Heutzutage ist die Zeit der deutschen Teilung kaum mehr als eine Geschichte in den Köpfen der Älteren. Und da zähle ich mich absolut dazu. Ich habe als Kind mit meinen Eltern und Großeltern das Geburtshaus meines Vaters besucht und am Ende der Straße ging es nicht weiter. Mein Vater ist mitten in Deutschland geboren. Oder ganz am Ende, vor der Grenze. Es kommt eben auf die Sichtweise an. Ein hoher Zaun, der die Straße ins Nachbardorf einfach unterbrochen hat. Fertig. Als Kind habe ich an den Zaun gefasst und den Grenzpatrouillen der DDR, die im Hubschrauber über uns geflogen sind, gewunken. Ich kannte die Grenze und sie war oft präsent. Das Grenzhus in Schlagsdorf will ich deshalb unbedingt anschauen.
Der Zeugwart hat keine solchen Erinnerungen. Er hatte als Kind keine Berührungspunkte mit der innerdeutschen Grenze. Nur eine Tante, die ab und an davon erzählt hat. Selten und wirklich zugehört hat er ihr auch nicht. Als die Mauer gefallen war und die Grenze geöffnet wurde, hatten wir zu Hause Besuch von einer Tante aus der DDR. Daran kann ich mich auch noch gut erinnern. Vor allem daran, wie sie, wahrscheinlich um meine Mutter zu entlasten, für uns alle gekocht hat. Ich habe in dieser Zeit sehr gerne bei meiner Freundin gegessen. Es hat mir einfach nicht so gut geschmeckt und als Kind ist es dann auch egal, ob es gut gemeint ist, oder nicht.
Wir fahren heute gleich nach dem leckeren Frühstück vom SlowDown Hotel nach Schlagsdorf. Ich glaube zwar nicht, dass hier die Hölle los sein wird, aber am Vormittag ist garantiert noch weniger los, als über Mittag. Mich mit vielen Besuchern durch das Grenzhus zu schieben, klingt nicht sehr verlockend. In meiner Welt ist die Corona Gefahr auch noch nicht vorbei. Von den Bildern auf der Website her ist das Museum nicht sehr groß. Die Beschilderung ist prima und so sind wir nach einer knappen halben Stunde Fahrzeit am Grenzhus in Schlagsdorf und parken ohne Probleme. Auf dem Parkplatz steht ein abgemeldetes Auto und eines vom Grenzhus Café. Das hat allerdings bis Frühjahr 2023 geschlossen. So wird das Auto da wahrscheinlich noch eine Weile dort stehen.
Als wir die Tür zum Grenzhus öffnen, ist das Museum leer. Wir sind alleine und die Dame, die kommt, um den Eintritt zu kassieren, macht auch erst mal ein paar Lichter an. Sie erklärt uns kurz die Dauerausstellung, die Sonderausstellung im Dachgeschoss und dann noch den Weg zum sehenswerten Außengelände. Dann treten der Zeugwart und ich ein in ein wirklich sehenswertes Museum. Wenn man Geschichte irgendwie selbst miterlebt hat und dann eben doch nicht, weil man zu klein gewesen ist, dann ist so ein Museum wirklich super toll. Zumindest mir geht es so. Ich kann auf den ersten beiden Etagen der Dauerausstellung meine Erinnerungslücken auffüllen.
Und natürlich gibt es viele Ereignisse und Themen, die hier behandelt werden, von denen ich heute zum ersten Mal lese oder höre. Das Grenzhus in Schlagsdorf hat neben Bildern und Beschreibungen (in Deutsch und Englisch) auch Tonaufnahmen, Videos, original Ausweise, Durchgangskarten, Schilder und Miniaturen ausgestellt. Besonders die Informationen, wie die Grenze ausgesehen hat, finde ich interessant. Ich kenne schließlich nur die andere Seite der Mauer. Die, an die ich als Kind dran gefasst habe und wo meine Oma mir empfohlen hat, besser nicht dran zupacken. Wie es dahinter aussah, habe ich gelesen, natürlich. Hier im Grenzhus wird die ganze Sache aber viel realer.
Ein Besuch in einem solchen Museum sollte für jeden in Deutschland Pflicht sein. Vor allem für jeden, der sich die DDR zurückwünscht.
Das heißt nicht, dass man dann seine Wünsche ändert. Aber man kann sich nur ganz bewusst etwas wünschen, wenn man wirklich alle Aspekte des Regimes kennt. Das spreche ich einigen ab, die solche Wünsche äußern. Die Dauerausstellung ist einfach super. Toll gemacht, hervorragend beschrieben und dargestellt. Das Bild des geteilten Deutschlands, des Warum und der große Wunsch, der Zusammenführung, wird brillant übermittelt. Komisch, dass diesem Spirit dann gefühlt irgendwann die Luft ausgegangen ist, oder? Da haben es 40 Jahre Teilung geschafft, so große Unterschiede zu generieren, dass man nicht einfach „eins“ werden kann. Ziemlich verrückt.
Die Sonderausstellung, die es derzeit im Grenzhus im Dachgeschoss gibt, dreht sich um Fluchtversuche. Sie erzählt die Geschichte von Menschen, die aus der DDR geflüchtet sind, ob erfolgreich oder nicht. Alleine die Vorstellung, dass man sich in seinem Land so unwohl fühlt, dass eine Flucht eine Lösung darstellen kann, ist mir so fremd, verrückt. Diese Sachlage ist aber in vielen Ländern auf der Welt weiterhin real. Vielleicht muss man nicht unbedingt eine Grenze samt Todesstreifen überwinden, trotzdem ist das eben nur das i-Tüpfelchen. Nach der Sonderausstellung spazieren der Zeugwart und ich noch zum Außengelände.
Hier wurde, nicht im Originalmaßstab, die Grenze nachgebaut. Das ist sehenswert. Ich finde es wirklich interessant, was für ein Aufriss betrieben wurde, die Menschen einzusperren. Umso verrückter finde ich es, dass sich Menschen diesen Zustand zurückwünschen. Hineinschauen kann man in so jemanden eben nicht. Die Außenanlage des Grenzhus in Schlagsdorf ist wirklich gut gestaltet. Hier wird umfassend erklärt und auch, wenn sie natürlich verkleinert dargestellt ist, kann ich mir ein Bild davon machen, wie es hinter der Mauer auf der Straße im Geburtsort meines Vaters damals ausgesehen hat. Beeindruckend schrecklich, was Menschen mit Menschen so machen.