Der Termin für meinen Rechtsherzkatheter ist heute um 12:30h, zumindest wurde das gestern so mitgeteilt. Ich darf ganz normal essen und trinken und soll versuchen möglichst Ruhe zu bewahren. Am späten Vormittag soll ich dann noch mal Urin abgeben und dann werde ich abgeholt und zur Untersuchung, da läuft man nicht selbst hin. Wahrscheinlich, weil das Team Angst hat, dass man sonst kurz vor der Tür abbiegt? Das könnte ich verstehen.

Um kurz nach halb zehn klingelt mein Telefon am Bett und die Stationsorganisation teilt mir mit, dass ich in 15 Minuten abgeholt werde. Wahrscheinlich haben die das so gemacht, weil die Warterei sonst so lange ist? Oder weil sie wusste, dass mit dieser Warnung eine heftige Aufregung einsetzt? Den Becher bekomme ich leider so spontan nicht voll, das liegt leider an der vorherigen „späten Vormittag“ Ansage, aber gut. Das kann ich jetzt nicht ändern.

Abgeholt

Tatsächlich ist die nette junge MTA nach guten 15 Minuten mit einem Rollstuhl da und holt mich ab. Sie versteht meine Aufregung und versucht mich irgendwie zu beruhigen. Ihre Stimme ist unheimlich einfühlsam, ich bin wahnsinnig aufgeregt, aber sie gibt mir trotzdem ein gutes Gefühl, auch wenn sie nicht zaubern kann. Das wäre ja auch etwas zu viel verlangt. Der Rechtsherzkatheter wird nicht in einem OP Saal gelegt, sondern dort, wo die Lungenfunktionsprüfungen statt finden. Auf dem gleichen Flur. Wir fahren an den Wartenden vorbei und ich bin wie im Tunnel. Wissen diese Menschen hier, was mich gleich erwartet? Jemand will durch meinen Hals mit einem Draht / Schlauch/ Instrument in mein Herz und sogar bis zur Lunge. Weißt das jemand? Sieht man mir das an?

Mir ist ganz schlecht.

Die Vorstellung ist so abstrus. Ich kriege das selbst kaum in meinen Kopf rein. Gleich hängt mir ein Schlauch, oder wie man dieses Ding am Besten beschreibt, durch den Hals bis in mein Herz. Man wird in der Lage sein, mir direkt aus der Lunge Blut abzunehmen und allerlei Tests durchführen können. Das ist doch irre. Was eine Technik. Eigentlich sehr faszinierend, was alles möglich ist. Im Labor angekommen bereiten einige Schwestern und Doktoranden noch alles für mich vor. Ein junger Mann wird das heute zum zweiten Mal miterleben und bekommt zahlreiche Sachen erklärt. Ich bin etwas geschockt… bin ich das Versuchskanninchen? Nein. Bin ich nicht. Er wird entsprechend angeleitet und erfreulicherweise macht der mir bereits bekannte Arzt aus der Ambulanz die Legung.

Das ist vielleicht aufregend hier.

Ärzte in einem Krankenhaus erklären nicht so gerne, sie haben die Krankenschwestern und Assistentinnen, die die Kommunikation mit den Patienten übernehmen, während der Arzt einfach seine Arbeit macht. So füge ich mich also in mein Schicksal, und bekomme netterweise die Hand der Krankenschwester, um den Druck, der sich gleich in meinem Hals aufbauen wird weiterzugeben. Das ist so nett, ich könnte heulen. Auch weil es so unangenehm ist und weil ich mich nicht bewegen darf und weil es doch viel mehr drückt als ich es erwartet habe und es in meinem Ohr so laut ist und weil ich gar nichts tun kann. Ich drücke die Hand, merke die Schleuse, wie sie sich in meinem Hals vortastet und tue mir selbst leid. Alles wird festgeklebt und dann kommt der Katheter in mich rein. Das Geräusch dazu ist ein metallisches Ratschen, direkt in meinem Kopf drin. Ich könnte mich schütteln.

Geht aber nicht. Die Hand der Krankenschwester habe ich mittlerweile los gelassen. Ich habe sie ganz schön zugepresst, die arme Hand. Aber es hat mir zumindest ein bisschen geholfen. Man weiß ja nicht, wie es anders gewesen wäre, aber so hatte ich, trotz der vielen Leute um mich rum, die mich einfach nur betrachtet haben, nicht das Gefühl ganz alleine zu sein. Ich bekomme ständig den Blutdruck gemessen und auch die Sauerstoffsättigung ist immer unter Kontrolle. Ein paar andere Ärzte stehen um mich rum und schauen einfach zu, dann öffnet sich die Tür und ein Chinese erscheint. Auch er schaut einfach nur zu. Ich bin ein bisschen wie eine Attraktion auf dem Präsentierteller. Nach dem Setzen der Schleuse geht der Arzt und die Messungen beginnen. Ich kann meinen Kopf etwas bewegen, starre an die Decke und befolge Anweisungen. Einatmen, ausatmen, flach atmen, Luft anhalten, nicht pressen und so weiter. Unfassbar oft atme ich auf Anweisung, darf nicht sprechen, um die Messungen nicht zu stören und mache einfach, was angesagt ist.

Geht schon

Ich habe vorher ein paar Erkundigungen eingeholt, wie so ein Rechtsherzkatheter so ist und bin wirklich froh, dass alle gesagt haben… „das schafft man schon“. Keiner hat dieses Gefühl erwähnt. Ich glaube auch, dass „man das schafft“, zum sterben ist es nicht, trotzdem ist es ein schreckliches Gefühl mit dieser Schleuse dazuliegen. Ich fühle mich ausgeliefert und hilflos. Außerdem werden keinerlei Ergebnisse erwähnt und selbst wenn, erfolgt keine Interpretation. Ich schwebe also nach wie vor im luftleeren Raum und diese Menschen um mich rum wissen alle mehr als ich. Alle können buchstäblich in mich reinschauen. Unfassbar diese Technik.

Nach rund einer Stunde, in der zahlreiche Messungen durchgeführt wurden, bekomme ich ein Bettfahrrad an das Fußende montiert und soll nun strampeln was das Zeug hält. Man möchte die Messungen jetzt erneut unter Belastung durchführen. Mittlerweile kenne ich meinen Körper wirklich gut und kann ziemlich präzise ansagen, wann die Kurzatmigkeit eintreten wird. Als es soweit ist, wird’s um mich rum wieder voller. Vielleicht waren alle auch die ganze Zeit da, aber eben nicht in meinem Blickwinkel. Jetzt kommen sie alle wieder näher und ich finde, es sieht fast aus wie eine Reisegruppe, die mich fasziniert anstarrt. Für den chinesischen Zuschauer gibt’s Erklärungen auf Englisch, für die deutschen Teilnehmer Anweisungen auf Deutsch. Der Arzt ist Multitasking fähig und ich fahre Fahrrad, japse und habe eine Schleuse in der Halsvene. Das muß auch irgendwie ein Bild für die Götter sein.

Immer wieder Messungen

Als der Belastungsteil vorbei ist, gibt’s noch ein paar wenige Messungen, ich höre einen Kommentar, dass mein Herz ja super aussehen würde, und dann wird’s um meinen Hals wieder trubelig. Ich. muß ein paar Mal tief ein- und ausatmen, so wird erst der Katheter und dann die Schleuse wieder entfernt. Innerlich schüttelt es mich. Rausziehen ist auch bei einer Braunüle für mich immer mindestens so unangenehm, wie reinpieksen. Der Arzt drückt auf meinen Hals, dann übernimmt die Schwester und ich bekomme meine linke Hand entsprechend geführt und die eindeutige Anweisung fest zuzudrücken. Dann darf ich mich aufsetzen und der Spuk ist vorbei. Ich glaube der Arzt denkt, dass ich eine ganz schöne Memme bin. Ich habe mich bemüht, aber schön ist einfach was anderes und es gab ja auch keinen Preis zu gewinnen für das Aushalten von unangenehmen Dingen. Das kratzende Geräusch in meinem Kopf ist immer noch jederzeit abrufbar. Während ich drücke, wird mir auch gleich spontan noch mal schwindlig.

War wohl doch anstrengender für mich, als ursprünglich großspurig angenommen? Obwohl die Blutgasanalyse auch eine vollständige Auslastung bestätigt… und 180 Watt muß man im Liegen mit Schlauch im Hals auch erst mal treten können. Vielleicht denkt er doch nicht, dass ich eine Memme bin? Grundsätzlich muß man hier ja auch eh keinem etwas beweisen. Nachdem ich ein Pflaster bekommen habe, und doch weiter drauf drücke, hilft mir die nette Schwester mit der schmerzenden Hand, mich anzuziehen. Und weil ich mutig bin, frage ich nach, wie so eine Schleuse denn aussieht und wie der Katheter da so durchgeht. Und sie zeigt mir auch ein paar der Messinstrumente aus ihrer Vorführkiste. Also es ist wirklich sehr beeindruckend, was die Medizin alles so kann heutzutage. Ich lebe diesbezüglich ja offenbar vollkommen in der Steinzeit.

Vollkommen!

Die nette junge MTA, die mich vorhin abgeholt hat, bringt mich jetzt wieder zurück in mein Zimmer. Hier muß ich meiner Zimmernachbarin erst mal von diesem Abenteuer erzählen. Sie ist erfreulicherweise sehr nett und verständnisvoll und sie hat den Rechtsherzkatheter auch schon hinter sich und kann meine Gefühle nachempfinden, auch sie empfand die Untersuchung alles andere als angenehm. Dann bin ich doch nicht so eine Memme. Ist ja auch was schönes. Nachdem ich dem Zeugwart mitgeteilt habe, dass ich zurück auf dem Zimmer bin und jetzt erst mal eine Pause brauche, schlafe ich auch tatsächlich ein bisschen ein. Ich war über drei Stunden in dieser Untersuchung.

Die Visite am Nachmittag bringt den ersten Befund, der mir einen Stein vom Herzen fallen lässt. Es konnte keine Pulmonale Hypertonie festgestellt werden, was tatsächlich die beste Nachricht des Tages ist. Warum die sich im Ultraschall gezeigt hat, ist unklar, aber die Ergebnisse des Rechtsherzkatheters zählen und sind eindeutig. Über die Problematik, was meine Kurzatmigkeit hervorruft und ob und wie man sie therapieren kann, spricht morgen früh der Professor mit mir, wenn er Visite macht. Dafür braucht es noch ein paar weitere Auswertungen.

Was eine Erleichterung!