Heute findet die Hugenotten RTF in Neu-Isenburg statt und irgendwie finde ich es eine schöne Sache, wenn wir da heute mitfahren. Quasi in einer Krankenhauspaus. Dann kann ich den Ärzten morgen bei der Aufnahme auch gleich die aktuellsten Werte erzählen, die mein Körper so auf dem Rädchen abgeliefert hat. Gestern Abend verabreden wir uns mit dem radelnden Männern aus unserer regelmäßigen Ausfahrtgruppe, aus der Zeit, als die Welt noch in Ordnung und der 70.3 Kraichgau vor mir lag, und den Vereinsmädels. Ich weiß, dass ich nur die kleinste Runde fahre, sonst bin ich im Anschluß total erschlagen und das wäre blöd, weil wir Besuch bekommen. Alle anderen werden bestimmt auf die 75km Runde gehen. Aber das ist ok. Ich habe so kein schlechtes Gefühl, sondern sehe es positiv. Ich könnte immerhin auch gar nicht mitfahren, da sind die 45km doch eine sehr gute Alternative.

Perfekte Passform

Der Zeugwart packt das Auto und mein kleines Rad von Canyon passt einfach so hinein, ohne dass wir ein Rad ausbauen müssten. Und das, obwohl wir an den Abstandshalter für die Scheibenbremsen gedacht haben. Wir sind also in zweierlei Hinsicht bestens vorbereitet, und das, obwohl wir es gar nicht sein müssten. Da wir heute relativ spät losfahren, zumindest im Vergleich zu früher, sind die guten Parkplätze am Start der Hugenotten RTF alle schon belegt. Wir parken also im Wohngebiet und müssen dann erst mal zum Start rollen. Das muß man ja grundsätzlich immer, aber wir machen es heute etwas weiter, als in der Vergangenheit. Ich habe auch das Gefühl, als wäre der Startbeitrag höher geworden, mittlerweile kostet die Teilnahme an der Hugenotten RTF für jede Strecke 10EUR. Früher war das weniger, da bin ich ganz sicher. Die Dame an der Anmeldung arbeitet aber das erste Mal hier und kann deshalb nicht mit Wissen glänzen.

Oder sie möchte jegliche Diskussion vermeiden, was ich auch verstehen kann.

Nachdem wir alle Mitfahrer um uns gescharrt haben, teilen Madita und Lisabet mit, dass sie mit mir die kleine Runde fahren. Die Männer brechen also zügig auf, damit sie ihre 75km zügig starten können. Nachdem Madita noch ein Zeitungsinterview inklusive Fotoshooting gegeben  hat, machen auch wir uns auf den Weg und radeln los. Eigentlich kenne ich die Runde, trotzdem bin ich froh, dass hier genügend Schilder hängen. Ich fahre heute eigentlich immer hinten und nutze den Windschatten. Beide Mädels sind vor wenigen Wochen in Mecklenburg erst bei einer 300km langen RTF mitgefahren und sind deshalb natürlich wesentlich besser trainiert als ich. Zusätzlich geht’s hier mit so Miniwellen durch die Welt, und die merke ich deutlich an meiner Luft. Wenn ich so schnaufe, dann wissen die beiden aber wenigstens, dass ich noch da bin… kann also auch positiv ausgelegt werden, die Kurzatmigkeit. Ich melde mich, wenn ich wieder rangefahren bin, trotzdem immer zurück, wenn man sich ständig umschauen muß, ist das ja auch nichts.

Dran bleiben

Wir fahren nicht besonders flott und werden deshalb zahlreich von anderen RTF Teilnehmern überholt. Amüsanterweise lassen die dann aber immer nach, so dass sie zwar wie die Irren an uns vorbei ziehen, am Horizont aber nie verschwinden. Irgendwie bleiben sie immer noch lange in Sichtweite, soweit man eben schauen kann. Auf der Geraden habe ich keinerlei Thema an den Beiden dran zu bleiben und irgendwann beschließt Lisabet, dass sie ab sofort in meiner Geschwindigkeit die Wellen hochdrückt. So habe ich nicht mehr das Gefühl gehetzt zu werden, weil sie oben warten müssen, obwohl das Gefühl total dämlich ist und auch nur von meinem Kopf gemacht wird. Für die Mädels wäre das Warten überhaupt gar kein Problem. Das müssen sie auch nicht extra sagen, das weiß ich. Für beide ist die Gemeinschaft wichtig, sie fahren die 45km garantiert sowieso im absoluten Rekom Bereich, wohingegen mein Kreislauf denkt, es sei Training.

An der Verpflegungsstelle werden wir äußerst kritisch beäugt. Die schnellen Rennradfahrer wollen unsere Freude nicht wahr haben. Sie müssen abschätzend auf unsere Räder schauen und insgeheim beurteilen, ob die Räder überhaupt zu den Fahrerinnen passen und ob die Leistungsfähigkeit überhaupt angemessen für ihre RTF ist. Manche Männer scheinen bei so einer RTF regelrecht ihr Ego aufpolieren zu müssen und weil sie mit ihren Altersgenossen oder Trainingskameraden nicht mithalten können, müssen es dann eben andere vermeintliche Opfer sein. Während wir Damen uns also über den Tag und die schönen Rädchen freuen, ernte ich ordentliches Kopfschütteln. Erfreulicherweise macht es mir aber nichts aus, aber ich bemerke es. Beim Kuchenbuffett drücke ich dem Herrn den Vorschlag, dass es doch super wäre, wenn er meine Leistung und mein Fahrrad nicht beurteilt, weil er ja keine Ahnung hat, dass ich morgen wieder im Krankenhaus liege. Er weiß genau, was ich meine und verzieht sich.

Vielleicht hilft das, jemandem, dem so ein Verhalten etwas ausmacht, dieses abschätzende Kopfschütteln zu ersparen? Weiß man nicht.

Vorne fahren?

Von der Verpflegungsstelle zurück rollt es sich erst ganz gut, und ich bin vorne. Dann allerdings zieht etwas Wind auf und ich bin froh, dass Lisabet sich einfach so nach vorne setzt und mir den Wind abnimmt. Das ist total nett und wirklich sehr hilfreich. Ob ich jemals wieder ein „im Wind vorne Fahrer“ werde? Das ist ja heute eh nicht zu lösen und so fahre ich hinter Lisabet und wir rollen zurück ins Ziel. Hier gibt es einen der besten Streuselkuchen, die ich seit langem gegessen habe. Wir sitzen da und quatschen noch ein bischen, bis der Zeugwart mit seinen Begleitern von ihrer Tour zurück kommen. Die müssen eine ganz schöne Geschwindigkeit gefahren sein, dass sie jetzt schon zurück sind.

Wow. Wir quatschen noch eine Weile alle zusammen und sitzen in der Sonne. Wir trinken etwas und es fühlt sich alles ganz normal an bei dieser Hugenotten RTF. Und nicht so, als müsste ich morgen wieder ins Krankenhaus. Ehe mich die Erschöpfung vollständig übermannt, fahren wir heim, damit ich mich auf der Couch ausruhen kann.