So kurz nach dem Ironman Frankfurt und der Challenge Roth, wo sich große Erfolge eingestellt haben, fällt es schwer kleine Erfolge auch entsprechend zu würdigen. Irgendwie arbeitet man ja eh unheimlich gerne mit Abwertung. Jeder Mensch, besonders Frauen, und noch viel mehr Athletinnen, sind groß darin, ihre Leistungen abzuwerten und mit einem „nur“ zu versehen. „Ja ich laufe, aber nur Trails.“ „Ja, ich mache Triathlon, aber nur Mitteldistanz.“ „Ja, ich fahre Fahrrad, aber nur bis zu 50km.“

Abwerten tun wir uns irgendwie gerne. Zumindest die Meisten. Ausnahmen gibt es immer. Aber manchmal sind es die kleinen Erfolge, die zählen. Manchmal sind die kleinen Schritte wichtiger, als die Großen, manchmal muss man zwischen den großen Leistungen, wie den Langdistanzen der Tricamper und dem grandiosen Radpart von Lovis, Zeit finden, auf sich selbst zu achten. Positive Erfahrungen sind für mich, was das Rad fahren angeht, selten. Selbst wenn ich etwas positives erlebe, sehe ich es als Ausnahme an, die die Regel bestätigt.

Seit dem Ausflug mit Eva, die mir Rückenwind beschert hat, übe ich, die Sachen anders zu sehen. Ich nehme etwas positives mittlerweile anders war, nämlich als etwas positives. Als etwas schönes, dass passiert, weil es eben genau so passieren soll. Und nicht als Ausnahme, oder auch nicht als etwas was normal ist und das Schlechte ist dann eben besonders schlecht und das Gute ist normal. Das ist aber auch kompliziert.

Weil es bei mir mit der ursprünglichen Planung nicht so hingehauen hat, wie gedacht, muß ich mein Auto heute in die Werkstatt bringen. Die Werkstatt ist aber nicht so gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und so bringe ich das Auto heute hin und will mit dem Rad wieder heim fahren. Eine kleine erste Herausforderung ist dabei, das Rad in mein kleines Auto zu bringen. Dann geht’s auch gleich weiter, weil ich mir natürlich nicht zutraue, das Rad auch alleine zusammenzubauen. Und dann muß ich ja zurück nach Hause fahren.

So viele Stressfaktoren auf einem Haufen. Ich nehme erst mal den Druck raus. Das ist meine erste Taktik. Ich gebe mir kein Zeitlimit. Ich bin bei allem genau so schnell, wie ich eben bin. Ich muß zwar im Homeoffice arbeiten, aber ich habe Bescheid gesagt, dass ich eine Werkstattabgabepause einlege. Und ob das nun 10 Minuten, 30 Minuten oder 1 Stunde dauert, das ist dann eben so. Es ist nicht so, als würde die Arbeit sich von alleine machen, ich kann die also später auch noch erledigen.

An der Werkstatt angekommen, packe ich in aller Ruhe mein Rad aus dem Auto und baue es zusammen. Ich muß tatsächlich einmal absetzen, weil ich vor Anspannung zittere, aber dann klappt es und das Rad ist wirklich blitzschnell zusammengebaut. Der Zeugwart hatte recht, als er mir gesagt hat, dass ich genau weiß, wie es geht und dass er keine Bedenken hat. Der hat halt Ahnung. Also schiebe ich das zusammengebaute Rad ins Büro der Werkstatt, gebe meinen Autoschlüssel ab und verabschiede mich.

Draußen starte ich den Live Track auf meinem Garmin Edge und begebe mich auf die Straße. Das ist eine vierspurige Strasse mit extra Fahrradstreifen, zwischen der rechten Autospur und den geparkten Autos. Der Fahrradstreifen ist nicht baulich getrennt und so denken die Autofahrer anscheinend, dass es in Ordnung ist mir weniger als 1,50m Platz zu lassen. Das ist es aber nicht. Keineswegs. Das erste Fahrzeug, was eindrucksvoll beweist, dass das nicht in Ordnung ist, ist ein riesiger Betonmischer. Er kommt 100m vor mir an der Ampel zum stehen.

Ich klopfe an die Beifahrertür. Das Fenster fährt runter und von ziemlich weit oben höre ich jemanden schreien „WAS?“ ich antworte, dass es einen gesunden Mindestabstand für das Vorbeifahren an Radfahrern gibt. Die Stimme ohne Gesicht antwortet wieder ziemlich laut, dass ihr das wohl bekannt ist, aber dass eben links Nebendran ein Auto gefahren ist. Ich antworte nun, auch etwas lauter, als vielleicht nötig, dass ich ja wohl verletzlicher bin, als ein Auto und dass er durch sein gefährliches Naheheranfahrmanöver ja schließlich auch keine einzige Sekunde gewonnen hat, immerhin stehen wir ja an der gleichen Ampel.

Die Ampel wird grün und ich fahre los. Der Betonmischer LKW bleibt stehen. Hinter mir entflammt ein Hupkonzert, die Spur neben mir ist frei. Dann überholt mich der Betonmischer mit einem so komfortablen Abstand, den ihm dann auch noch zwei nachfolgende Autos nachmachen, dass ich nicht anders kann. An der nächsten Ampel klopfe ich noch mal an die Beifahrertür. Die Scheibe geht runter und ich höre die altbekannte Stimme „WAS?“ . Ich schreie einfach nur „Danke!“ zurück. Die Ampel wird grün, und wir wiederholen die Abfahrt von eben. Dann biege ich auf den nun baulich von der Straße getrennten Radweg ab. Das gefährlichste Stück liegt nun, denke ich, hinter mir.

Das war doch mal ein sehr positives Erlebnis. Das war nicht einfach nur normal. Die Betonmischerstimme hätte ganz anders reagieren können, hat sie aber nicht. Man muß also einfach auch mal Glück haben. Ich fahre den Weg zurück nach Hause und alles klappt prima. Und später am Nachmittag, als die Zweifel kommen, ob ich auch wieder mit dem Rad zur Werkstatt fahre um das Auto abzuholen, sagt der Zeugwart, dass das doch eine gute Idee ist. Er könnte mich zwar auch fahren, aber jetzt, wo radeln so gut klappt…

Klappt das wirklich gut? Was ist, wenn doch was schief geht? Aber was sollte denn schief gehen? Mit Rückenwind klappt’s bestimmt, ich muß es einfach positiv sehen. Ich kann also das Auto mit dem Rad abholen fahren. Und deshalb mache ich es auch. Wieder ohne Hetze und mit Bedacht, diesmal ohne zu nahe Autos und mit einem durchweg positiven Gefühl. Das Auseinanderbauen klappt auch prima und so ist das Rädchen flott verladen und ein Radtag ganz alleine abgehakt. Es ist jetzt nicht so, als wäre ich stundenlang unterwegs gewesen, oder extrem weit.

Das ist weder mit einer Trainingsradfahrt, noch mit einer Langdistanz vergleichbar. Das weiß ich auch. Aber es ist trotzdem ein Erfolg. Weil Erfolge klein oder groß sein können, das sie aber nicht weniger zum Erfolg macht. Manchmal zählt die Größe nicht.