Der Tonangeber reist heute früh um 6h nach Hause ab. Er ist jetzt lange genug auf Mallorca und muß sich um alles was daheim so ansteht kümmern. Er verspricht, dass wir mit dem Windschattengeber, der Chefin, dem Physiotherapeuten und dem Hünen in guten Händen sind und weg ist er.

Der Morgen an unserem ersten richtigen Tag im Trainingslager beginnt um 8h mit Stabitraining am Pool. Auch in diesem Jahr hat sich meine Leidenschaft für Tibet und die Mönchübungen nicht sonderlich gesteigert. Ich habe sogar das Gefühl, dass ich noch schlechter und unbeweglicher geworden bin. Könnte das Alter sein, oder das Knie. Weiß ich nicht, ist aber auch egal. Der Physiotherapeut ist unerbittlich und so machen wir erst 11 Wiederholungen und dann noch mal 10 hinterher und ich bemühe mich redlich, und mit Erfolg, nicht in den Pool zu fallen.

Ein guter Start in den Tag!

Das Frühstück ist klasse und nachdem wir uns für die schnelle Gruppe, die der Hüne anführen wird, entschieden haben, gehen wir uns umziehen. Der Hüne ist niemals müde, niemals geschafft und hat immer gute Laune. Zusätzlich redet er manchmal lustig, und behauptet, es wird keiner zurück gelassen. Darauf vertraue ich. Und zwar zu 100%. Nachdem der Tonangeber gestern Abend wahre Schauergeschichten über die fabelhafte Leistungsfähigkeit des Hünen hervorgekramt hat, bin ich gespannt, ob er in einer Trainingslagerwoche mit mir überhaupt einmal geschwitzt sein wird.

Wetter dafür wäre. Aber an der Anstrengung mit mir zu fahren, kann es ganz sicher nicht liegen.

Trotz anfänglichem Stress haben der Zeugwart und ich ein gutes Timing. Wir sind pünktlich inklusive Versorgung und Fahrrad am Abfahrtspunkt, als die Chefin uns auch schon auf die Piste schickt. Ich bin genau 5,80m vorne am Guide und dann werde ich langsam nach hinten durchgereicht. Sehr schlau von mir, denn als ich vorne fahre, haben wir Rückenwind, jetzt sind wir abgebogen und haben Gegenwind. Und der ist ja wirklich viel angenehmer, wenn man nicht vorne fährt.

Gut, dass wir den Hünen haben. Der gibt nichts auf Gegenwind. Wahrscheinlich fahren wir ihm mit unserem 27er Schnitt sowieso viel zu langsam, so muß er den Sinn der heutigen Radausfahrt wenigstens vorne im Wind finden.

Im letzten Jahr sind wir hier auch schon langgefahren. Ich kann mich gut erinnern… schon auf der Anfahrt zum Orient ging es bei mir zur Sache. Gut habe ich mich nicht gefühlt. Erst fährt man ja über eine längere langezogene Straße, die eigentlich immer nur hoch führt. Allerdings gibt das keiner zu. Es ist aber trotzdem so. Da kann man mich nicht veräppeln. Es ging schon letztes Jahr nur hoch und da habe ich mich wirklich schlecht gefühlt.

Mallorca

Heute geht es wirklich gut. Ich kann aus dem Sattel gehen und ganz plötzlich bin ich auf dem Marktplatz und stelle mich einem Polizsten mit Traumjob in den Weg. Seine Aufgabe am heutigen Sonntag besteht darin, alle Radfahrer, die auf dem Weg in den Orient am Marktplatz kurz anhalten, weiter zu schicken. Also auch uns. Wir bilden, erfreulicherweise keine Sondereinheit, und so bläst der Hüne zügig zum Aufbruch, ehe wir unseren restlichen Trainingstag verhaftet auf einer spanischen Wache zubringen.

Mallorca

Wir folgen dem Ruf „jeder in seiner Geschwindigkeit“ und dem Schild „Orient 9km“ die Straße hoch. Ich bin an dritter Stelle. Das wundert mich, aber ich kann es kurzfristig genießen. Auch hier kann ich mich ziemlich gut daran erinnern, wie es mir im letzten Jahr ging. Heute geht es mir super! Und schon werde ich eingesammelt. Das freut mich, denn es zeigt mir, dass die Welt sich normal weiterdreht. Ich hatte schon fast Befürchtungen, dass irgendwas nicht stimmt. Aber alles stimmt.

Beruhigend.

Die Kilometer bis zum Col d’Honor ziehen sich heute nicht. Ich bin nicht schnell, aber deutlich fixer als letztes Jahr. Und ich lächle die ganze Zeit. Es geht ja hauptsächlich darum, dass ich Spaß habe, und der ist da. An jeder Kehre schaut der Zeugwart runter und ich winke ihm fröhlich zu. Letztes Jahr ein undenkbares Unterfangen. Was habe ich mich hier hoch gequält!

Während ich mich hocharbeite, kommt der Wäscheträger mir entgegen, verpaßt aber bei mir anzuhalten und schießt weiter den Berg runter. Ich vermute, dass er unten was vergessen hat… anders kann ich mir seinen Feuereifer nicht erklären. Immerhin dreht man ja erst um, um noch mal runter zu fahren, wenn man bereits oben am Gipfelschild angeschlagen hat. Der Wäscheträger ist ein krasser Typ. Das wußte ich schon gestern, aber jetzt, da er offensichtlich ganz bis runter fährt, anstatt bei mir umzudrehen und mich den Anstieg hochzuschieben, wird mir richtig klar, dass er so richtig krass ist.

Kurz ehe ich oben angekommen bin, genauer gesagt an der 5. Serpentine, kommt mir der nächste entgegen. Petrosilius Wackelzahn holt mich ab, hat das Prinzip verstanden und fährt kurz neben mir. Dann schießt er hoch und macht an der letzten Kurve noch ein Foto von mir. Wie schon den ganzen Anstieg lang, lächle ich auch auf diesem Foto. Wie passend.

Ein kurzer Stopp am Schild, damit ich die Armlinge hochziehen kann und schon geht’s runter und dann eine kurze Welle, die mich direkt ins Kaffee spuckt. Obwohl der Hüne den Wäscheträger abgeholt hat und damit eigentlich hinter mir war, ist er jetzt bereits vor mir im Kaffee. Und dabei möchte er gar keinen Kuchen essen. Ich scheine extrem unterzuckert, denn dass der Hüne oder der Wäscheträger mich auf dem Weg zum Kaffee überholt haben, ist mir nicht aufgefallen.

Gut, dass hier in Orient Kaffee samt Kuchen serviert wird. Unheimlich passend für meine vermeindliche Unterzuckerung. Ein wahrer Glücksfall! Die Sonnenpause mit Kuchen ist wunderbar und nach der Zwischenstärkung schießen wir mit Höchstgeschwindigkeit vom Orient zurück in die westliche Welt. Ich fahre die Kurven sicher und sauber, bremse passend, wenn es sein muß, und lasse ruhig rollen, wenn es paßt. Ich behalte den Überblick, die Beinstellung paßt, und ich lächle.

Das könnte am Kuchen liegen.

Unsere Gruppe teilt sich jetzt zu ganz schnelle Radler und eine Gruppe, bei der ich mitfahren kann. Welch göttliche Fügung! Meine Gruppe fährt immer zwischen 27 und 30km/h, ich kann prima schalten und habe richtig viel Spaß.

Nach 87km sind wir wieder an der Finca und mein direkter Weg führt, wegen der Erfahrung vom letzten Jahr, direkt an unseren Pool. Reinstellen bis zur Oberschenkelmitte und abkühlen. Laut Chefin prima, zur Muskelregeneration. Und die habe ich nötig, weil wir uns gleich umziehen, um zum Lauftechniktraining zu gehen.

Ein kleiner Koppellauf hin, etwas Lauftechnikübungen und dann wieder zurück zur Finca. Ich komme gut mit, laufe auf dem Rückweg sogar deutlich unter 6min/km und stelle mich gleich nochmals in den Pool. Die Regeneration einleiten kann man nie früh genug.

Beim Physiotherapeut bekomme ich noch eine Lockerungsmassage für meine Oberschenkel, die ja heute immerhin 901 Höhenmeter eingefahren haben und dann geht’s möglichst flott ins Bett. Schlaf ist für einen Athleten ja eine der wichtigsten Regenerationsquellen!