In meiner Schulternarbe hängt ein ganz dünner Drainageschlauch. Dank der zahlreichen Schmerztabletten, die ich hier drei bis viermal am Tag nehme, spüre ich ihn nicht. Zusätzlich ist ja auch alles verklebt. Ich sehe nur die Auffangflasche, die einem Cocktailshaker ähnelt und die Körperflüssigkeit auffängt, die mein Körper zur Heilung produziert. Egal wo ich seit der Schlüsselbein Operation hingehe, der Cocktail ist immer mit dabei. Ich stehe mittlerweile selbstständig aus dem Bett auf, wann ich es möchte und laufe sogar etwas rum. Nur auf der Station, meine Lunge ist noch nicht so fit, dass große Ausflüge möglich wären.

Sie sind außerdem nicht erwünscht, denn ich bin ein wandelndes Pulverfass, ich und meine Lunge. Sie könnte jederzeit schlapp machen, so dass es nicht sinnvoll wäre irgendwo rumzuturnen, wo dann keiner wirklich weiß, warum ich nach Luft schnappe oder umkippe. Vorsicht ist hier einfach besser als Nachsicht. Ganz klar.

Cocktails

Mein Cocktail und ich laufen also mal über die Station, gehen zur Dachterrasse und empfangen Besuch. Wie jeden Tag natürlich in verschiedenen Kategorien… Ärzte auf Visite, Schwestern, die Temperatur messen, Blutabnahmemenschen, Physiotherapie, Atemtraining und Lymphdrainage und dann noch den wirklichen Besuch. Der, der kommt, um mir den Tag zu versüßen, einfach nur, weil ich krank bin und sie mich mögen. Der letztgenannte ist der beste Besuch.

Heute bei der Visite schaut der Arzt sich den Cocktail an und teilt in die Runde der Anwesenden mit, dass die Drainage heute raus kann. Ich bin froh und erschrocken zugleich. Drainage raus heißt, ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, denn mit Drainage darf man nicht heim. Drainage raus heißt aber auch, dass es bestimmt unangenehm wird, wenn man sie entfernt. Trotzdem ist klar, dass sie nicht drin bleiben kann. Logo.

Überlisten

Die Schwester, die wenig später in meinem Krankenzimmer auftaucht, hat das übliche Pflaster- Pflegezeug dabei und will die Wunden kontrollieren. Sie verwickelt mich in ein Gespräch und ich bitte sie mich vorzuwarnen, ehe sie die Drainage zieht, weil das bestimmt unangenehm wird. Sie zieht die Pflaster ab, wir unterhalten uns und ich bitte sie ein Foto von meiner Narbe zu machen. Dann scherze ich, dass ich das Foto ja jetzt mal bei Facebook hochladen könnte und dann gleich 200 Freunde weniger hätte. Die Schwester fragt, wieviele Freunde es denn insgesamt sind und gerade denke ich konzentriert über meine Antwort nach, als es in meiner Schulter ZACK macht und sie die Drainage -ohne Vorwarnung- raus gezogen hat. Sie hat mich ausgetrickst. Was eine tolle Frau!

Sie ist zufrieden mit ihrem Trick und damit, wie die Narbe aussieht. Auf die Narbe unter der Achselhöhle und auf der Schulter kommt ihr Wundermittel und ein Pflaster. Sie schaut außerdem auch noch nach den ganzen Abschürfungen, die ich mir beim Unfall zugezogen habe und marschiert dann samt meinem Cocktailshaker und dem Drainageschlauch von dannen.

Jetzt kann ich mich noch besser bewegen als vorher. Große Schritte sind nach wie vor nicht drin, aber ich kann so zumindest schon mal besser essen, weil ich mich selbstständig hinsetzen kann, und auch auf der Toilette muß ich nicht mehr mit Schläuchen und Cocktailshakern hantieren. Eine neu gewonnene Freiheit quasi.

Und natürlich werde ich das Foto meiner Narbe nicht auf meine Facebookseite stellen.