Mein Gesicht ist gut abgeschwollen. Ich merke das vor allem daran, dass ich meine Lippen wieder relativ gut benutzen kann. Ich kann mittlerweile wieder mit einem Löffel meine Suppe essen. Unfassbar, dass das überhaupt erwähnenswert ist, aber so ist es leider. Wie irgendwann diese Woche bereits festgestellt, haben sich die Prioritäten urplötzlich aber dafür gewaltig verschoben. 
Ich bewege mich in Zeitlupe. Immer, nicht nur, wenn ich müde bin. Ich kann mich nicht richtig hinlegen, weil mir in 4 von 5 Liegepositionen mein rechtes Bein inklusive Knie unaushaltbar weh tut. Wenn ich aufstehe, was ich regelmäßig tun soll um eine Thrombose zu verhindern, dann muß ich mich darauf  konzentrieren. Ich verdrehe mich sonst und das schmerzt dann wieder im Knie. Ich kann meinen Kopf nicht lange runterbeugen. Es tut mir nicht nur im Nacken weh, es pocht auch in der rechten Schläfe, hinter dem Auge und in meinen Nebenhöhlen. Dafür sieht mein Auge allerdings schon wieder ziemlich umspektakulär aus. Ich kann auch nicht lange zu einer Seite schauen, einfach weil meine Muskeln im Nacken- und Schulterbereich total verspannt sind. 
Der Unfall ist erst fünf Tage her. Trotzdem geht mir alles nicht schnell genug. Ich mache die Dinge normalerweise zack, zack, zack. Ich halte mich nicht lange mit Kleinigkeiten auf. Ich geh gerne lange laufen und erledige dafür andere Sachen eher flott. Wie zum Beispiel das Ausräumen der Spülmaschine oder das Zusammenlegen der Wäsche. Beides dauert derzeit eine gefühlte Ewigkeit. Wenn ich es denn machen „darf“. Meistens sagt mir der Zeugwart, dass ich mich hinsetzen soll und Schonung angesagt ist. Nur, wenn er nicht zu Hause ist, dann kann ich mich an solchen Hausarbeiten versuchen… und es dauert stundenlang. Ich muß sogar pausieren während ich die Spülmaschine ausräume. 
Ich komme dabei nicht außer Atem, aber es ist einfach eine unfassbar anstrengende Tätigkeit. Erst über Kopf nach unten, weil sie natürlich auf dem Boden steht und dann über Kopf nach oben, weil die Teller und die Gläser eben in einem Schrank untergebracht sind, der an der Wand hängt. Das Hoch und Runter ist feinstes Athletiktraining. Irgendwie. Ich pausiere dazwischen auf einem Stuhl, den ich mir mühsam in die Küche geschoben habe. Wie meine Oma, obwohl ich mich ehrlichweise an keine Begebenheit erinnern kann, bei der meine Oma während der Küchenarbeit auf einem Stuhl pausiert hat. 

Ein bisschen bin ich allerdings doch noch wie früher. Das merke ich, als mich mein Zahnarzt anruft und mir sagt, dass mich das Carolinum der Uniklinik Frankfurt nicht als Patientin in seinen Unterlagen führt. Ich bin praktisch sofort auf 180. Denn das bedeutet, dass die am Samstag gemachten Röntgenbilder bisher nicht für den morgigen Termin an meinen Zahnarzt geschickt wurden und ich somit das Vergnügen habe einfach noch mal neue Röntgenbilder machen zu lassen. Was soll das? 
Die Aussage meiner Zahnarztpraxis ist, dass man hin- und herverbunden hat und mich auch mit Geburtstdatum und dem verfremdeten Nachnamen (denn am Samstag hat man mich spontan umgetauft) nicht finden konnte. Außerdem wäre man extrem unfreundlich gewesen. Ich glaube nicht, dass ich etwas ausrichten kann, entscheide mich aber trotzdem dazu, einfach selbst mal im Carolinum unter der Telefonauskunftsnummer anzurufen. Ich will schließlich nichts unversucht lassen. 
Ich schildere kurz mein Anliegen und werde sofort angepampt, dass „man“ – also die Dame am anderen Ende der Leitung- heute schon mehrfach erklärt hätte, dass sie mich nicht finden kann. Sie schaut trotzdem noch mal nach … und wie durch ein Wunder erscheint mein Patienteneintrag. 
Ich bitte freundlich, aber durchaus bestimmt, darum, dass meine Röntgenbilder bis morgen früh bei meinem Zahnarzt sein sollen, damit die Behandlung fortgeführt werden kann und ernte dafür ein „ich bin dazu nicht verpflichtet das zu tun und versende hier schon mal gar nichts“. Ich hasse solche Aussagen. Wenn ich gesund bin hasse ich sie schon wie die Pest, weil es für mich ein Zeichen von Verantwortungslosigkeit ist und ein Zeichen von Desinteresse. Und jetzt merke ich, wie sich mein Gefühl potenziert. Ich flippe förmlich aus, weil mich die Gleichgültigkeit mit der die Person am anderen Ende der Leitung meine Gesundheit betrachtet rasend macht. Ihr ist es egal, sie hat nämlich immer nur mit Kranken zu tun. Ihr ist es auch egal, denn sie muß ja nicht nochmals geröntgt werden. Sie ist ja sowieso eigentlich gar nicht zuständig. Und, sie will sich von mir auch nicht sagen lassen, ob sie die Röntgenabteilung informieren soll, oder nicht. Ich erwähne, dass seit Dienstag dieser Woche von meinem Zahnarzt versucht wird an diese Bilder ranzukommen und dass ich erwarte, dass die Röntgenbilder morgen früh, wenn ich um 9h meinen Termin habe, dort in der Praxis vorliegen. Immerhin gibt es die heutzutage elektronisch, so dass es ganz sicher auch eine Email tut. Und weil mich die Dame so angepampt hat, frage ich noch nach ihrem Namen. Ich beschwere mich über dieses Telefonat. Das ist sicher. Den Namen erfahre ich… und dann legt sie einfach auf. 
Interessant. 
So nett die Zahnärztin ist, die mich dort betreut… dieses Telefonat wird ein Nachspiel haben. Ich kann es nicht fassen, wie das gelaufen ist. Und ob mein Zahnarzt morgen mit den Röntgenbildern der Uniklinik arbeiten kann, das weiß ich dann ja morgen früh. 
Gott sei Dank hatte ich diesen Helm auf. Gott sei Dank hat er meinen Verstand gerettet. Gott sei Dank sind die Röntgenbilder, die Zähne und mein Knie meine größte Sorge. Es hätte viel schlimmer kommen können. Gott sei Dank ist es das nicht.