Nachdem der Kardiologe vor ein paar Wochen festgestellt hat, dass es bei mir nicht an der Faulheit liegt, dass ich im Training nicht voran und die Berge nicht hoch komme, ist heute ein Termin in einem Spezialzentrum, dass sich ausschließlich mit dem Krankheitsbild der Pulmonalen Hypertonie befasst. Hier dreht sich alles, den ganzen Tag, ausschließlich darum. Hier sitzen die Spezialisten, die wissen, wonach sie schauen müssen und was sie wie zu beurteilen haben.

Gießen ist von uns zu Hause gute 80km weit weg, im Einladungsschreiben steht, dass ich mir Verpflegung mitbringen soll, weil es lange dauern wird, und als ich die Eingangshalle betrete, denke ich erst, dass ich mich in der Örtlichkeit getäuscht habe und im Bahnhof gelandet bin. Gefühlt stehen und sitzen hier 80 Menschen vor zwei Bildschirmen. Weil ich nicht gut schätzen kann, sind es sicherlich nur rund 50, aber trotzdem ist das vermeintlich ziemlich viel, wenn es um eine Anmeldung geht. Die werden doch nicht alle einen abzuklärenden Lungenhochdruck haben? Das wäre ja ein Ding.

Ich ziehe eine Nummer, die 89 und prüfe die aktuelle Bearbeitungslage. Gerade wird Nummer 36 aufgerufen. Gut, dass ich zeitnah angekommen bin. Ich soll um 9h zum Termin da sein und jetzt glaube ich spontan, dass ich es niemals bis um 9h durch die Anmeldungsglastüren schaffen kann. Obwohl die Bearbeitung nicht wirklich langsam geht, sind eben doch noch genügend Kranke vor mir. Und stetig kommen Leute nach und können ihre Nummer, die ihnen ein kleiner Automat ausspuckt, kaum begreifen. Als meine Nummer irgendwann auf dem Bildschirm erscheint und durchgesagt wird, marschiere ich in Kabine 1, wie bestellt und händige meine seit mindestens 8 Nummern bereitgehaltenen Unterlagen an die motivierte Mitarbeiterin der Anmeldung.

Sie teilt mir mit, dass das Computersystem neu ist und es deshalb länger dauert. Zusätzlich möchte sie noch ein paar Angaben, die ich gar nicht mitbringen musste, weil das System eben neu ist und diese Daten nicht eingespeist wurden. Ich habe die Angaben nicht und eine Kollegin muß helfen, eine Lücke im System zu finden. Als dieses Meisterwerk vollbracht ist, bin ich mit Etiketten versorgt und marschiere hinter den blauen Aufzügen in einen Gang zu einem Fenster, wo ich alles abgebe und mich in einen Wartebereich setze. Um mich herum trägt die Mehrheit der Patienten, die mit mir warten, einen Sauerstoffschlauch in der Nase. Ich trage ein Funktionspoloshirt mit einem Laufaufdruck. Ich bin ein Exot.

Ich gehöre hier nicht hin. Man sieht das auch an meinem Outfit, an dem Rucksack, mit dem klar sichtbaren Ironman Symbol. Ich warte. Nach ungefähr 40 Minuten werde ich aufgerufen. Die Schwester ist total nett und erklärt mir, wie mein Tag heute im Spezialzentrum hier in der Uniklinik in Gießen ablaufen wird. Sie hört sich meine Geschichte an, nimmt mir Blut ab und meldet mich für zahlreiche Untersuchungen an, die hier in diesem Bereich gemacht werden um herauszufinden, wo der diagnostizierte Lungenhochdruck herkommt.

Die Stunden vergehen hier im Wartebereich und bei den einzelnen Untersuchungen wirklich schnell. Ich lese viel, beobachte die Menschen um mich rum und male mir aus, wie mein nächster Zieleinlauf so sein wird. Nochmal beim Ironman 70.3 Kraichgau vielleicht? Das wäre doch super. Und schon bin ich bei der nächsten Untersuchung. Zwischendurch erfahre ich nicht viel, alle Untersuchungsergebnisse werden gesammelt und an den Arzt übergeben. Eine Beurteilung erfolgt ausschließlich durch ihn oder sie. Ich frage auch gar nicht wirklich nach, sondern kann meistens den Bildschirm mit anschauen und dort sind meist Normwerte zu meinen Werten im Verhältnis zu sehen.

Ansonsten sagt mir das alles sowieso nichts. Die Aussage, dass mein Herz eine normale Größe und keine Dickwandigkeit aufweist finde ich aber zum Beispiel schon mal sehr gut. Nachdem alle Werte in Ruhe bestimmt sind, geht’s zum Sport und ich muß radeln was die Beine und der Kreislauf hergeben. Für den zuständigen Mitarbeiter bin ich auch ein Exot und er muß sein sonst meist übliches Programm ein bisschen anpassen, damit er und ich nicht den ganzen Nachmittag hier zubringen, sondern der Test nach 12 bis 15 Minuten abgeschlossen ist. Und trotzdem ein passendes Ergebnis liefert natürlich.

Das war die letzte Erhebung des heutigen Kliniktages und so melde ich mich wieder am Fenster und teile mit, dass ich zurück sei und jetzt der Arzt alles ansehen kann. Im Wartebereich ist es mittlerweile deutlich ausgedünnt, wir haben 13:30h. Der Versorgungshinweis in der Einladung macht total Sinn und ich beginne jetzt ein neues Buch in meinem Kindle. Meine Zeitschrift habe ich auch schon durchgelesen. Ich glaube, noch niemals vorher so intensiv, wie heute? Wie lange geht eigentlich so eine Krankenschwesterschicht? Hier sind immer noch die Gleichen am arbeiten wie heute früh, als ich gekommen bin… für mich total angenehm. Mittlerweile kennt man mich auch, was die Sache total menschlich macht.

Ich fühle mich sehr wohl, hoffe aber trotzdem darauf, dass ich nichts habe, sondern eine eingebildete Kranke bin, die eben einfach keine Berge fahren kann. Der Arzt ruft mich auf und wir marschieren in sein Zimmer, das hat keine Türklinke, sondern einen Knauf. Außerdem gibt man sich hier nicht die Hand, wegen der Keimübertragung. Aber ich bin halt total altmodisch und verstehe das erst mal nicht. Na ja. Als er keine Anstalten zum Händeschütteln macht, habe ich es begriffen. Ich schildere ihm meine Geschichte, klage auf hohem Niveau und erzähle, wie ich die Veränderung bemerke, wo mich die Kurzatmigkeit behindert und wie ich dann hier gelandet bin.

Er ist geduldig und zurückhaltend. Kein Kumpeltyp, ernst und klar. Er beschreibt, was die Untersuchungen ergeben haben, er sieht das, was der Kardiologe daheim festgestellt hat. Er braucht mehr Details, weitere Untersuchungen um Klarheit zu bekommen und eine Therapie festzulegen, wenn eine Therapie möglich ist. Ich muß ins Krankenhaus, einige Tage soll ich dafür einplanen, gerne so flott wie möglich. Ich soll darüber nachdenken. Das tue ich, aber nicht lange. Ich vereinbare gleich einen Termin für den stationären Aufenthalt und fahre dann nach Hause. Ich bin ein Exot, der doch irgendwie dazugehört.