Wie kann man sich denn bloß solche Verletzungen zuziehen? Was hast Du denn gemacht? Außer den vielen Gute Besserungswünschen bekomme ich diese Fragen immer wieder gestellt. Ich verstehe das. Ich sehe schließlich wirklich zum fürchten aus. Unnötig zu erwähnen, dass es auch jede Menge Besserwisser gibt, die von „Sport ist Mord“ oder „Radfahren ist grundsätzlich gefährlich“ sprechen.
Tja, und was ist denn nun eigentlich gewesen letzten Samstag? Im Trainingsplan des Zeugwarts und mir stand 2 Stunden Rad fahren drin. Bei 5°C gegen 13h legten wir also ordentlich Klamotten an. Beinlinge, kurze Hose und darüber meine Asics Windstopper Hose. Obenrum Sport-BH, Windstopper T-Shirt, Armlinge und eine Fahrradjacke, bei der ich, falls es doch zu warm werden sollte, auch die Arme per Reißverschluss entfernen könnte. Der Zeugwart ist ja etwas routinierter im Ankleiden fürs Radeln und war ebenfalls fix angezogen.
Nachdem ich mein MTB aufgepumpt hatte, haben wir noch Mützen, Helme und Winterradhandschuhe angezogen und schon konnte es los gehen. Langsames Rollen am Main entlang und dann durch das Naturschutzgebiet der Steinbrüche in Dietesheim. Ich komme gefühlt mal grad gar nicht vom Fleck, der Puls ist weit unten und ich bin mir sicher, dass ich ein Thema haben werde, dem Trainer das hier heute als Trainingseinheit zu verkaufen. Wir radeln mit den MTB’s also locker durch die Landschaft und treffen kaum jemanden. 5°C an einem Sonntagmittag locken offenbar nicht viele Menschen hinaus.
Ich fahre hinter dem Zeugwart her durch den Wald. Wir fahren auf einem Asphaltweg und ich freue mich. Meine MTB- Fahrerei findet zu 95% auf asphaltierten Wegen statt. Theoretisch bin ich also mit einem MTB eh vollkommen überbewaffnet. Wenn wir mal nicht auf Asphalt unterwegs sind, dann liegt es entweder daran, dass zwischen zwei Asphaltwegen ein Stück Schotter liegt oder dass wir uns verfahren haben. Heute gibt es tatsächlich auch ein Stück Waldweg bevor wir den Asphalt wieder erreichen. Der Waldweg ist schlammig und voller Blätter. Ich bin froh, als wir endlich wieder den Asphalt erreichen. Die Blätter sind rutschig und ich finde es auch nicht besonders angenehm durch Schlamm zu fahren.
Ich höre auf zu Treten, denn knappe 50m vor uns taucht die Bundesstrasse auf, die diesen Wald durchquert. Und weil ich ja eh nicht vom Fleck komme, muß ich jetzt, wo es auf die Strasse zugeht auch nicht noch extra Energie reinlegen.

Der Zeugwart hört mich laut schreien und als er anhält und sich umschaut, liege ich bäuchlings auf dem Weg und bewege mich nicht. Mein Rad liegt seitlich nah an einem Baum. Ich weiß von diesen Geschehnissen heute nichts mehr.
Als der Zeugwart mich auffordert mich umzudrehen blute ich aus Nase und Mund. Er ruft den Rettungswagen und rennt an die Straße um ihn einzuwinken. Ich erinnere mich an den Anblick meines Rades, wie es am Baum steht und die Kette abgefallen ist. Und dass ich mich gefragt habe, wie ich die jetzt wieder hoch kriege um weiterzufahren, ohne mich komplett einzusauen.
Als der Rettungswagen kommt, will ich vom Weg runter um ihm Platz zu machen, erzählte mir der Zeugwart. Auch das weiß ich nicht mehr. Ich weiß dann wieder, dass der Rettungsassistent neben mir saß und mit mir durchgegangen ist, was mir denn alles weh tut. Und dass ich ihm meinen Namen sagen mußte. Was heute für ein Tag ist und was ich eigentlich hier mache.
Im Krankenhaus verabschieden sich die Herren total nett und ich stehe mit meiner Trage alleine auf dem Gang und friere. Eine Schwester deckt mich zu und dann ist der Zeugwart da. Er war zwischendurch zu Hause, hat eine Tasche gepackt, sich umgezogen und kam zu mir. Irgendwann werde ich in einen Behandlungsraum geschoben. Das ist auch besser für den Verkehr in dieser Notaufnahme, denn alle Leute die hier rumlaufen sind total an meinen Anblick gefesselt.
Mein Gesicht wird abgetupft und ich werde geröntgt. Von allen erdenklichen Seiten und an allen möglichen Stellen. Mein Knie tut mir schrecklich weh und mein Gesicht ebenfalls.
Irgendwann ist der Zeugwart wieder da und wir warten auf die Ergebnisse. Die Röntgenbilder haben ergeben, dass ich nichts gebrochen habe und dass das ein wahres Wunder ist. Man hat einen Transport bestellt, weil ich mit meinem Gesicht schnellstmöglich zum Spezialisten muß und der sitzt heute in der Uniklinik in Frankfurt. Während wir auf den Transport warten, schaut noch jemand nach meinem Knie. Das ist zwar nicht gebrochen, tut aber trotzdem unheimlich weh. Ich schäle mich also mit Hilfe des Zeugwarts aus meiner Windstopperhose, meinen Beinlingen und meinen Schuhen und mir wird schlecht.
Ich habe einen Krater im Knie. Igitt. Ich schaue nicht mehr hin, weil mir spontan ungut wird, werde notdürftig verbunden und dann auf einen Rollstuhl gesetzt. Der Transport in die Uniklinik beginnt.
Nach nur knappen 15Minuten werde ich ausgeladen und auf einen Zahnarztstuhl gesetzt. Ich bekomme Spritzen ins Gesicht und oberflächliche Betäubungen und drei Menschen in weiß machen mein Gesicht sauber. Sie holen Erde, Steinchen und Walddreck aus meinem Mund und aus meinem Gesicht, so dass das kleine Tablett was üblicherweise blütend weiß ist, nach kurzer Zeit selbst einem Waldweg gleicht. Ich bekomme außerdem eine Schiene gesetzt um meine traumarisierten Zähne zu stabilisieren. In der Hoffnung, dass sich nicht noch mehr verabschieden. Ich werde noch mal geröntgt und irgendwann ist die Behandlung auch abgeschlossen.
Der Zeugwart sitzt draußen und wartet. Und weil ich mich fit wie ein Turnschuh fühle, stelle ich mich kurz neben ihn. Wir müssen nämlich noch auf den Arztbrief und ein Rezept warten. Und wie wir hier so schön warten, kippe ich einfach um.
So kann sich das Ärzteteam, was sich noch vor Minuten mit meinen Zähnen befasst hat, auch noch mal in der Bedienung des Notfallkoffers üben. Ich bekomme Sauerstoff, mein Blutdruck ist jenseits von gut und böse und mit ein bisschen Glukose gehts dann auch schon wieder. Wir wollten eigentlich heute Abend essen gehen… aber irgendwie hat das zeitlich nicht geklappt.
Mir tut alles weh… und ich habe das Gefühl, als haben sich meine Prioritäten gerade deutlich verschoben. Der Zeugwart fährt uns nach Hause.