Der Charmeur ist aus dem Osterurlaub zurück. Er war zu Hause, am Meer und ist dort auch fleißig gelaufen. Zumindest sagt sein Tracker das und er natürlich auch. Der Tracker zeigt eigentlich deutlich, dass der Charmeur viel schneller daheim gelaufen ist, als mit mir zusammen hier in den letzten Monaten. Trotzdem will er heute mitlaufen. Walter Mitty hat mir noch eine neue Streckenvariante mitgeteilt und so wollen wir heute also unsere sonst übliche 5,5km Runde um einen Kilometer erweitern. Ich bin mir, als ich mich mit Walter Mitty bespreche, vollkommen sicher, dass das eine wunderbare Idee ist.

Als ich dann realisiere, wie mein heutiger Tag so verläuft und dass ich ganz schön viel auf dem Tisch habe, was abgearbeitet werden möchte, bin ich schon nicht mehr ganz so überzeugt und je näher unsere verabredete Loskauf-Zeit rückt, desto weniger glaube ich, dass 6,5km heute ein gutes Ziel sind. Aber deshalb laufe ich ja mit dem Charmeur, der rechnet nämlich seit heute früh mit der Distanz und es wäre total launisch ihm jetzt damit zu kommen, dass es doch nicht klappt. Auf einen Kilometer mehr oder weniger wird es schließlich nicht ankommen.

Wir laufen pünktlich los, weil ich beschließe, dass ich mich in aller Ruhe umziehe und nicht erst wieder kurz vor knapp in die Klamotten hüpfe. Das war schon mal eine sehr entschleunigende Entscheidung. Irgendwie ist ein langsames Anlegen der Klamotten für mich wirklich selten. Das klingt gerade so, als wäre ich immer in Eile, was natürlich nicht wirklich so ist. Aber wenn ich mich für den Sport umziehe, auf der Arbeit, dann kann ich sicher sein, dass mir von meinen geplanten 10 Minuten in Ruhe umziehen, wegen wichtiger Cheffragen, Telefonaten oder dem berühmten „kannst Du da gerade noch mal schauen“ nur 6 übrig bleiben. Und irgendwie sind 6 Minuten ganz schön wenig zum umziehen, zumindest bei meiner Körperoberfläche.

Ich versuche dem Charmeur wenigstens kurz zu skizzieren, wo wir Langlaufen werden, aber das ist wie Perlen vor die Säue geworfen. Der Charmeur hat wirklich überhaupt gar keine Orientierung, wohingegen meine mit zunehmendem Alter scheinbar stetig zunimmt. Er schaut mich fragend an und weil er sowieso gar nichts wiedererkennt, kann er auch nicht beliebig schneller laufen. Er würde das Büro dann nämlich nicht mehr wiederfinden. Besonders amüsant daran ist, dass das Büro, bzw. der Gewerbepark in dem es angesiedelt ist, mit einer deutlichen Landschaftsmarkierung gesegnet ist und wir über viele Felder laufen.

Man kann also herrlich weit schauen und sich, auch wenn man die Wege nicht kennt, prima daran orientieren, dass man dieses Gebäude irgendwo immer entdeckt. Egal, wo man hier im Umkreis gerade so rumläuft. Der Charmeur ist davon jedes Mal erneut überrascht. Heute biegen wir einmal anders rechts ab, es geht hier deutlich Berg an und ich merke, dass der Charmeur eigentlich mit einer Gehpause rechnet. Aber die gibt es heute nicht. Ich laufe einfach weiter, bis wir oben sind. Das ist allerdings schon total anstrengend und wahrscheinlich wäre eine Gehpause auch besser gewesen, aber jetzt ist es auch egal, ich bin nämlich oben. Von hier kann man das Büro noch besser sehen, als von unten vom Feld, aber der Charmeur zeigt trotzdem in eine vollkommen andere Richtung mit der Vermutung, dass wir da nun zurück zum Büro kämen.

Und als ich ihm mitteile, dass wir genau hier schon ein paar Mal gewesen sind, ist er noch überraschter, als bei der Nachricht, dass das Büro genau hinter uns ist. Der Charmeur ist wirklich vollkommen orientierungslos, beeindruckend. Zusätzlich belastet ihn das auch kaum… weil er mir einfach blind vertraut. Kann er ja auch. Ich bringe uns auf jeden Fall zum Büro zurück. Kein Problem. Wir laufen durch die Sonne, haben etwas Rückenwind und ich bin sehr zufrieden, dass wir tatsächlich runde 6km auf der Uhr haben. Ein guter Lauf.