Mitten am heutigen Tag, der recht unauffällig angefangen hat, sagt Walter Mitty, in einer ruhigen konzentrierten Minute, auf einmal, dass Marie Fredriksson von Roxette verstorben ist. Mit 61 geht ein langer Kampf gegen den Krebs, der sie seit vielen Jahren in seinen Klauen hatte, zu Ende. Wir hören deshalb, statt Weihnachtsliedern, Roxette nach dem Mittagessen und ich kann jedes Lied auswendig. Nicht nur den Refrain, sondern alles.

Das ist ein Zeichen. Roxette hat mich meine komplette Jugend hindurch begleitet. Ich brauche erst mal eine Pause. Wie kann das sein? 61 ist kein Alter. Sie hat so schön gesungen und war mit Per Gessle ein wunderbares Popduo. Jedes Lied ein Treffer, praktisch jedes hat mir gefallen. Ich muß eine Runde laufen gehen und meinen Kopf frei bekommen. Heute ist es weniger die Arbeit, oder der Verkehr, die mich dazu animieren eine Pause zu machen. Heute ist es mein Gemüt. Ich trauere nicht richtig, ich bin eher geschockt.

Ja, so würde ich das nennen.

Die Einschläge kommen näher. Das heißt nicht, dass alle um mich rum dem Tod geweiht sind… obwohl das ja früher oder später so sein wird. Das heißt viel mehr, dass mir mal wieder bewusst wird, wie vergänglich alles ist. Ich ziehe mir also meine Laufsachen an, die ich erfreulicherweise dabei habe, und schon kann es los gehen. Der übliche Weg ist versperrt, so dass ich mich blitzschnell für eine andere Richtung und damit auch für ein etwas anderes Höhenprofil als sonst entscheide. Aber das wird schon passen. Mit „The big L“ im Ohr laufe ich los und natürlich läuft es sich prima. Die Sonne scheint noch ein bischen Gas zu geben, ehe sie untergeht und so summe ich vor mich hin, während der erste Kilometer wie im Flug vergeht.

Überall gibt’s hier Schlamm auf den Wegen und Pfützen. Ich mache viele Ausweichmanöver und schaffe es trotzdem, meine Schuhe so richtig schön einzusauen. Allerdings gehört das ja auch irgendwie dazu, wenn man im Winter laufen geht. Zumindest, wenn man das draußen tut. Und während mein Kopf so vom „Big L“ zu „how do you do“ wechselt und ich mir überlege, wie schade das ist, dass die Menschen nicht ewig leben und dann wieder dzau übergehe, mich zu erfreuen, dass die Welt vergänglich ist, biege ich ab und laufe Berg an. Der Weg hat mehrere Optionen zurück zum Bürogebäude, die ich nehmen könnte, aber ich entscheide mich für die, die am weitesten drumrum führt.

Kein bischen leicht

Trotz dass ich zahlreiche Lieder von Roxette rauf und runter summe und mich damit irgendwie zurück in meine Jugend katapultiere, laufe ich nicht leichter. Liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich in meiner Jugend nie gelaufen bin? Woran also sollte sich mein Körper erinnern? An gar nichts. Die Sonne steht mittlerweile ganz schön tief, aber natürlich ist es noch gut hell. Ich glaube allerdings dass ich es heute schaffe im hellen mit dem Duschen zu beginnen und im dunklen damit aufzuhören. Und das, obwohl ich meine Duschzeit sicherlich nicht verlängern werde. Es ist wirklich verrückt, wie alt ich bin und wie viele der Stars, die ich in meinem Leben als ganz normal und immer da empfunden habe, mittlerweile der Vergangenheit angehören. Das liest sich nun so, als sei ich uralt, aber tatsächlich bin ich das gar nicht. Ich würde sogar fast sagen, dass ich noch nicht mal die Hälfte meines Lebens rum habe.

Und trotzdem sterben die Stars meiner Zeit einfach so weg. Einer nach dem Anderen.

Gute Reaktion

Ich laufe noch einen Schlenker und sehe einen Mann mit einem Hund am Ende des Weges. Der Mann wirkt lethargisch, der Hund aggressiv. Eine Mischung aus beidem wäre gut, aber eben nicht auf diese Weise. Und natürlich kommt es, wie ich es irgendwie schon erwartet habe. Der Mann hat den Hund nicht im Griff und die Leine ist zu lang. Und mit gefletschten Zähnen kommt der Hund mir viel zu nah. Mein Tanzbereich wird nicht beachtet und ehe, dass ich mich beißen lasse, trete ich kurz zu. Das weckt den Herrn auf und schreckt den Hund zurück. Das wäre ja nicht nötig gewesen, sagt der Mann, weil der Hund ja nichts tut. Und ich sage, dass der Hund erst nun den Anschein macht, als wollte er nichts tun und vorher ganz schön aggresiv auf mich zugekommen sei. Immerhin waren seine Zähne gefährlich gefletscht und das Knurren nicht zu überhören. Ja, sagt der Mann, das macht der immer so. Und ich antworte, dass das ganz sicher nichts mit „der will doch nur spielen zu tun hat“ und dass es einfach viel schöner wäre, wenn er den Hund ordentlich führen würde.

Dann hätte der Hund nun auch keinen blauen Fleck, ich hätte einen normalen Durschnittspuls ohne Ausreißer nach oben und er könnte einfach weiter lethargisch vor sich hin spazieren und nachdenken. Aber nein… so war es ja nicht. Ich bin zufrieden, dass ich nicht gebissen wurde und dass ich trotz allem auch noch so toll die Ruhe behalten habe. Sofort kommt mir „Dangerous“ in den Sinn. Auch ein tolles Lied von Roxette, was ich nun auf dem Weg zurück ins Büro summe.

Duschgeschwindigkeit

Beim Duschen schaffe ich es tatsächlich flott zu sein und trotzdem im Hellen rein und im Dunklen raus zu kommen. Weil ich genau den Sonnenuntergang erwische. Perfektes Timing. Und das ist noch nicht mal geplant gewesen, sondern ein purer Zeitzufall.