Heute früh stehe ich auf und weiß, ich laufe heute Halbmarathon. Noch nie war ich davon so überzeugt, wie heute. Und ich bin ja tatsächlich schon einige Halbmarathons in meinem Läufer- und Triathleten- Dasein gelaufen. Man könnte also meinen, dass ich mich bereits des Öfteren gezielt auf einen Halbmarathon vorbereitet habe. Das ist auch so. Allerdings hatte ich bisher immer Muffensausen. Ich glaube vor allem, weil so viele Leute involviert waren. Alle wussten Bescheid, alle waren da und ich bin immer bei Veranstaltungen gelaufen. Heute ist keine Veranstaltung. Selbst das Radrennen am 1. Mai ist verschoben. Die Pandemie hält die Welt weiter in Atem. 

Die letzten Tage habe ich trainings- technisch langsam gemacht und mich mehr erholt, als dass ich ran geklotzt hätte. Alles ein Teil des geheimen Plans. Ob das heute klappt mit dem Halbmarathon? Wer weiß das schon? Mit der neuen Bandage bin ich bisher maximal 11 km gelaufen, allerdings auch schon öfter vor der Arbeit mal 8-10. Die Bandage ist also Belastung und das Knie hat sich an die neue Straffheit gewöhnt. Ob es ein Dreamteam wird? Es fühlt sich zumindest ein bisschen danach an. 

Ich eröffne dem Zeugwart also heute früh beim Frühstück unsere Tagesplanung. Oder vielmehr meine. Er läuft natürlich keinen Halbmarathon heute. Der Zeugwart hat eine Sportüberlastung und ist deshalb eher im Ruhemodus. Mit Cremes, kühlen und ausruhen soll die Überlastung schnell ausheilen. Eigentlich hatte der Arzt auch Stromtherapie verschrieben, aber unsere Krankenkasse scheint mit der Beschaffung an ihre Grenzen zu kommen. Zumindest wartet der Zeugwart seit 1,5 Wochen auf das Gerät. Nun ja. Dazu schreibe ich besser nichts weiter. Am Frühstückstisch schauen wir also mal nach einer 21 km langen Laufrunde. Hin – und wieder zurück Laufen ist ja bekanntlich nicht so mein Bereich. 

Ich mag Wendepunkt Strecken einfach nicht so sehr, wie eine Runde. Das ist natürlich bei Laufveranstaltungen vom Feinsten und viel schöner, als wenn man es selbst plant. Die Strecke steht fest. Und ist für die Läufer abgesperrt. Bei mir sieht das heute anders aus. Der Zeugwart und ich planen die Strecke beim Frühstück und kommen auf gut 20 km. Und wenn ich dann noch fit bin, laufe ich einfach noch eine Schleife hinten dran und hab den Halbmarathon. Ich bin ganz ruhig und gelassen. Was soll passieren? Keine Spur von Aufregung. Keiner, außerdem Zeugwart, wünscht mir Glück oder Erfolg, alles ist entspannt. 

Ich ziehe mir meine Klamotten an und es ist egal, wie lange ich brauche. Wäre ich Teil einer Laufveranstaltung muss ich zu einem bestimmten Termin fertig sein. Dann geht’s in die Startaufstellung und man wartet in einer Menschentraube auf den Start. Heute ist das anders. Der Start ist hier daheim, wenn ich so weit bin. Ganz einfach. Es geht dann los, wenn es losgeht. Nicht, weil irgendwo ein Startschuss fällt. Ich nehme mir eine kleine Flasche* mit Wasser mit und ein Energiegummibärchen*. Ansonsten habe ich nicht viel dabei, meine Kamera, mein Telefon, eine Maske, Taschentücher und unseren Schlüssel. Was könnte ich noch gebrauchen? 

Anfangs laufe ich eher unbefestigte Wege. Mein Plan ist, dass ich je weiter ich komme, desto bessere Untergründe unter den Füßen habe. Das minimiert mit steigender Ermüdung hoffentlich die Gefahr umzuknicken. Sicher ist da natürlich trotzdem nichts, aber so kann ich auf die Ermüdung vielleicht eingehen. Ich verabschiede mich vom Zeugwart und trabe los. Kopfhörer habe ich in meiner Brusttasche dabei, aber jetzt zu Anfang ist mir nicht nach Musik. Ich beginne am Feld und im Wald mit meinem Lauf und da ist es ganz schön den vielen Vögeln zuzuhören. Es gab eine Zeit, da hab ich nie Singvögel gehört oder gesehen. Die scheint erfreulicherweise vorüber.  

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Ich trabe ein paar Schlenker, bis ich unten am Main bin und schon ein gutes Drittel meines heutigen Halbmarathons in den Beinen habe. Im Wald war praktisch gar nichts los, hier unten am Main wird es schon voller. Die Menschen zieht es einfach an ihren Fluss. Als Läuferin bin ich aber durch die Menschen nicht so behelligt. Ich glaube, die vielen Radfahrer finden eher mich blöd, als ich sie. Immerhin lasse ich mir am Rand immer etwas Notfallplatz, damit ich zur Not zur Seite hüpfen kann, ohne gleich im Main zu landen. Der Mainuferweg ist nicht vollkommen überbevölkert, die Menschen treten eher punktuell auf. Also immer genau an den Häusern. Wirklich weit spaziert hier kaum einer. 

Mittlerweile bin ich schon über die Hälfte meiner geplanten Strecke unterwegs. Ich mache mal eine Gehpause und trinke etwas. Außerdem esse ich mein Gummibärchen. Wenn ich bei einer Veranstaltung laufe, richte ich mich natürlich nach den angebotenen Verpflegungsstationen. Die triggern mich auch immer so extrem, dass ich das Gefühl habe, ich muss etwas trinken. Oder etwas essen. Es ist nicht so, dass ich trinke, wenn ich es sinnvoll finde, sondern wenn der Veranstalter es aufgebaut hat. Das ist natürlich ganz anders, wenn es keine Veranstaltung gibt. Meine Verpflegung hab ich zwar auch vorher geplant, aber ich hatte nicht noch drei weitere Versuchungen, an denen ich vorbeigelaufen bin. 

Das macht was in meinem Kopf. Also ob es das weiterhin tut, weiß ich natürlich nicht. Mein letzter Halbmarathon ist ja schon viele Jahre her. Aber ich weiß, wie ich mich immer gefühlt habe. An einer Verpflegungsstelle vorbeizulaufen, ohne wenigstens einen Schluck Wasser zu trinken, das kam nicht infrage. Wer weiß, wann es wieder etwas gibt? Natürlich spätestens in weiteren 5 km. Da sind Laufveranstalter ja recht verlässlich. Das hat meinem Kopf aber nicht geholfen. Ich habe mir den Schluck Wasser trotzdem genommen und bin immer aus dem Tritt gekommen. Nach meiner Gehpause heute trabe ich einfach weiter. Weil auch keiner da ist, der um mich rumläuft oder ich Läufer zum Vergleich irgendwo sehe.

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Ich glaube, das ist oft mein Problem in solchen Läufen. Die Anderen. Alle, die schneller unterwegs sind, als ich, stressen mich. Ich bin schon oft einfach viel zu schnell losgerannt. Und habe dann jäh nachgelassen, zum Ende der Strecke hin. Warum? Keine Ahnung. Andere Läufer ziehen mich eben einfach mit. Ich weiß zwar, dass die schneller sind, als ich, aber ich renne trotzdem wie verrückt mit, oder hinterher. Wenn ich für mich alleine unterwegs bin, passiert das nicht. Heute überholt mich nämlich eine Läuferin in einer krassen Geschwindigkeit. Sie trägt ein Laufshirt vom Boston Marathon und lässt mich einfach stehen. 

Das ist aber absolut ok und ich versuche weder dranzubleiben, noch bin ich demotiviert. Ich trabe einfach in meiner Geschwindigkeit weiter und finde es einfach super cool, dass ich tatsächlich auf dem besten Weg bin einen Halbmarathon zu laufen. Mein letzter Halbmarathon war während dem IRONMAN 70.3 Kraichgau 2016. Ich habe zahlreiche Gehpausen gemacht, weil mein Knie immer mehr angeschwollen ist. Heute trage ich die Bandage und mein Knie ziept noch nicht mal. Das hätte der Arzt damals, als ich die Bandage bekommen habe, auch nicht gedacht. 

Natürlich werde ich zum Ende der Distanz langsamer, aber ich trabe noch. Ich muss ein paar mal bei diesem Lauf anhalten und Nachsprühen. So eine Dauerbelastung beim Laufen ist halt doch etwas anderes für meine Lunge, als eine Runde auf dem Fahrrad. Da ich aber heute nicht um eine Bestzeit kämpfe und auch nicht zu einer bestimmten Zeit im Ziel sein muss, weil ich erwartet werde, ist eine Pause mehr oder weniger absolut egal. Ich bin übrigens auch schon in Ziele eingelaufen, die bereits abgebaut wurden, weil der Veranstalter nicht erwartet hat, dass wirklich noch jemand auf der Strecke unterwegs ist. Bei Laufwettkämpfen ist das offensichtlich möglich. 

Ich laufe heute tatsächlich einen Halbmarathon. Das ganze geheime Tapering und die Schonung über die Woche mit der Lauf ABC Mobilisation hat ihr übrigens getan. Klar bin ich jetzt ganz schön geschafft. Das war anstrengend. Nicht nur für meine Beine, sondern für meinen ganzen Körper. Ich habe die Kopfhörer nicht genutzt, weil ich keinerlei Ablenkung gebraucht habe. Die Welt war Zeitvertreib genug. Etwas mehr zu trinken wäre cool gewesen, aber vielleicht nur ein Schluck. Und im Grunde habe ich einfach gleich im Ziel daheim ordentlich getrunken und auch etwas gegessen, noch ehe ich mich um die wohlverdiente Dusche und die Muskulatur gekümmert habe.