Der Zeugwart und ich haben ja Urlaub und den genießen wir in vollen Zügen. Heute allerdings frage ich mich wirklich, ob das auch nur im Entferntesten etwas mit Urlaub zu tun hat, was wir da machen… denn der Wecker klingelt um 3:30h morgens. Das ist, als würden wir selbst beim Ironman World Championship in Kona am Start stehen, tun wir aber nicht. Wir sind noch nie so weit davon entfernt gewesen zu starten, wie in diesem Urlaub. Die Anwesenheit auf Big Island hat mir in den letzten Tagen wirklich die Augen geöffnet.

Es ist ein sehr schwer erträgliches Klima auf dieser Insel, unfassbar heiß, windig, die Luftfeuchtigkeit ist beeindruckend und die Sonne brennt. Für gewöhnlich von Sonnenaufgang, bis Sonnenuntergang. Als wir heute zum Auto laufen, ist es noch stockdunkel und tatsächlich absolut erträgliche 26°C. Es hat die ganze Nacht geschüttet und zwar weitgehend wie aus Eimern. Das Erdgeschoss unseres Hotels steht gute 6cm unter Wasser, auf dem Parkplatz gibt es viele Pfützen und ich bin froh, dass ich meine Regenjacke am Start habe. Der Zeugwart wird heute den Schwimmstart am Pier ansehen und den Wechsel zum Rad fahren, während ich mir die Radstrecke vom Motorrad aus ansehen werde. Als erfahrene Kampfrichterin habe ich heute einen Einsatz um die Weltmeisterschaft eine Idee fairer zu machen.

Kampfrichter Treffpunkt

Treffpunkt für mich ist um 6h, alle Kampfrichter treffen sich mit den Motorradfahrern und wir besprechen noch kurz die Vorgehensweise. Für mich ist das gut, ich habe mit diesem Team natürlich noch nie gearbeitet und jeder Head Referee, bzw. Einsatzleiter, setzt andere Schwerpunkte und weist seine Kampfrichter auch anders ein.

Bei diesem Wettkampf gibt es keine Gnade auf der Radstrecke.

Jeder Athlet hat sich für diese Weltmeisterschaft qualifiziert und sollte deshalb die Regeln erst recht kennen. In den USA vergibt man 5 Minuten Zeitstrafen für Windschattenfahren und Müll außerhalb der festgelegten Zonen entsorgen. Kampfrichter oder generell jemanden beleidigen und Unsportlichkeit führt zur Disqualifikation.

Natürlich habe ich mir das vollständige Regelwerk vorher durchgelesen und habe zusätzlich engen Kontakt mit dem Einsatzleiter gehabt. Manche Situationen erfordern immerhin Fingerspitzengefühl und da wollte ich einfach genauer wissen, wie ich reagieren soll. Alle Kampfrichter sollten einheitlich arbeiten. Es bringt ja nichts, wenn ich etwas durchgehen lasse, und andere diesbezüglich strenger sind. Die Einheit der Kampfrichter muß gegeben sein. Große Gruppen, wie sie bei einem Massenstart erwartet werden, sprengt man am Besten, wenn man sich einige versteckte Täter raussucht und ein Zeichen setzt. Damit sortiert sich so eine Gruppe erfahrungsgemäß erst mal ganz gut. Die restlichen, die daraus nicht lernen, erwischt man meistens später doch. Ich habe ja Augen im Kopf und merke mir dann ein paar Einzelheiten zur Identifikation.

Briefing

Mein Motorradfahrer, Chris, ist ein ehemaliger Polizist. Er hat lange in Chicago gearbeitet und ewig auf Hawai. Wir besprechen, dass ich Hawai Five O cool finde und weil er noch nie beim Triathlon auf einer Radstrecke Motorrad gefahren ist, briefe ich ihn genauer, als ich das sonst mit meinen Motorradfahrern mache, die Erfahrung haben. Mit seiner Yamaha Enduro machen wir uns mit den ersten größeren Gruppen der Altersklassenathleten auf den Weg nach Hawi. Es geht immer nur geradeaus und schon auf den ersten paar Kilometern zücke ich blaue Karten, was das Zeug hält. Unfassbar, diese Athleten haben Platz, sie können tatsächlich fair fahren, aber wenn man 2m hinter einem Hinterrad hängt, obwohl die Regel 12m besagt, dann kann man mir auch mit noch so viel „hab ich nicht gesehen“ kommen.

Ich glaube, die spinnen!

Ich fülle mein Kampfrichter Dokumentationsbuch und überlege zwischendurch mal, wie viele Seiten es wohl hat, wenn das so weitergeht. Die Penalty Zelte auf der Strecke sind prall gefüllt, aber tatsächlich scheint man hier vorbereitet und hat genügend Stoppuhren am Start, die die Athleten abstoppen, so dass ihre 5 Minuten auch genau eingehalten werden. Ein Toilettenstopp kann in dieser Zeit übrigens nicht absolviert werden, ist ja eine Strafe, keine Gelegenheit. Mein Motorradfahrer und ich stoppen zwischendurch einmal an einer Verpflegungsstelle um unsere Wasservorräte aufzufüllen. Auf die Toilette müssen wir beide nicht, wir können gefühlt gar nicht so viel nachschütten, wie wir wahrscheinlich müssten. Ansonsten drehen wir unsere Kreise auf der Radstrecke.

Insgesamt kommen so rund 220km zusammen und zahlreiche blaue Karten für Zeitstrafen. Ein Athlet nennt mich „Motherfucker“, da spreche eine Empfehlung zur Disqualifikation aus. Darüber entscheidet dann der Einsatzleiter. Vielleicht ist der Athlet ja schon bekannt oder im Rennen noch weiter aufgefallen? Die Regeln kennt er auf alle Fälle nicht, wir fahren hier ja keine RTF.

Zuschauen bei der Weltmeisterschaft

Den restlichen Tag verbringen wir mit dem Rumhängen an der Laufstrecke, wir erleben den Zieleinlauf von den Profis und warten natürlich, bis Anne Haug im Ziel ist. Direkt vor meiner Nase passiert der Heiratsantrag, der sicherlich in die Geschichte eingehen wird und ich überlege mir, ob die Frau wohl jemals nein gesagt hätte? So eine Öffentlichkeit macht auch Druck. Es ist heute, trotz Bewölkung am Himmel, unheimlich heiß. Jeder, der hier ins Ziel kommt, ist ein verdienter Ironman und ich kann die Mehrfachtäter wirklich gar nicht verstehen. Einmal, für den Mythos, ok. Und selbst das würde ich mir wirklich gut überlegen, aber mehrfach? Ich bin halt einfach kein richtiger Sportler. Daran muß es liegen.

Heute klatschen wir bis lange nach Einbruch der Dunkelheit unheimlich viele Athleten ins Ziel. Wir rufen gute Wünsche, sind verwundert, wie wenig Straßenbeleuchtung Kailua Kona hat und fahren irgendwann unheimlich geschafft, schrecklich verschwitzt und sehr dreckig heim. Obwohl wir nicht am Start waren, war das ein wirklich sehr anstrengender Urlaubstag. Gut, dass wir noch einen Tag bis zur Abreise haben, den brauche ich unbedingt zur Erholung.