Da der Zeugwart krank ist, bin ich mit meinem Radtraining auf mich gestellt. Zumindest, wenn ich es draußen absolvieren möchte. Drinnen, auf der Rolle, bin ich natürlich nie alleine. Die virtuelle Gesellschaft ist immer umfangreich. Heute möchte ich aber draußen fahren. In Bischofsheim findet eine RTF statt und ich möchte dort die mittlere Strecke fahren. Rund 70 km durch Rheinhessen sind das. Eine RTF mit dem Rennrad ist für mich ein großer Schritt. Vor allem mental. Ich frage deshalb vorab den Ritter, ob er die RTF auch fahren möchte. Und als er bejaht, frage ich, ob er sich einen Klotz am Bein vorstellen könnte. Mit mir wird es ja garantiert eine gemütliche Ausfahrt. 

Klar ist, dass ich auch alleine fahren kann. Natürlich kann ich das. Sicherer fühle ich mich aber immer, wenn jemand dabei ist, den ich kenne. Der Ritter gibt mir Sicherheit, wie kaum ein anderer Radfahrer, abseits des Zeugwarts, den ich kenne. Er fährt verlässlich stabil und kann jedes Tempo fahren. Außer dem Ritter kommt heute auch noch Wayne Schlegel mit, der auch ein toller Fahrradfahrer ist. Die beiden Herren versprühen Verlässlichkeit, Zuversicht und sind beide vollkommen entspannt. Sie können schnell fahren, wenn sie möchten, oder langsam, wenn es von meiner Seite her nötig ist. Sie nehmen ganz selbstverständlich Rücksicht und können meine Interessen oder Bedürfnisse weit vor ihren eigenen anordnen. 

Die ganze Autofahrt nach Bischofsheim hin bin ich aufgeregt. Ich schaffe es vor Zittern kaum, mein Rad aus dem Auto zu heben. Als ich an den Start rolle, bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob das alles eine gute Idee gewesen ist. Zitternd steige ich am Start angekommen vom Rad ab. Der Ritter steht schon da und gibt mir ein ganz normales Gefühl. Als sei es das Normalste auf der Welt, dass er und ich uns hier verabreden und gemeinsam mit dem Rennrad fahren. Auf dem Anmeldebogen, den ich ausfülle, kann man meinen Namen und die Anschrift kaum lesen. So zittrig habe ich noch nie geschrieben. 

Ich muss unbedingt noch mal auf die Toilette gehen und verschwinde im Keller. Hier ist es so sauber, viele Frauen können hier heute noch nicht gewesen sein. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auf die Straße trete, steht Wayne Schlegel da und drückt mich zur Begrüßung. Auch er versprüht eine ganz beherzte Normalität. Mit dabei ist in unserer Gruppe heute auch noch Herr Rossi, den ich bisher nicht kenne. Ich halte Abstand und Wayne Schlegel und ich fahren erst mal nebeneinander her und unterhalten uns. Die Situation ist für mich total unwirklich. Alle Bedenken und Ängste kommen mir nacheinander oder gebündelt immer wieder in den Sinn. 

Herr Rossi, der ganz offensichtlich heute auf der Suche nach seinem zeitigen Glück ist, hat eine ganz schöne Geschwindigkeit auf der Kette. Da kennt er auch nur eine einzige Position für und die ist rechts. Nirgends sonst. Ich halte mich mit Abstand hinter dem Ritter oder Wayne Schlegel auf und fasse Vertrauen. In mein Rennrad, in die Straße, in meine Abstandsroutine und irgendwann auch wieder in mich selbst. Die erste Verpflegungsstelle kommt ganz plötzlich. In meinem Kopf ist so viel los gewesen, dass ich die Kilometer kaum gemerkt habe. Ich greife zu einem Tuc Keks und trinke einen Schluck. Und frage Herr Rossi, ob er es heute mit dem Glück einfach eilig hat. 

Wir fahren sicher. 

Ich halte mich immer hinter den Herren auf. Damit bin ich im Windschatten und muss mich auch kaum um die Streckenführung kümmern. Meistens fährt der Ritter oder Herr Rossi vor mir und Wayne Schlegel neben mir. Die Herren bilden eine schützende Einheit und kümmern sich ganz selbstverständlich darum, dass ich gut mitkomme und eine tolle Radausfahrt habe. Wirklich gemütlich geht es bei uns in der Gruppe allerdings nicht zu, das ist heute allerdings mein Running Gag auf der Tour. Denn eigentlich dachte ich, wir sind deutlich langsamer unterwegs. Und ich bin mir ganz sicher, das wäre für keinen der drei ein wirkliches Problem gewesen. 

Wir haben eine verdammt gute Zeit zusammen. Mittlerweile habe ich auch Vertrauen in Herr Rossi gefasst. Auf der Suche nach seinem Glück schaut er sich regelmäßig nach mir um und stellt sicher, dass ich den Anschluss nicht verliere. Glück geht nur zusammen, so scheint es. Wenn ich nicht mehr kann und zum Vordermann abreißen lassen muss, dann lässt sich einer der drei zurückfallen und wir fahren gemeinsam wieder ran. Ich habe mit den drei Herren heute die besten und selbstlosesten RTF Begleiter, die es gibt. Praktisch nie oder nur ganz selten geben Menschen ihr Freizeitvergnügen für jemand anderen auf. Die drei machen das heute einfach, weil sie das so möchten.  

Das ist richtig groß von ihnen.

Und eigentlich kann ich das auch gar nicht gut machen. Denn die Herren haben kein Kopfthema, so wie ich. Sie fühlen sich immer sicher auf dem Rad, sie haben keine Bedenken und sie genießen jeden Rennradkilometer. Und sie zeigen mir heute, dass mein Weg da auch wieder hinführen kann. Mit Freunden locker Rad fahren und das einfach genießen. Das ist es, was ich mag und das ist es, was der Ritter, Wayne Schlegel und Herr Rossi heute für mich möglich gemacht haben. Als würden sie nie an jemand anderen denken beim Rad fahren, als an mich. Als wir zurück am Start sind, setze ich mich mental vollkommen erschöpft auf die Bierbank. 

Alle Energie, die ich hatte, entweicht meinem Körper und ich bin froh, dass Wayne Schlegel mir eine Cola ausgibt. Wir hatten eine tolle Ausfahrt und meine Beine haben prima mitgemacht. Die sind auch längst nicht so erschöpft, wie mein Kopf. Ich kann das gar nicht beschreiben, aber die Tatsache, dass da vorne mein Rennrad steht und ich hier auf der Bierbank sitze und gerade 73 Kilometer abgestoppt habe, schafft mich. So viele Jahre war das mental schwierig. Manchmal war das gar nicht machbar. Alleine Rennrad fahren unmöglich, mit anderen oftmals eine Qual. Heute war es nicht einfach. Aber es war dank des Ritters, Wayne Schlegel und Herr Rossi machbar und ich habe es genießen können. 

Danken kann ich den Herren heute nur für ihre Begleitung. Was das für mich bedeutet hat, das kann ich nicht in Worte fassen. Als wir uns verabschieden, wirkt alles ganz normal. Am Auto angekommen, sitze ich erst mal eine ganze Weile im offenen Kofferraum und betrachte mein Rennrad. Dann höre ich auf zu zittern und fahre heim. Als wäre das alles ganz normal.