Heute ist der Jahrestag meines letzten Radunfalls. Dem Unfall, der all meine Triathlonpläne so richtig durcheinander gewirbelt hat. Der alles auf Anfang setze und mir trotz fortgeschrittener Heilung immer noch mehrfach in der Woche präsent ist. Der Coach weiß das nicht. Für ihn und meinen Trainingsplan ist heute ein normaler Sonntag. Einer, wie viele in der Vorbereitung auf mein Saisonziel, dem IRONMAN 70.3 Duisburg. manchmal komme ich gut mit dem Jahrestag klar, manchmal nicht. Heute wache ich auf und habe Bedenken. Wieder steht ein Wettkampf an diesem Tag kurz bevor. Und wieder bin ich gut im Training.
Alles in mir sträubt sich heute gegen das Radfahren auf der Straße, obwohl ich gerne Rad fahre. Schon vor dem Frühstück fühle ich mich unwohl beim Gedanken, dass der Coach Rennrad- oder Triathlonrad im Trainingsplan für heute als Trainingsgerät auserkoren hat. Der Zeugwart fährt heute, wie so oft, mit mir Rad, aber das ändert an meinem Gefühl nichts. Am Unfalltag war er auch dabei. Wenn ich den Fahrfehler mache, kann er nichts dagegen tun. Mir fehlt das Selbstvertrauen heute. Es geht mir nicht gut.
Vom gestrigen Lauf bin ich noch ziemlich ausgelaugt und dann kommt der psychische Druck dazu. Ich will den Unfall nicht gewinnen lassen. Aber ich will mich auch nicht quälen und vor lauter Angst unkonzentriert auf der Straße fahren. Gerade im Rhein-Main-Gebiet ist absolute Konzentration gefordert, wenn man auf der Straße mit dem Rad unterwegs ist. Die Straßen sind oft voller Schlaglöcher und dann kommen Autofahrer und LKW Fahrer hinzu, die nicht immer angenehm fahren. Die Kombination macht es eben und dann ist Fahrrad fahren auf der Straße auf einmal eine unschöne Sache.
Wir einigen uns darauf, dass wir heute auf den Gravelbikes fahren. Das ist nicht das Training, was der Coach sich für Duisburg ausgemalt hat. Das weiß ich. Aber es ist das Training, was ich leisten kann. Das, was mein Kopf heute schafft. Und was ich mir eben heute zutraue. Wenn man eine Blockade im Kopf hat, dann ist das etwas, über das jemand anderes nicht urteilen kann. „Wird schon wieder“ oder „Nimm es nicht so schwer“ hilft dem Betroffenen nicht. Das ist auch bei mir so. Mit dem Gravelbike bin ich schnell weg von der Straße und im Feld. Ich fühle mich trotzdem nicht 100% toll, aber sicherlich besser, als auf der Straße.
Berater, die nicht in meinem Kopf stecken und meine Erfahrungen nicht durchlebt haben, helfen mir selten. Jemand, der nicht dort war, wo ich gewesen bin, kann gute Ratschläge geben, oder welche, die man sich eben auch sparen kann. Wir fahren heute also mit den Gravelbikes und mein Kopf und meine Seele bestimmen, wie es läuft. Dabei piense ich nicht rum. Ich fahre schon ordentlich Rad. Aber ich bin achtsamer und angespannter, als sonst. Denn 2016 an diesem Tag lief auch alles normal und dann war auf einmal alles anders. Das Kreiskrankenhaus Groß Gerau hat großen Mist gebaut und schlußendlich lag ich dann mit einem Schlauch in der Lunge in der BGU in Frankfurt.
Die Welt hat sich damals einfach in einer Sekunde komplett verändert. Und ist seit dem eben einfach anders. Für immer. Das ist nicht nur bei mir so, das passiert sicherlich täglich tausendfach. Aber berühren tut es mich dann eben nicht. Nachdem wir am Goetheturm in Frankfurt heute eine kurze Pause eingelegt haben, fahren wir durch den Wald und über die Felder wieder zurück nach Hause. Ich bin ordentlich geschafft, obwohl die Tour an sich gar nicht so krass gewesen ist. An diesem Jahrestag aber eben doch.