War ja klar. Heute früh kann ich mich kaum bewegen und muß mich wie eine alte Oma aus dem Bett schälen. Ich weiß jetzt schon, außer dass ich Schmerzen habe, dass der Aktive mich bei unserem Treffen heute Mittag garantiert für vollkommen bekloppt halten wird. Oder mir so einen Spruch drückt, der natürlich die Wahrheit wäre, aber die Schmerzen nicht reduzieren kann. Warum Physiotherapeuten immer recht haben zum Beispiel, oder dass ich es übertreiben würde, oder kränker bin, als ich das meine. Irgendwie sowas. Und dann stimmt das auch noch. Bislang hatte er immer recht. Nervig ist das.

Immer er

Da wir uns am Mittag sehen, verbringe ich den Vormittag weitestgehend in Schonhaltung und fahre dann mehr als pünktlich zur Praxis. Zusammenreißen geht, der Weg zur Praxis ist ja nicht ganz so weit. Wir haben uns letzte Woche nicht gesehen, weil ich wieder geschäftlich unterwegs war, aber ich habe weitestgehend zufriedenstellend meine Hausaufgaben absolviert. Weitestgehend, weil ich meine 10kg Scheibe weder mit nach Nizza nehmen konnte noch vor Ort genug Platz und Verfügbarkeit hatte, um großartig etwas zu stemmen. Hotelzimmer in Nizza zeichnen sich nicht unbedingt durch eine Fitnessausstattung oder durch besonders viel Platz aus.

Nachdem ich in der Physiotherapiepraxis noch ein paar administrative Erledigungen gemacht und eine Packung Merci abgegeben habe, freut sich der Aktive auch schon, mich zu sehen. Wir kommen gut miteinander aus, die Freude ist also echt. Und nachdem ich mit meiner Leidensgeschichte fertig bin und auch zufällig den schmerzenden Punkt sofort zeigen konnte, ist auch sein Kommentar echt. Wie ich es mir schon gedacht habe… ich übertreibe es, ich bin unfit, ich muß langsamer machen.

Recht hat er

Der Aktive verbiegt mich auf wirklich sehr spannende Art und Weise und verspricht Linderung der Schmerzen und Verbesserung der Stabilität. Die sei mein eigentliches Problem. Dabei dachte ich immer, bis diese Gedanken heute durch die Wahrheiten des Aktiven, ein jähes finden, dass ich ganz beweglich sei. Ich dachte, ich wäre ganz gut in Form und dass ich ziemlich viel aushalte und flexibel bin. Aber, das liegt natürlich immer im Auge des Betrachters und es kommt natürlich auch darauf an, was man in den Vergleich zieht. Der Aktive stellt einfach die Tatsachen fest und die sind eindeutig. Ich bin weder gut in Form, noch besonders beweglich. Obwohl er sich mal wieder mit Kampfgriffen über mich hermacht, die auch jeden Verbrecher dingfest machen würden und ich, während ich im Griff gefangen bin, schon finde, dass zum Aushalten dieser Position eine gewisse Flexibilität dazugehört. Aber ganz offensichtlich setzt er andere Maßstäbe als ich. Irgendwie tue ich mir auch gerade ein bischen selbst leid, wie ich so verwurschtelt mit ihm auf der Bank liege.

aber kein Mitleid

Am Mittwoch, wenn ich wieder komme, ziehe ich eine Jogginghose an. Obwohl der Aktive sagt, dass die Unflexibilität nicht an der Jeans liegen würde. Also ich weiß ja nicht. Ich habe heute mehrfach das Gefühl, dass ich durchbreche, obwohl die Schmerzen gar nicht so extrem sind. Ich habe den Grundschmerz und das, was der Aktive da noch oben drauf setzten kann, ist zwar unangenehm, aber nicht zum sterben. Im Aushalten bin ich gut. Der Aktive weist an, dass ich morgen laufen gehen soll. Aber nicht so verrückt, wie gestern. Ich soll langsam machen und dazu Intervalltraining. Gehpausen sinnvoll nutzen oder so ähnlich drückt er sich aus. Da ich ihn am Mittwoch schon wieder sehe, traue ich mich auch gerne das morgen mal zu machen. Etwas skeptisch bin ich allerdings trotzdem. Die Schmerzen sind wirklich ätzend.

2+2=4

Aber ich will auch nicht, dass er am Mittwoch dann nichts zu tun hat. Immerhin habe ich das Gefühl, dass er seine Arbeit liebt und sich immer freut, wenn er mich verbiegen kann, oder wenn ich berichte, dass es mir etwas besser geht. Selbstlos anderen zu helfen zum Beruf zu machen und sich dann auch noch immer darüber zu freuen, dass es wirkt ist eine wirklich ganz andere Welt, als die meine, die rein kaufmännisch lebt. Zwar hat das Produkt viel mit Leidenschaft zu tun, aber meine Arbeit direkt nicht. Obwohl ich mich auch leidenschaftlich aufreiben kann, wenn jemand 2+2 als =5 ausrechnet und einfach nicht verstehen möchte, warum ich das nicht aktzeptieren kann. Zwei Welten halt.

Meine unflexible Jeans, die sich in vollkommener Unschuld sult, und ich verbringen einen recht unbeweglichen Nachmittag vor dem Schreibtisch und ich mache heute Abend noch mal meine Hausaufgaben. Dass diese Unflexibilität an mir liegt und ich keine Stabilität habe, das kann ich wirklich nicht auf mir sitzen lassen. Ich muß dringend was tun!