Irgendwie kann man ja auch nicht ewig warten, bis einem wieder alles zufliegt. Von nichts, kommt ja bekanntlich nichts und wenn ich es nicht probiere, dann kann ich auch nicht wissen, ob ich es wieder machen kann, oder eben nicht. Mein Knie steckt das Radeln und das flotte Marschieren mittlerweile ganz gut weg. Es ist nach wie vor partiell taub und hinknien geht auch noch nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Beweglichkeit mittlerweile ausreicht, um laufen zu gehen. 
Draußen ist schönes Wetter. Ein paar Wolken am blauen Himmel, die Sonne scheint und es ist nicht eisig kalt. Das ist alles ganz verlockend. Also ziehe ich mir meine Laufsachen an und marschiere los. 1 Minuten gehen, 3-8 Minuten laufen, so empfahl es der Arzt. Anfangs natürlich eher 3 Minuten, ich will austesten, wie sich alles anfühlt. 
Ich laufe ganz locker, unheimlich langsam und mit großem Bedacht, wo ich so hintrete. Nicht dass ich zu allem Überfluss auch noch umknicke oder so. Den Weg kenne ich noch nicht gut. Ich bin neu in der Gegend und konnte die Umgebung noch nicht richtig erkunden. Aber alles ist ausgeschildert, so dass es keine Zweifel gibt. 
Das abwechselnde Laufen und Gehen funktioniert wirklich gut. Ich komme nicht aus der Puste, und habe einen guten Tritt inklusive hervorragendem Puls. Die Laufintervalle verlängere ich deshalb heute auf bis zu 8Minuten. 
Der Weg führt nicht an meiner Unfallstelle aus dem November vorbei. Aber ich kann anders laufen und komme hin. Ob das eine gute Idee ist oder nicht, weiß ich nicht genau. Hinterher ist man eben immer schlauer als vorher. Ich riskiere es, weil mir nach wie vor der Unfallhergang fehlt und ich glaube, dass es gut wäre, zu wissen, was war. Ich laufe den Weg hoch, auf dem ich im November so schwer gestürzt bin und beschließe, dass ich noch ein Weilchen weiter laufe und dann auf dem Rückweg hier, genau an der Unfallstelle, eine Gehpause mache. Vielleicht erinnert sich mein Gehirn zufällig heute an das, was passiert ist? 
Im Frühling sieht der Weg hier hübsch aus. Hier oben stehen auch ein paar Obstbäume… die sind mir bei unserer letzten Radtour nicht aufgefallen. Dann drehe ich um und laufe so, wie wir im November mit den Rädern gefahren sind. An den Baum und die Einfahrt zur Kurve kann ich mich erinnern. Da war die Welt noch in Ordnung. 
Dann sehe ich die Kurve und mir wird ganz schlecht. 
Ich bin wieder da. Genau hier, wo es passiert ist und ich schaue einen Film. Ich zittere. Mein Gehirn spielt mir einen Streich. Ich fahre Fahrrad und bin dick angezogen, weil es kühl ist. Ich sehe den Zeugwart vor mir und fahre absichtlich nicht auf dem breiten Weg, sondern daneben. Immerhin fahren wir mit den Mountainbikes, da muß es nicht immer asphaltiert sein. Mir ist jetzt wirklich nicht gut… alles ist ganz real.
Der Zeugwart fährt schneller als ich, obwohl da doch die Straße kommt. Warum jetzt noch Gas geben? Ich lasse rollen und bremse ab… ich bin sowieso nicht der brillanteste Radfahrer, da muß es unten an der Straße auch keine Vollbremsung sein. Mit dem Vorderrad fahre ich jetzt hoch auf den Asphaltweg. Das Hinterrad schleift an der Wegkante. Mein Rad beginnt zu schlingern. Ich kenne das, vom Aufliegerfahrenüben, da hatte ich dieses Schlingern schon mal, konnte das Rad aber wieder einfangen. Das gelingt mir jetzt nicht. Der Lenker schaukelt sich hoch und ich halte ihn nicht mehr fest. Warum auch immer… ich kriege ihn auch nicht mehr zu fassen und werde förmlich abgeworfen. Und ich denke mir… gleich tut es richtig weh und gleich im Anschluß hoffentlich passiert dem Fahrrad nichts.

Die Kante vom Asphaltweg hat mein Hinterrad gebremst. So scheint es wohl. Das Geräusch höre ich klar und deutlich Mir ist ganz anders jetzt.

Das war ein Film grad, unglaublich. Ich setze mich. Mein Herz pocht mir bis zum Hals. Ein Spaziergänger kommt mit seinem Hund vorbei, als ich mitten auf den Weg sitze und den Baum anstarre, an dem mein Mountainbike lehnte, als ich wieder halbwegs wach war. Der Herr fragt mich, ob ich einen Geist gesehen habe und ob es mir gut geht. Ich wäre sehr blass. Wie nett. Er hätte auch einfach vorbei gehen können. Sein Hund setzt sich neben mich. Einfach so. Er schnuppert nicht oder ist lästig. Er sitzt einfach neben mir und schaut auch den Baum an. Ob er den Film gesehen hat, weiß ich natürlich nicht.

Ich sage dem Herren, dass alles ok ist. Stehe auf, bedanke mich, dass er so nett nachgefragt hat und gehe zittrig in Richtung Strasse. Dann schaue ich mich um. Der Hund sitzt noch immer da, wo ich eben saß. Und im November schon mal gesessen habe. Bis der Mann ihn ruft. Die Beiden gehen in die andere Richtung. Ich starre einfach.

Dann laufe ich zurück nach Hause und behalte meinen Wechsel zwischen Gehen und Laufen bei. Mein Puls wird  nun auch ganz langsam wieder normaler.

Ich brauche manchmal Tage um einen Film zu verarbeiten. Gerade, wenn viel Gewalt darin vorkommt, oder wenn er unglaublich spannend oder herrlich lustig ist. Dann denke ich tagelang daran zurück und erlebe manche Szenen immer wieder, weil sie sich einfach so lohnen.

Die Verarbeitung dieses Films beginnt also jetzt.