Nachdem ich gestern mein Lauftraining in der Hitze absolviert habe, geht es heute richtig zu Sache. Es ist IRONMAN Sonntag in Frankfurt. Die Rennwoche findet ihren Höhepunkt im heutigen Wettkampf. Ein Wettkampf, auf den die Athleten ganze zwei Jahre lang hingearbeitet haben, denn im letzten Jahr fand das Rennen nicht statt. Lovis und ihr Räuberhauptmann sind gestern schon bei uns angereist, um Walter Mitty, unseren Athleten, zu unterstützen. Es ist heute immerhin sein erster IRONMAN.
Alleine Leistung zeigen
Ganz geheimnisvoll, wie man eben so ist, wenn man Walter Mitty als Spitznamen auf diesem Blog hat, wurde lange Zeit abgestritten, dass eine Langdistanz überhaupt infrage kommt. Und dann hat er sich angemeldet. Das große Ziel vor Augen wurde nun wirklich viel trainiert, lang, ausgiebig und immer unter der Anleitung der Chefin, die sich auch immer Mühe gegeben hat, den Athleten bei Laune zu halten. Durch die langen Trainingstage musste sich Walter Mitty aber natürlich weitgehend alleine durchkämpfen. Im Grunde muss er das heute auch.
Er ist alleine im Wettkampf, da ist er auf sich gestellt.
Es geht heute ausschließlich um ihn und um seine Leistung. Und wir stehen an der Strecke um ihn hoffentlich ein bisschen zu beflügeln. Aber natürlich sind wir nicht überall. Egal, wie viele seiner Freunde heute an der Strecke stehen und mitfiebern, ob er das Ziel auf dem Römerberg in Frankfurt erreichen kann, arbeiten muss er auf der Strecke ganz alleine. Er alleine muss 3,8 km schwimmen, 184 km Rad fahren und dann noch den Marathon obendrauf laufen. Er muss das, was er trainiert hat, heute abrufen.
Rad fahren
1. Radrunde
Unser Tag beginnt früh, aber nicht so früh wie der von Walter Mitty. Wir fahren heute nicht an den See. Unser Weg führt uns direkt nach Sachsenhausen auf einen altbewährten Parkplatz in der Nähe der Laufstrecke. Hier stellen wir das Auto ab und laufen auf die andere Seite des Mains. Die Ignatz-Bubis-Brücke werden wir heute noch ein paar mal laufen, das ahne ich bereits um 7h, als wir vor dem Literaturhaus Stellung beziehen und auf die Profis warten. Heute starten in Frankfurt nur Profimänner und mit denen ist nicht vor 7:25h zu rechnen. Ich schnappe mir also die mitgebrachte Kreide und lege los um die Straße für Walter Mitty etwas zu verschönern.
Der anwesende Polizist sieht die Sache allerdings deutlich anders als ich. Die Straße wird nicht bemalt und ich soll sowieso überhaupt gar nicht auf die Straße drauf. Er lässt keinen Zweifel daran, dass ich nichts weiter auf die Straße bringen darf. Weder darf ich gute Wünsche ergänzen, noch das, was ich angefangen habe vollenden. Er lässt sich auch nicht erweichen und schaut immer mal prüfend auf die Straße um sicherzugehen, dass ich mich an seine Anweisung halte. Das mache ich natürlich, obwohl ich es übertrieben finde. Aber ich glaube, der Polizist hat eh schon einen schweren Job und eigentlich bin ich ihm auch sehr dankbar, dass er das Rennen absichert. Da muss ich ihm nicht mit meiner Kreideaktion kommen.
Lautstärke inklusive
Wir bejubeln die Profis und die Agegrouper, die ihnen gefühlt ganz schön dicht auf den Fersen sind. Der Polizist ist beeindruckt, wie laut wir sein können und als wir erklären, dass Walter Mitty, dessen Nummer hier unvollendet auf der Straße steht, noch gar nicht dabei war, schaut er leicht verdutzt. Lovis versichert ihm glaubhaft, dass wir uns hier erst mal warm machen und, wenn Walter Mitty dann vorbei kommt, vollkommen eskalieren werden.
Sie hat nicht zu viel versprochen. Der Polizist ist deutlich überrascht, dass wir noch lauter sein können.
Laut ist für Lovis und mich kein Problem. Wir tun unser Bestes, dass Walter Mitty genau hört, dass wir hier stehen und nur auf ihn gewartet haben. Wir teilen flott mit, dass wir heute gerne zeitig essen möchten und schon ist Walter Mitty die Hanauer Landstraße hinuntergerast und auch am Zeugwart, der etwas abseits mit der GoPro sitzt, vorbei. Und wir sind wieder deutlich leiser. So kann sich der Polizist auch mal erholen. Nicht auszudenken, wenn die Straße auch noch umfangreich bemalt wäre. Der Polizist würde überhaupt nicht mehr über seine IRONMAN Erfahrung hinweg kommen, da bin ich sicher.
Shoppingerlebnis auf der Expo
So. Jetzt ist Walter Mitty also auf seiner ersten Radrunde und wir sind noch ein bisschen hier am Literaturhaus und feuern die anderen Teilnehmer an. Dann spazieren wir gegen 10h zur Expo und schauen uns dort ein bisschen um. Der Räuberhauptmann leiht sich testweise ein paar Hoka* Schuhe, Lovis lässt sich amerikanisches Bier in Dosen andrehen und ich stürme das IRONMAN Merchandise Zelt und kaufe mir zwei neue Kappen. Nicht, weil ich keine habe, sondern, weil sie einfach richtig toll aussehen. Dann machen wir uns wieder zurück zum Literaturhaus, denn Walter Mitty hat ja gut trainiert und wird laut Tracker nicht mehr lange auf sich warten lassen.
2. Radrunde
Wir sind noch nicht lange zurück am Kopf der Ignatz-Bubis-Brücke und schon wächst unsere Anfeuergruppe um Elastigirl und nur kurze Zeit später schießt auch Walter Mitty heran. Wieder quittieren wir sein Erscheinen mit vollkommener Eskalation. Wir sind laut, klatschen, rufen und hoffen darauf, dass er seine zweite Runde gut hinter sich bringen kann. Fast 90 km liegen noch vor ihm! Schon jetzt hat er all unseren Respekt mehr als verdient. Ich hoffe sehr, dass er das Rennen heute gut heim bringen kann. Nachdem er vorbei gefahren ist, hüpfen wir mal flott an den Main runter zur Laufstrecke und lassen die Profis an uns vorbei rennen.
Beeindruckend, wie man nach so einer Belastung noch so rennen kann.
Dann machen wir Anfeuerer aber erst mal Mittagspause. In der Vergangenheit haben wir die Nahrungsaufnahme oft vernachlässigt und das rächt sich später am Tag auf jeden Fall. Nicht nur bei den Athleten rächt sich ein fehlender Ernährungsfahrplan, auch bei uns Unterstützern kann das so richtig schiefgehen. Bei uns geht heute aber gar nichts schief. Wir essen klimatisiert zum Mittag und machen ein knappes Stündchen Pause. Dabei schmieden wir gemeinsam den Plan für den restlichen Tag. Wir teilen uns auf und wollen, nachdem wir Walter Mitty am Eingang der Wechselzone noch mal mit entsprechendem Lärm versorgt haben, wieder zurück zur Ignatz-Bubis-Brücke.
Laufen
Gelaufen wir beim IRONMAN Frankfurt am Mainufer entlang und dank der Mainbrücken haben wir so die Chance unseren Athleten zweimal auf jeder Runde anzufeuern. Und erfreulicherweise sind wir auch so fit und trainiert, dass wir die Brückenüberquerung gut in der Zeit schaffen, in der Walter Mitty, der trainierte Athlet, die Laufrunde zum Ruderdorf oder nach hinten zur Uniklinik absolviert. Auch als Anfeuerer braucht man eine funktionierende Strategie. Klar, kann man die Sache auch dem Zufall überlassen. Für uns ist es aber schöner, zumindest einen ungefähren Plan zu haben, den wir umsetzen können.
Brücken hin und her
Im durch Walter Mitty vorgegebenen Rhythmus geht’s für uns als gesamte Gruppe oder nur in Teilen also nun immer hin und her. Schon nach dem 3. Mal Brückenquerung kenne ich jede Glasscherbe, die hier in Frankfurt wirklich zu hauf herumliegen. An Glas mangelt es den Frankfurtern anscheinend nicht, da lebt man hier offensichtlich im absoluten Überfluss. Wir setzen unseren Plan wirklich gut um und erwischen Walter Mitty bei jedem Vorbeilaufen. Gleich in seiner ersten Laufrunde, bei der wir auf der Sachsenhäuser Seite in einer mittlerweile weiter angewachsenen Anfeuergruppe Stellung beziehen, wollen wir ihn super motivieren.
Konfettiversuch
Wir sprechen alles ab und Lovis organisiert noch einen Junggesellinnenabschied, damit noch mehr Lärm gemacht wird, als wir eh schon selbst machen. Der Plan ist: der Zeugwart filmt, Lovis zündet eine Konfettikanone und der Junggesellinnenabschied eskaliert. Ich mache dazu ein paar Fotos und alle anderen jubeln so laut wie möglich mit. Leider ist die Konfettikanone anderer Meinung und hat etwas Ladehemmung. Der Effekt ist für Walter Mitty nicht ganz so super, aber ich bin sicher, dass er in jeder weiteren Runde an dieses Schauspiel denken wird, wenn er die Papierschnipsel auf dem Boden liegen sieht.
Und darum geht’s ja im Endeffekt. Ein Marathon ist ziemlich lang und da ist ganz sicher jede Abwechslung absolut willkommen. Und wenn es nur die Erinnerung an diesen lustigen Anfeuerversuch ist, dann haben wir auf jeden Fall was Gutes erreicht. Durchkämpfen muss sich Walter Mitty ja sowieso alleine, aber mit ein paar Anfeuerern an der Strecke wird es ihm hoffentlich leichter fallen.
Für uns wird es mit jeder Laufrunde anstrengender, genau wie für die Athleten auf der Strecke. Mittlerweile haben die Mitanfeuerer mal wieder gewechselt und wir bilden mit Leia, der Eisenfrau, und William Thacker eine Anfeuerungsgemeinschaft. Mit dummen Sprüchen, guten Ratschlägen, motivierenden Worten und jeder Menge Lärm machen wir großartige Stimmung auf der Strecke. Und das, obwohl es heiß ist und wir das Gefühl haben, dass die Luft steht. Die Laufstrecke wird immer leerer. Das ist in nicht- Pandemiejahren natürlich um diese Zeit nicht so. Aber da das Starterfeld deutlich reduziert ist, bleibt das nicht aus.
Volle Laufstrecke
Zwischen die Läufer mischen sich zahlreiche Sonntagsspaziergänger, Rollerfahrer und Sonntagsradler, die keine Ahnung haben, warum die Menschen hier am Rand sitzen und Schilder hochhalten. Und warum die Läufer hier heute Startnummern tragen. Ich glaube, das wird für zahlreiche Diskussionen sorgen. Würde mich zumindest sehr wundern, wenn das nicht der Fall wäre. Ich bin „im Alter“ mittlerweile deutlich ruhiger geworden und sage nichts. Ansonsten wäre ich auch die ganze Zeit nur am Erklären und Laufstrecke frei machen. Dafür ist es auch heute viel zu warm und ich viel zu geschafft.
Letzte Runde
Als Walter Mitty auf seiner letzten Runde vorbei kommt, hat er sogar noch Energie für Späße, und teilt mit, dass er sich das doch überlegt hätte und jetzt aufgeben will. Gut, dass das nur ein Scherz war! Er kam dafür auch viel zu energiegeladen angelaufen, als dass ich ihm das jetzt noch abkaufen würde. Aber ein netter Versuch war es. Wir sind nun genau durchgetaktet, denn unsere Vermutung ist, dass Walter Mitty auf den letzten Kilometern zum Ziel vielleicht sogar noch beschleunigen wird. Wir dürfen jetzt also keine Zeit verlieren und packen gleich zusammen, nachdem er aus unserem Blickfeld verschwunden ist.
Ab ins Ziel
Wir laufen an der Laufstrecke rückwärts und nehmen diesmal die Alte Brücke um den Main zu kreuzen. Dann marschieren wir über die Schöne Aussicht und nehmen eine Umgehung über die Neue Altstadt zum Ziel. Hier sind, trotz dass keiner kommen sollte, ganz schön viele Menschen. Ich trage meine Maske. Auch wenn wir draußen unterwegs sind, hier ist echt viel los und die Maske schadet sicherlich nicht. Am Römerberg angekommen trennen sich unsere Wege. Lovis, der Räuberhauptmann, der Zeugwart und das Schild checken mit der Luca App ein und gehen auf die Tribüne. Ich nutze meine Möglichkeiten und gehe ein Stückchen weiter.
Ein Schild für Dich
Im Zielkanal ist ganz schön was los, ehe auf einmal eine regelrechte Athletenpause startet. Walter Mitty wird in ein paar Minuten erwartet. Netterweise tauschen Anfeuerer mit Lovis, dem Zeugwart und dem Räuberhauptmann den Platz in der ersten Reihe, weil ihr Athlet noch etwas länger brauchen wird, als Walter Mitty. So können sich die drei in der ersten Reihe der Tribüne platzieren. Wie toll von den Unterstützern des anderen Athleten! Lovi’s Schild hängt jetzt über der Bande und damit hervorragend zu sehen. Es ist für die Moderatoren eine willkommene Abwechslung in der Athletenpause. Also nutzen sie die Gelegenheit und fragen Lovis, wann denn gegessen wird. Und natürlich gibt sie gerne Auskunft. Eigentlich ist Abendessen ja so gegen 18:30h, aber Lovis versichert, dass sie heute gerne etwas später essen wird. Das Gespräch hat der Zeugwart in diesem Video zufällig mit drauf, weil man besser zu viel aufnimmt, als den wesentlichen Sachverhalt zu verpassen.
Dein Ziel, Dein Lohn
Ich bin beim Zieleinlauf von Walter Mitty ganz alleine und doch wieder nicht. Alleine mit meinen Gefühlen, die ich im Zaum halten möchte und zusammen in einer großen Gemeinschaft von Freunden, Angehörigen und Kollegen, die alle den ganzen Tag mit ihm mitgefiebert haben. Keiner von uns, außer Elastigirl, hat in den letzten zwei Jahren so viel Unterstützung, Herzblut und Zeit in dieses Projekt reingesteckt, wie er selbst. Also sollten die Beiden diesen Zieleinlauf auch absolut genießen. Ich genieße ihn trotzdem mit und mache ein paar Erinnerungsbilder, die die Schmerzen, die Erschöpfung und das Leid, aber auch die Freude, die Leidenschaft und die Liebe der Beiden füreinander gut zeigen.
Natürlich kann man sich alleine auf einen IRONMAN vorbereiten. Anything is possible, das ist klar. Man braucht keine Unterstützung von Außen. Alles geht auch alleine. Und doch glaube ich, dass die bedingungslose Unterstützung der Familie und des Partners ein großer Erfolgsgarant ist. Wenn der Partner das Vorhaben unterstützt und der Trainer die Trainingseinheiten entsprechend zeitlich plant, dann steht das IRONMAN Projekt auf jeden Fall unter einem besseren Stern. Am Wettkampftag selbst muss trotzdem alles passen. Natürlich. Das ist nicht selbstverständlich. Für Walter Mittty hat heute nicht alles reibungslos funktioniert und sicherlich gab es auch in der langen Vorbereitungsphase einige Tiefpunkte.
Zielgedanken
Walter Mitty’s Projekt IRONMAN Frankfurt geht erschöpft zu Ende. Er ist glücklich und ziemlich fertig. Ich bin ziemlich begeistert, weil er seine Leistung, aller Widrigkeiten zum Trotz, gut abrufen konnte. Die Verpflegung hat gut funktioniert und er ist jetzt ein IRONMAN. Was anderes wollte er heute ja auch gar nicht sein. Bin ich neidisch? Nein. Das bin ich nicht. Ich bin super glücklich und ebenfalls ziemlich erschöpft. Aber ich frage mich während des Rennens öfter mal, wie wohl meine sportliche Karriere weitergegangen wäre, ohne den zweiten schweren Unfall? Hätte ich meinen IRONMAN wie geplant machen können? Wäre ich ins Ziel gelaufen? Wäre ich heute ein alter Hase auf der Langdistanz oder wäre ich bei meinem Versuch gar nicht bis ins Ziel gekommen?
Was wäre passiert, wenn etwas anderes nicht passiert wäre? Diese Gedanken mache ich mir selten, aber in solchen Situationen, die ja gerade während der Pandemie sehr selten sind, da kommen sie hoch. Mein Plan ist, dass ich daraus Motivation für das Training für den IRONMAN 70.3 Duisburg im nächsten Jahr sammle. Einer Situation hinterherzutrauern, die nicht stattfand, oder sich auszumalen was gewesen wäre, wenn, kann einen auch runterziehen. Mein Plan steht: Walter Mitty’s IRONMAN wird mich motivieren.
Wenn doch alles so einfach wäre! Ich gratuliere Walter Mittty zu seinem Finish, stelle sicher, dass er weiß, dass die Medaille und das Finishershirt in der nächsten Woche im Büro vorzuführen sind und dann verabschiede ich mich. Ich treffe Lovis, den Räuberhauptmann und den Zeugwart und wir schmeißen das unterhaltsame Schild feierlich in den Mülleimer. Und dann fahren wir hungrig und geschafft nach Hause.
Eigentlich essen wir nämlich zeitig. Nur heute etwas später.