Irgendwie wollte ich das schon längst mal wieder gemacht haben: den Arbeitsweg mit dem Rad absolvieren. Aber immer, wenn es dann so weit war, habe ich einen Rückzieher gemacht. Irgendwas hat immer nicht so richtig gepasst und wenn es am Schluss dann auch oft nur der Kopf war. Die Angst ist da, um kein Risiko einzugehen, und so brauchte ich viel Selbstvertrauen um die Angst wahrzunehmen und trotzdem mit einem guten Gefühl alleine mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.
Bei meinem Termin mit Eva letzte Woche hat sie mir viele gute Tipps und ordentlich Werkzeug an die Hand gegeben, sodass ich mich über die Woche mit vermeintlich einfachen Übungen, die nach Außen hin gar nicht wahrnehmbar waren oder vielleicht einfach nur sonderbar rübergekommen sind, wenn sie denn jemand beobachtet hätte, an den heutigen Tag herangetastet habe. Ich habe visualisiert und Ruhe gesucht. Habe die Angst verstanden und mein Selbstvertrauen geweckt. Zumindest insoweit, dass mein Plan, heute mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, fest in der Wochenplanung verankert ist.
Großartige Planung
Nach dem tollen Schwimmen gestern habe ich mir noch alles zu Hause zurechtgelegt. Ganz ohne Rucksack geht’s leider auf dem Arbeitsweg nicht, und damit ich heute früh nichts vergesse, liegt also praktisch alles schon bereit, als ich heute runterkomme. Ich muss natürlich noch die Flaschen füllen, aber dann kann es direkt nach dem Frühstück auch schon los gehen. Ich schnappe mir den Helm und verabschiede mich vom Zeugwart. Dann marschiere ich zum Aufpumpen der Laufräder in den Keller. Dort stelle ich fest, dass mein Crosserr hinten platt ist.
Ganz bestimmt habe ich nach der coolen Techniktour vom Sonntag einen Dorn übersehen? Oder ich habe den rausgeholt und über die Tage ist nun eben die Luft entwichen. Ärgerlich auf jeden Fall. Ich baue also das Hinterrad aus und will mich gerade daran machen, den Schlauch zu wechseln, als der Zeugwart kommt und mitteilt, dass wir einfach meine Wechselfelgen nehmen und ich mit den Rennradreifen, die ich irgendwie schon längst vergessen hatte, und dem Crosser fahren kann. Den Schlauch flicken kann ich dann am Wochenende, wenn ich Zeit habe. Jetzt will ich ja ins Büro.
Schnelle Wechsel
Flink wechseln wir also die Felgen und der Zeugwart nimmt die Crosserreifen mit nach oben, so dass ich mich später kümmern kann. Ich prüfe den Sitz meines Rucksacks und schon bin ich unterwegs. Ich brauche unbedingt einen neuen Rucksack. Dieser hier ist unbequem. Außerdem ist er winzig. Und unpraktisch ist er auch. Ein Frauenmodell, weil Frauen anscheinend nie viel dabei haben? Ein Witz! Die Öffnung des Rucksacks ist auch ein Witz. Aber da ich ihn damals gekauft habe, scheint das ja genau so gewesen zu sein wie ich es brauchte? Egal. Ich hätte jetzt also gerne einen neuen Rucksack. Einen, bei dem ich mir nicht die Finger breche, wenn ich ihn belade.
An der ersten Ampel auf meinem Arbeitsweg fällt mir ein, dass ich den Live Track nicht gestartet habe. Also mache ich das flott und halte dabei einfach so, weil der Zeugwart und ich das ja letzte Woche gut geübt haben, an der Ampel an und halte mich fest. Ziemlich cool, dass das klappt. Der Live Track läuft und schon bin ich wieder unterwegs. Dieser Morgen ist wie dafür gemacht zur Arbeit zu fahren. Es ist noch nicht ganz so heiß, aber sehr angenehm warm. Der Wind ist noch kein Föhn, sondern kühlt etwas und ich habe die Sonne im Rücken, die meinen Schatten auf die Straße bringt, der rasend schnell zu sein scheint.
Ich trete rein, damit ich an ihm dranbleiben kann und so fahre ich am Main entlang und genieße die Natur, ganz nah an den Großstädten. Hier ist die Welt so früh morgens noch verschlafen, denke ich mir. Ist sie aber nicht. Die Idee mit dem Rad den Arbeitsweg zu bewältigen haben anscheinend noch mehr Leute. Ich begegne zahlreichen Radfahrern. Manche kommen mir entgegen, manche überhole ich, weil sie einfach in einem anderen Tempo unterwegs sind, als ich. Dabei schaue ich mir auch immer deren Rucksäcke oder Packtaschen an. Vielleicht entdecke ich ja ein Modell, was zufällig genau passend aussieht?
Skyline
Das Rhein-Main-Gebiet hat für die Radfahrer in den vergangenen drei Jahren etwas aufgerüstet. Zumindest fahre ich über neu ausgebaute und angenehm baulich von den Autos getrennten Fahrradwegen. Teilweise sind die so breit, dass man sich überholen kann und noch Gegenverkehr dazu passt. Angenehm.
Nun taucht langsam die Frankfurter Skyline auf.
Sie schiebt sich ins Bild, genau wie früher, als ich das hier regelmäßig gemacht habe, einfach so, als hätte sie auf mich gewartet. Geduldig, nicht gehetzt. Die Skyline strahlt Ruhe aus, wahrscheinlich genießt sie den Morgen ebenso wie ich, ehe es los geht mit den angenervten Büromenschen. Mit den Autofahrern, die dringend noch einen Parkplatz brauchen und immer gestresster werden, weil sie schon vor dem eigentlichen Beginn der Suche zu spät dran sind.
Ich halte kurz an, um ein Foto zu machen. Nicht weil ich muss, sondern weil ich möchte. Ich brauche keine Pause. Ich bin nicht angestrengt. Weder von der Fahrerei, noch vom Kopf her. Es gibt jede Menge Situationen am Wegesrand, die ich zwar wahrnehme, die mich aber absolut kaltlassen. Ich bin darauf eingestellt, dass ich helfen könnte, wenn ich einen Unfall sehe, aber einen herbei ahnen tut mein Kopf nicht. Das ist neu. Es ist mir auch egal, ob da jemand etwas Sinnfreies tut, oder seinen Hund nicht im Griff hat. Ich achte nur auf mich, nicht darauf, dass der Hund anderen gefährlich werden könnte. Das ist mir egal. Das war nicht immer so!
Mein Kopf ist deutlich entspannter. Ich halte also an, um ein Bild von meinem Arbeitsweg zu machen. Weil ich das irgendwie immer mache, gebe ich ein Handzeichen und fahre dann rechts ran. Und dann fährt ein Pulk an mir vorbei. Hinter mir hatten sich offenbar zahlreiche Radfahrer angesammelt! Das ist doch ein Ding. Und die ersten vier bedanken sich bei mir. Nach und nach, als sie eben so vorbei zischen. Ich glaube, die hingen im Windschatten. Dabei war ich wirklich nicht flott unterwegs. Eher gelassen und achtsam. Aber vielleicht für andere eben genau flott genug. Ich freue mich auf jeden Fall darüber und mache mein Skylinebild.
Aus der Stadt raus
Weiter geht’s auf die weniger befahrene Strecke am Main entlang. Die meisten Menschen wollen natürlich nach Frankfurt und nur ganz wenige wollen weiter. Ein Arbeitsweg von deutlich über 30 km mit dem Rad ist eben selten. Das verstehe ich auch. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das für mich etwas Tägliches wäre. Heute bin ich auf jeden Fall froh, dass ich den Hinweg ganz offenbar gut meistere. Es gibt keine komischen Situationen, ich bin wachsam, aber nicht angespannt und außer, dass ich den Rucksack unbequem finde, gibt’s nichts zu mosern.
Während ich nun schon praktisch am Büro bin, überlege ich mir eine Vorgehensweise. Wie ich mich organisieren kann, dass ich zukünftig wieder öfter ins Büro und auch wieder nach Hause radeln kann. Wie ich bei der Rucksacksuche vorgehe und was ich in den Rucksack rein machen möchte und überhaupt. Es gibt viel, worüber ich nachdenken kann und schwups, habe ich nur noch wenige Meter ins Büro. Der Wahnsinn. Ich bin einfach so wieder hier. Zurück beim „Arbeitsweg mit dem Fahrrad fahren„, zurück im Team „alleine radeln“, bei denen, die einfach radeln können, ohne Angst. Überglücklich und zufrieden steige ich vom Rad und schreibe dem Zeugwart, dass ich gut angekommen bin. Er hat nichts anderes erwartet.