.

Skyline

Soweit man das locker nennen kann, denn die Pulswerte sind trotzdem noch viel zu hoch. Aber manchmal muß der Coach einfach verstehen, dass es um etwas Größeres geht. Manchmal sind die Prioritäten anders, als es der Trainingsplan auf den ersten Blick erkennen lässt. Und GA1 hin oder her, manchmal ist es einfach viel wichtiger sich durchzubeißen, egal ob man auf Hawaii um den Sieg läuft, oder ob es im Feld um ein paar weitere Meter geht. Eigentlich ist alles ganz einfach. Weil man sich durchkämpfen kann.