Gestern noch im Kraichgau und heute schon einen Schritt weiter, wer hätte das gedacht? Der Aufenthalt im Spezialzentrum in Gießen ist selbstverständlich von langer Hand geplant und trotzdem geschieht dann alles ganz plötzlich. So richtig vorbereiten kann man sich eben doch nie, obwohl man das Beste gibt. Ich fahre mit dem Zug nach Gießen heute, in meinem Zustand halte ich es für vollkommen übertrieben, dass mich jemand hinbringt. Und weil ich nicht weiß, in welchem Zustand ich wann genau wieder entlassen werde, finde ich es auch dämlich mit dem Auto her zu fahren, damit es dann hier rumsteht. Nicht, dass es daheim nicht auch rumstehen würde, aber da kostet es zumindest keine Parkgebühr. Ich wähle also das Abenteuer Zug und der Zeugwart bringt mich zum Bahnhof. Mit meiner vorgebuchten Fahrkarte umgehe ich die scheinbar endlos lange Schlange am einzigen funktionierenden Fahrkartenautomat und freue mich, über den ersten Erfolg des Tages.

Der Zug steht schon auf dem Gleis und so steige ich kurz vor 8h ein. Los geht’s laut Fahrplan um 8:10h, bis dahin habe ich einen Sitzplatz gefunden und mein Buch gezückt. Wir fahren mit Verspätung los. Warum weiß keiner, denn der Zug stand ja bereits auf dem Gleis und um 8:10h saßen auch schon alle drin… aber ich hinterfrage nicht weiter. Vielleicht in weiser Voraussicht? Die Asiatin auf der anderen Seite vom Gang öffnet eine Brotdose und der ganze Wagen riecht auf einmal nach Thai-Curry. Sie frühstückt. Riecht schon etwas aufdringlich jetzt, aber gut, daheim hatte sie offenbar keine Zeit zum frühstücken. Auf meine Vierplatzlösung setzt sich an der nächsten Haltestelle schräg gegenüber von mir eine junge Frau. Kurze Haare, grimmiger Blick. Die Aufschrift auf ihrem Shirt… „nicht verstecken: Kämpfen“. Ein Slogan, der zum nachdenken anregt. Die Arme sieht so aus, als hätte es schon bessere Morgende gegeben. Und dann auch noch das Thai-Curry.

Die Schaffnerin strahlt mich an, als wüsste sie, dass ich nie mitfahre. Sie scannt meine Fahrkarte und schon bin ich in Friedberg, wo ich den Zug wechseln muß. Auf den gelben „Abfahrts“ Plänen der Bahn, die überall im Bahnhof hängen, steht, dass der nächste Zug nach Gießen um 9:50h von Gleis 8 fährt. Es ist sogar die Zugnummer angegeben, RB49. Interessant, denn aus dem Zug bin ich gerade ausgestiegen und der fährt jetzt wieder zurück. Und zurück ist nicht Gießen, sonst hätte meine Reise ja überhaupt gar keine Sinn gemacht. Die Schaffnerin, die ich darauf anspreche, sagt mir, dass das Plakat falsch ist und ich ins Reisezentrum gehen soll um dort nachzufragen. Im Reisezentrum sitzt ein Mitarbeiter, der „gerade noch was suchen muß“ und nach 5 Minuten sagt er mir, dass der gewünschte Zug auf Gleis 4 abfährt und ich den, weil er Verspätung hat, auch noch schaffe.

Ich steige in einen extrem vollen Zug ein und bekomme vom Band eine Ansage, dass ich bitte durchgehen und die Gänge frei halten soll. Gut, das ist eine Wunschvorstellung und schlichtweg unmöglich. Im Zug stehen mehr Menschen, als sitzen, hier ist die Hölle los. Ich muß unbedingt mal nachforschen, was es in Treysa so tolles gibt, wo ja offensichtlich zahlreiche Leute dort hin möchten, sonst wäre es hier ja nicht so proppevoll. Ich finde Zug fahren total ätzend. Es gibt zahlreiche Menschen die unter Benehmen etwas anderes verstehen als ich, und ich merke, wie ich öfter mit den Augen rolle. Ich bin wirklich alt geworden. Irgendwann hält der Zug dann tatsächlich in Gießen und ich folge der Wegbeschreibung zur Klinik, ziehe eine Nummer und setze mich hin. Heute bin ich Nummer 198, derzeit wird Nummer 160 bearbeitet. Gut, es ist ja nicht so, als hätte ich heute Stress, oder noch etwas vor. Irgendwann bin ich aufgenommen, habe den Papierkrieg hinter mir und melde ich auf der Station. Hier werde ich schon erwartet und dann auch gleich von einer Ärztin mitgenommen. Im Zimmer geht’s auch gleich zur Sache, ständig möchte jemand anderes etwas von mir. Ärzte, Schwestern, Blut, EKG, Blutdruck, Fieber messen, ich schaffe es kaum, meinen Koffer auszuräumen.

Meine Zimmernachbarin erzählt gerne und leidet sehr. Sie hat eine ganze Krankenodysee hinter sich und hat sich das alles ganz offenbar anders vorgestellt. Ich erfahre innerhalt von kürzester Zeit ihre Lebensgeschichte. Erzählen kann sie toll, und weil sie aus Offenbach kommt, wo ich lange gewohnt habe, erzählt sie viel von Orten, die mir bekannt sind. Ich hoffe sehr, dass ihr geholfen werden kann. Die beste Krankheit taugt eben einfach nichts.

Mittlerweile habe ich meine Geschichte schon zweimal einem Arzt erzählt und spaziere zum Lungenfunktionstest. Hier erkennt mir erst die Schwester, und dann die Ärztin aus der Ambulanz, die mich beim letzten Mal hier betreut haben. So einen Eindruck zu hinterlassen kann gut, oder schlecht sein… ich entscheide mich für gut. Nach dem Test gehe ich wieder auf die Station. Es ist mittlerweile spät am Tag und es gibt bald Abendessen. Die Uhren im Krankenhaus ticken ja etwas anders, als in meinen Alltag.