Ich muss irgendwas tun. Wenn man selbst merkt, dass etwas nicht stimmt, dann ist der einzig richtige Weg, etwas zu verändern. Und wenn ich mich die ganze Woche aufs Rad fahren freue, dann aber, wenn es soweit ist, überlege, dass alles ordentlich ist, falls ich nicht wiederkomme, dann ist das einfach schrecklich und absolut nicht normal. Fahrrad fahren soll in meinem Leben etwas ganz normales sein. So möchte ich das. Es gehörte schon immer mal mehr, mal weniger zu meinem Leben dazu und soll es auch weiterhin. Ohne Angst. Angst ist nämlich ein schlechter Mitfahrer, der einem alles versauen kann.

Angst ist eine Schutzfunktion. Es ist nicht prinzipiell so, dass ich Angst schlecht finde, aber ich merke einfach, dass Glück und Freude schönere Gefühle sind. Und dass ich Fahrradfahren lieber mit einem schönen Gefühl verbinden möchte, als mit Angst. Außerdem ist es ja nun auch nicht so, als würde einem nur, weil man Rad fährt etwas passieren. Ich fahre ja auch Auto, obwohl es da viel mehr Unfälle gibt, als beim Fahrrad fahren. Und mitfliegen tue ich auch. Aber beim Fahrrad fahren empfinde ich vor allem die Unkontrollierbarkeit als beängstigend, so als hätte ich alle Autofahrer der Welt im Griff, wenn ich selbst am Steure sitzen, alle Hundebesitzer und Autofahrer, wenn ich Rad fahre, aber nicht.

Situation beherrschen

Wenn jemand seine eigenen Themen nicht kontrollieren kann und ich dadurch ggf. in Gefahr gerate, dann fördert das meine Angst. Und sie fühlt sich bestätigt. Schöner wäre es, wenn ich nur wirklich gefährliche Situationen als solche beurteilen würde. Und wenn ich über solche Situationen zeitnah hinweg käme, ohne mir vermeintlich unnötige Gedanken zum „was wäre wenn“ zu machen. Alles was belastend ist, möchte ich nicht mit meinem Sport verbinden, ganz einfach. Mein Sport soll der Entspannung dienen, ich praktiziere ihn nicht, um Geld zu verdienen, sondern nur, zum Zeitvertreib. Es ist auch ziemlich klar, dass ich ganz sicher nicht, vor allem nicht in absehbarer Zeit, vorne mitkämpfen werde.

Es geht einfach um ein Hobby. Ich bewege mich gerne, ich fahre gerne Rad. Ich kann mich tagelang auf eine Radausfahrt freuen und wenn es dann soweit ist, kommen die Bedenken und die Angst. Alleine bekomme ich das nicht in den Griff. Zumindest habe ich es nun schon wirklich lange probiert und das ohne nennenswerten Erfolg. Das Gefühl hat sich nicht geändert. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, es wird mit größerer Entfernung zum Unfall schlimmer, statt besser. Für heute habe ich mich deshalb mit Eva von >Rückenwind – mentale Stärke im Triathlon< verabredet. Sie kennt meine Geschichte, weil wir bereits ausgiebig telefoniert haben. Trotzdem beschreibe ich ihr heute ein paar weitere Details.

Treffen mit Eva von „Rückenwind – mentale Stärke im Triathlon“

Zum Beispiel, was für Gefühle ich im Kraichgau letztes Wochenende hatte. Und wie es zu meinen Unfällen gekommen ist. Und dass ich mal eine Ironman machen möchte. Aber vor allen Dingen, dass ich mich auch am Tag der Radausfahrt auf selbige freuen und dass ich mein Kopfkino gerne einfach auf schönere Themen lenken möchte. Es ist mir außerdem wichtig, dass ich das selbst geregelt bekomme. Sprüche wie, denk doch einfach an etwas Anderes, die helfen mir leider nicht. Und mich selbst heilen, oder auf andere Gedanken bringen, das hat bisher auch nicht geklappt. Je mehr ich mir einrede, dass es blöd ist Angst zu haben, desto mehr kommt sie hoch. So als wüsste sie es besser.

Im Grund ist das auch so. Die Angst weiß es besser. Mein Körper schürt sie und setzt mich in Alarmbereitschaft. Mein Kopf will unbedingt vermeiden, dass solch ein Unfall nochmals passiert, und seine Methode ist eben, die Vorsicht an oberste Position zu stellen. Das ist ja auch eine ziemlich gute Idee, so grundsätzlich. Und zu viel Vorsicht geht dann eben klammheimlich, stil und leise über, in Angst. Ein starkes Gefühl. Kaum kontrollierbar und mit großen Auswirkungen auf meinen ganzen Körper.

Einfach machen

Und vor allem ohne Freude an der Sache an sich. Ich bin dann nicht wie gelähmt. Ich fahre auch nicht besonders unsicher. Ich bin gut, im „einfach machen“, aber das Gefühl ist extrem blöd und unangenehm. Und ich weiß es natürlich auch besser. Nicht jeder Hund ist eine potentielle Gefahr, nicht jeder Autofahrer wird mich vom Rad holen und nicht jeder Bordstein ist unüberwindbar. Trotzdem ist es purer Stress und die Angst einen weiteren Unfall zu haben, weil der Bordstein sich eben erneut als unüberwindbar heraustellt, ist allgegenwärtig. Das ist sehr anstrengend.

Heute kümmere ich mich also darum, dass ich ab sofort mit Rückenwind fahre. Immer. Dass ich es endlich angehe. Respektvoll, aber nicht voller Angst, möchte ich meiner Umwelt bei einer Radausfahrt begegnen. Wir reden heute viel, Eva und ich. Weil auch Eva nicht in meinem Kopf hineinsehen kann, und weil es mir sehr wichtig ist, dass sie genau versteht, was ich für ein Thema habe. Ich will es auch nicht zu sehr auf die Goldwaage legen, es ist ja nicht kriegsentscheidend, ob man Fahrrad fahren kann, oder nicht. Immerhin könnte ich auch einfach aufhören Fahrrad zu fahren. Aber ich habe ja nun mal entschieden, dass ich weiterhin radeln möchte. Und die Vorfreude auf jede Radausfahrt zeigt mir auch, dass das die absolut richtige Entscheidung war.

Alles klar

Wir reden und reden. Ich spreche über die Gefühle, die in mir hochkommen, Eva erklärt was wie passiert und wozu es eben gut ist. Und sie gibt mir viele Denkanstöße, sie versteht und sie weiß genau, was los ist. So, als hätte die Angst ihr gesagt, was sie mit mir macht und warum. Es scheint glasklar. Auch mir. Und doch merke ich, dass es nicht so einfach werden wird, die Angst abzuschütteln. Wir packen es trotzdem an. Es ist nichts unmögliches, aber einfach mit einem Fingerschnipp wird sich auch nichts ändern.

Aber so ist es beim Training mit der Chefin ja auch, ich muß dran bleiben. Mit einem Fingerschnipp passiert nichts. Und zufliegen tut mir auch nichts. Dranzubleiben ist also etwas, was mir liegt. Und etwas, was keinem Triathleten fremd ist. Wahrscheinlich leben die meisten Triathleten und Athleten im allgemeinen eh rein dafür dranzubleiben? Eva und ich fahren heute auch noch Fahrrad. Immerhin geht’s ja vor allem ums radeln und sicherlich trifft es zu, dass ich ihr auf dem Rad besonders gut erklären kann, wie es um die Angst bestellt ist. Obwohl wir noch nie zusammen gefahren sind, fühle ich mich gleich wohl.

Begleitetes Fahren

Wir fahren nebeneinander auf Fahrradwegen und Wirtschaftsstrassen, erleben ein paar zufällig perfekt passende Situationen, die mich stressen und ich kann die auch gleich entsprechend bewältigen. Ich bin unheimlich angestrengt. Nicht nur die Radstrecke mit den Höhenmetern finde ich anstrengend, auch mein Kopf merkt, was es heute zu leisten gilt. Diese Radausfahrt ist noch anstrengender, als alle, die ich sonst mache. Aber ich habe oft ein gutes Gefühl und befolge bereits jetzt, nach nur kurzer Zeit, viele Tipps. Die meisten befolge ich aber nur deshalb, weil Eva sie mir noch mal zuflüstert. Es ist großartig, so zu radeln.

Eva steuert mich nicht fern, sie sieht aber, wenn ich mich unwohl fühle und greift ein, in dem sie mich anspricht, mich an das Wesentliche erinnert und meine Gedanken auf den Punkt bringt. Das wirkt. Wir fahren eine anstrengende (in jeder Hinsicht) Tour durch die Ausläufer des Odenwaldes und in einem sehr engen Überholmanöver verliere ich nicht, wie sonst praktisch üblich, die Fassung und stelle den Autofahrer in den Senkel. Ich freue mich vielmehr, dass alles gut geklappt hat, und fahre weiter. Die anstehende Abfahrt ist kein Problem. Abfahrten und auch Kurven machen mir keine Angst.

Alles alleine

Das Radeln an sich mag ich sehr und so stellt Eva zu guter Letzt noch fest, dass man sieht, dass Radfahren meins ist. Und dass sie mir ein paar Hausaufgaben zusenden wird. Die werden mir dabei helfen meine Gefühle bei unkontrollierbaren Themen während des Radfahrens zu verstehen und in andere Richtungen zu leiten. Und zwar so, dass ich mich selbst nicht verliere, sondern dass ich lerne anders zu handeln.

Tatsächlich dachte ich anfangs, dass ich sicherlich alles alleine schaffen kann. Dass Fahrrad fahren total normal ist und dass meine Gefühle dabei einfach nur dumm sind. Dass es ein Zeichen von Schwäche ist, sich Hilfe zu holen. Aber über die Zeit war ich bereit, diese vermeintliche Schwäche zu ertragen, weil mich die Angst vor einem Unfall viel mehr im Griff hat, als die Freude am radeln. Und mittlerweile, nach dem ersten Telefonat mit Eva und unserem Treffen bin ich davon überzeugt, dass an sich selbst zu arbeiten mit Schwäche tatsächlich recht wenig zu tun hat. Ich freue mich auf die Aufgaben. Ich weiß, dass es sicher ein ordentliches Stück Arbeit wird und freue mich schon darauf, wenn ich ab sofort immer öfter positiv gestimmt und mit echter Freude und Gelassenheit, aber konzentriert und achtsam, auf dem Rad sitzen kann. Und wenn es mal nicht so klappt, dann ist das keine Niederlage, es ist einfach das Leben.