Manchmal betrifft es einen nicht wirklich und doch reißt es einem förmlich den Boden unter den Füßen weg. Manche Themen sind einfach so heftig, dass ich ewig daran zu knabbern habe, obwohl sie mich nicht sonderlich berühren müssten. Ich bin oft gar nicht involviert und habe trotzdem viele Gefühle, die ich nicht abstellen kann. Es geht mir so bei 9/11. Obwohl meine Bekannte dem Terror vor 15 Jahren entkommen konnte, bin ich jedes Jahr betrübt.
Mitgefühl
Ich leide dann richtig mit. Kann mich kaum konzentrieren und bin froh, dass ich einen recht geregelten Tagesablauf habe, der vieles automatisch vorsieht, ohne, dass ich groß darüber nachdenken muß. So ging es mir als mein Arbeitskollege vor einigen Jahren urplötzlich verstorben ist und so geht es mir jetzt erneut. Und ich kann ansonsten wirklich gar nichts tun. Im Moment kann ich noch nicht mal laufen gehen, um meine Gedanken schweifen zu lassen.
Der Vater meiner Freundin ist verstorben. Klar, wir sind tatsächlich in dem Alter, dass das passieren kann. Aber plötzlich und unerwartet ist es trotzdem irgendwie immer. Das wirklich Schlimme, außer dem Tod an sich dabei ist, dass er bei einer Operation, die ihm das Leben retten sollte, verstorben ist. In einem Augenblick der Hoffnung für ihn und seine Familie, hat seine Lunge aufgehört zu atmen. Seine Zeit war gekommen, ohne, dass es jemand ahnen konnte.
Unerwartet
Die Uhr ist abgelaufen. Plötzlich. Keiner konnte wirklich damit rechnen, obwohl jede Operation und jede Narkose natürlich ein Risiko birgt. Manchmal ein Größeres, und manchmal ist es natürlich kleiner. Junge Menschen vertragen alles besser, trotzdem ist es kein Grund für einen älteren Menschen bei einer Operation zu sterben. Eine Operation wird meistens durchgeführt, wenn Hoffnung besteht, Aussicht auf Besserung und dann das.
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Wenn einem die Worte fehlen um seine Traurigkeit und sein Mitgefühl auszudrücken, dann kann man trotzdem nicht still sein. Man möchte helfen, aber es gibt nichts, was man tun kann. Zuhören vielleicht, oder ein paar nette Worte in eine Karte schreiben. Aber was kann trösten, wenn der Vater stirbt?
Mama & Papa
Meinen nenne ich Papa, obwohl ich Ende dreißig bin. Wenn ich zu Hause anrufe, dann melde ich mich bei Mama und Papa. Menschen mit ihren Vornamen gibt es viele (obwohl ich noch nie jemand anderen getroffen habe, aber das muß ein Zufall sein, denn so außergewöhnlich heißen meine Eltern nicht) aber Mama und Papa gibt’s eben nur einmal. Ich bin erwachsen und lebe mein eigenes Leben. Es ist sicherlich schwer für Eltern, ihre Kinder loszulassen und zu akzeptieren, dass nicht alles so läuft, wie man sich das in der Kindheit für sein Kind gewünscht hat… Eltern bleibt man trotzdem.
Und Kind auch. Und sicherlich kann man diskutieren oder Ratschläge geben. Nicht immer sinnvoll, nicht immer kann man damit etwas erreichen und wenn es nur Nachdenken ist. Bestimmt haben Eltern, auch wenn die Kinder schon lange erwachsen sind, vieles schon vorher gewusst oder sich andere Dinge für ihre Kinder gewünscht, aber sie können nicht aus ihrer Haut. Man ist immer Kind und man ist immer Papa oder Mama.
Für immer
Eine Aufgabe für’s Leben. Und jetzt muß meine Freundin ohne ihren Vater klar kommen. Sie führt längst ihr eigenes Leben und hat einen Mann und ein Kind. Sie ist selbstständig. Seit Jahren. Alles läuft natürlich auch ohne ihren Vater, der die Verantwortung für ihr Leben und ihr Glück schon vor Jahren abgegeben hat. Trotzdem wird er fehlen. Unendlich. Er war ihr ganzes Leben lang immer da. Sicherlich mal mehr und mal weniger intensiv, und trotzdem immer. Er hat alle Höhen und Tiefen ihres Lebens miterlebt, Er war ihr am nächsten, zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester und später ihrem Ehemann und jetzt ihrer Tochter.
Man nabelt sich ab und wird erwachsen und trotzdem reißt der Verlust eines Elternteils ein großes Loch. Eines, was man nicht mehr füllen kann. Im erwachsen Alter kann man gut mit fehlenden Puzzleteilen umgehen, viel besser, als als Kind. Ich leide mit, denn ihre Tochter wird ihren Opa niemals kennen lernen. Klar, kann man ihr über ihn erzählen, wie er war, was er gemacht hat und was ihn besonders gemacht hat. Aber das wird niemals das selbe sein. Und meine Freundin wird ihn immer in ihrem Herzen tragen, weil man als Kind seine Eltern niemals vergißt.
Es gibt 4 Kommentare
Liebe Claudi,
Vielen Dank für diese Zeilen. Ich hätte nie gedacht, wie gut es tut, wenn einem liebe Menschen in einer solch schweren Zeit Trost spenden und für mich da sind. Ich danke Dir von Herzen.
Ganz liebe Grüße
Desi
Ehrensache, Desi! :-) Fühl Dich gedrückt!
Liebe Claudi,
ja, das sind traurige Momente!
Ich habe Ende Februar meine Mutter verloren; auch wenn sie 88 war, bedeutete das natürlich einen Einschnitt!
Vieles wird einem besonders bewusst, auch in dem Wissen, bestimmte Zusammenhänge nicht mehr klären und erfragen zu können.
Ich habe sehr lange etwas von ihr gehabt und bin auch dankbar dafür, aber ich kann deinen Beitrag sehr gut nachvollziehen.
Mir tut besonders mein Vater sehr leid, der im hohen Alter, bei vollem Bewusstsein, ohne seine Frau auskommen muss … und dann wohnt er noch weit weg, so dass ich nicht oft besuchen kann.
In der Hoffnung, dass deine Freundin bei ihren Lieben Trost und Rückhalt findet, soviel sie braucht
LG Manfred
Lieber Manfred,
danke für die lieben Worte. Gerade wenn man dann weit weg wohnt, wird einem klar, wie wertvoll gemeinsame Momente sind.
Viele Grüße,
Claudi