Wenn man etwas Neues bekommt, dann ist die Vorfreude ja auch immer etwas ganz Besonderes. Der Zeugwart und ich haben ja in den letzten Wochen auf unsere Gravelbikes gewartet, nachdem wir uns dazu entschieden hatten, sie im Bike-Loft in Wiesbaden zu kaufen. Dort, bei Jan, hatten wir einfach die beste Beratung und ich hatte zusätzlich die Möglichkeit zu einer Probefahrt. Gerade die Probefahrt ist ein wichtiges Entscheidungskriterium, finde ich. In meiner Größe (1,63m – ich brauche einen XS Rahmen, was immer ungefähr 46 oder 48 entspricht) sind Räder für Probefahrten nicht leicht zu finden. Und das zweite Kriterium, was mich beeinflusst, ist eine richtige Beratung. Eine auf Augenhöhe. Beides gab es im Bike-Loft und dazu noch jede Menge positive Sachen mehr, die uns gefallen haben. Heute können wir mein Gravelbike abholen. Das vom Zeugwart natürlich auch.
Ich freue mich seit Tagen auf mein neues Fahrrad! Vorfreude ist ja die schönste Freude, ich weiß das. Und es ist auch nicht so, als hätte ich kein Fahrrad. Trotzdem ist das Gravelbike eben noch mal eine ganz andere Art Rad. Es ist nicht dafür gemacht schnell zu sein, wie ein Crosser. Es ist keine Rennmaschine, es kann auf der Straße fahren, aber im Wald, auf unbefestigten Wegen, ist es zu Hause. Das Open Wide ist dafür gemacht abseits der Straße durch die Natur unterwegs zu sein. Dieses Rädchen wird mir Berg auf und Berg ab ganz neue Möglichkeiten aufzeigen. Ich sitze darauf deutlich weniger gestreckt, als auf dem Crosser. Und natürlich bin ich viel langsamer unterwegs, als auf dem Rennrad oder dem Triathlonfahrrad. Genau das Andere extrem, wenn man nicht gleich ein Mountainbike fahren möchte, so scheint es mir.
Der Termin zum abholen der Räder ist heute Mittag und so fahren der Zeugwart und ich nach dem morgendlichen Lauftraining ganz in Ruhe mit und in unseren Radsachen nach Wiesbaden. Wir haben heute ja unseren ersten Urlaubstag und statt im Flugzeug in die USA zu sitzen, fahren wir am Flughafen vorbei und stürzen uns ins Getümmel des Wiesbadener Stadtverkehrs. Im Bike-Loft bekommen wir noch mal alles ganz genau erklärt. Ich zum Beispiel noch mal die Schaltung an meinem Rädchen. Natürlich bin ich es schon gefahren, aber so wirklich kann ich mich nicht erinnern. Kein Problem für Jan, obwohl er sich das erst nicht vorstellen kann. Wie kann man bloß eine Schaltung vergessen. Nun ja. Ich kann das halt.
Nachdem auch der Zeugwart für sein Rad, alle Erklärungen bekommen hat, drehen wir eine kurze Runde über den Neroberg. Für den Zeugwart ist das Gravelbike ein Quantensprung in Sachen Technik. Einfach deshalb, weil er bisher an keinem Rad elektronische Schaltung oder Scheibenbremsen fährt. Beides bietet sich zum Gravelbike fahren aber an. Klar, geht es auch mechanisch, so wie es immer auch anders geht, aber darum geht es ja nicht. Es gibt also einige technische Neuerungen, die der Zeugwart an seinem Rad erlebt. Und die wollen nicht nur richtig bedient, sondern natürlich auch ordentlich gepflegt und gewartet werden. Wir sind zwar keine Putzteufel, aber die Funktionalität sollte man -vor allem beim Offroad fahren- natürlich bestmöglich erhalten.
Nach den ausführlichen Erklärungen und noch ein paar kleinen Schraubarbeiten, weil wir noch Flaschen- und Garminhalterungen mitgebracht haben, machen wir uns auf zum Neroberg. Wir wollen eine kleine Runde über verschiedene Untergründe machen um für den Fall, dass etwas knarzt oder komisch klingt, gleich noch nachstellen lassen zu können. Gefühlt halte ich an jedem Baum um ein Foto zu machen. Mit Fahrrad, ohne Fahrrad, hier ein Blatt, was hübsch aussieht, da ein besonderer Blick. Ein herbstlicher Blätterhaufen, eine Allee mitten im Wald und in der Mitte ein Brautpaar an ihrem schönsten Tag im Leben, der Neroberg mit seinem kleinem Tempel… einfach alles ist ein Foto wert. Natürlich. Das Gravelbike entschleunigt mich maßlos. Ich komme mir ein bisschen so vor, wie bei einem Wochenende mit Lovis und dem Räuberhauptmann oder im Fincaurlaub mit den Tricampern.
Auch da ist es so, dass der Urlaub im Prinzip sofort beginnt und die damit verbundene Entschleunigung mich gleich packt. Ich bin nicht so gut darin von alleine runter zu kommen. Ganz oft erwische ich mich am Wochenende, an Feiertagen und sogar im Urlaub dabei in meine Arbeitsemails zu schauen. Ich bin von selbst kein guter Abschalter. Aber erfreulicherweise habe ich herausgefunden, dass manche Faktoren meine Entschleunigung einfach perfekt triggern. Dieses Rad und die damit verbundenen Möglichkeiten abseits von Verkehr und Straße unterwegs zu sein, ohne, wie beim Crosser, nach vorne zu drängen, helfen mir dabei. Manchmal braucht der Mensch einfach Hilfe und wenn sie dann auch noch so schön daher kommt, ist mir das gerade zweimal recht.
Die Fahrt rauf zum Neroberg klappt gut. Natürlich bin ich nicht schnell, aber ich bin auch nicht so langsam, dass ich umkippe und vor allem muß ich nicht absteigen und schieben. Ich trete einfach langsam und kontinuierlich weiter und zack, bin ich oben. Und der Blick ist grandios. Wir biegen ab in den Wald und ich nehme jeden Untergrund. Mit dem Rad habe ich keine Bedenken bei Schotter, Sand oder richtig ausgewaschenen Passagen. Wir fahren einfach durch. Beschleunigung muß ich noch üben, einfach deshalb, weil meine normale Taktik beim Berg hoch beschleunigen eben immer „aus dem Sattel“ gehen ist. Da hat mein Gravelbike dann nicht so viel Gripp und mein Hinterrad dreht durch. Ein neues Gefühl, aber kein Problem. Manche Dinge kann mir das kleine Rädchen nun eben beibringen. Ich setze mich also wieder hin und trete einfach so weiter.
Und komme auch oben an. Natürlich.
Es kommt nicht auf die Geschwindigkeit an im Moment. Ich endschleunige in dieser einstündigen Fahrt so extrem, dass ich ganz selig zurück in den Laden komme. Jan muß noch ein paar Sachen an den Bremsen nachstellen und dann bekommen wir noch allerlei Ersatzteile mit und Hinweise, was wir so am besten wie transportieren und dabei haben sollten. Ich kriege noch eine Satteltasche, denn auch beim Graveln bietet es sich an, einen Schlauch und etwas Werkzeug dabei zu haben. In der nächsten Woche kommt dann noch eine Rahmentasche für mein Rädchen, die Platz für eine Weste und eine Regenjacke bietet, aber trotzdem in den kleinen Rahmen super reinpasst. Wenn die da ist, fahren wir bestimmt noch mal in Wiesbaden Fahrrad. Oder auch nach Wiesbaden mit dem Fahrrad. Immerhin haben wir ja Urlaub.
Was mir wirklich besonders gut gefällt ist, dass Jan sich so viel Zeit nimmt für uns. Anders, als bei anderen Händlern, wo ich schon öfter mal das Gefühl hatte im Grunde lästig zu sein, oder wo der Zeugwart eher angesprochen wurde, als ich, kommt es hier darauf an, dass wir alles erzählt bekommen, was wir wissen müssen. Es kommt darauf an, dass wir das perfekte Radübergabe-Erlebnis haben und darauf, dass wir mit unseren Rädern bestmöglich zurecht kommen. Von Anfang an.
Auf dem Weg zum Auto gehen wir noch bei der Erstbesitzerin im Majola Shop in Wiesbaden vorbei. Ich will mich einfach noch mal bedanken, dass sie das Rad verkauft hat. Sie konnte sich verständlicherweise nur schwer trennen. Ich bin allerdings sehr froh, dass sie es getan hat. Und immerhin sitzt sie mit Jan ja auch an der Quelle und hat sicherlich in kürzester Zeit einen neuen fahrbaren Untersatz. Überglücklich und selig lächelnd schiebe ich mein Rad im Anschluß zum Auto.