Nachdem ich es vom Ponton in die Wechselzone geschafft habe, trabe ich zu den Beuteln und versuche mich an den Ablauf zu erinnern. Was mache ich jetzt sinnvollerweise als Erstes? In meiner dösigen, gefühlt schlaflosen, letzten Nacht habe ich diese Situation mehrfach durchgespielt. Also schaue ich erst mal in den Beutel und lege los. Ich schlüpfe in das Startnummernband und trockne mein rechtes Bein ab. Dann mache ich meinen rechten Fuß sauber und beginne meine Bandage anzuziehen. Die sitzt stramm. Das ist immer so, aber natürlich noch mal ein bisschen mehr, wenn das Bein feucht ist. 

Aus meinem Triathlonanzug läuft immer wieder Wasser über mein Bein. Die Anzieherei ist deshalb etwas mühsam. Aber natürlich klappt es, weil es logischerweise immer klappt und die Bandage sitzt gut. Es folgt der Helm, die Sonnenbrille und dann setze ich mich hin, spüle meine Füße ab und ziehe Socken und Schuhe an. Dann laufe ich zu meinem Rad, was als Einziges noch da hängt. Verrückt. Ich habe also so gut schwimmen trainiert und schwimme weiterhin so langsam? Da weiß ich nicht, ob das Schwimmtraining überhaupt weiter stattfinden sollte. Ich mache den Tacho auf meinem Rad fest und schiebe es unter dem Jubel der Zuschauer aus der Wechselzone raus. 

Radstrecke

An der Mountline, wo ich auf mein Rad steigen darf, ist die Hölle los. Meine Freunde feuern mich wieder so laut an, dass ich natürlich keine Chance habe, sie zu überhören. Will ich auch gar nicht. Es ist ein tolles Gefühl, dass sie alle da sind. Ich fahre auf dem Zubringer zur Radrunde und versuche mich an den Plan der Radstrecke zu erinnern, während ich Geschwindigkeit aufnehme und mich auf dem Rädchen irgendwie häuslich einrichte. Auf dem Auflieger fahren habe ich ja ganz gut trainiert, also fahre ich die geraden Stücke der Radstrecke so. Vor den Kurven, die gut einsehbar und / oder frühzeitig angekündigt werden, gehe ich aber hoch und steuere aufrecht. Fair fahren ist für mich überhaupt kein Problem. Obwohl ich für meine Verhältnisse richtig viel Gas gebe und oft über 30 km/h fahre, bin ich anscheinend die Langsamste, die heute hier unterwegs ist und eigentlich immer alleine. 

Ich werde oftmals so schnell überholt, dass ich durch die Geschwindigkeit regelrecht zusammenzucke. Teilweise überholen mich Pulks von Athleten, denen der Wettkampf garantiert nicht so viel Spaß macht, wie mir. Wenn man langsame Radfahrer in 4. Reihe überholen muss, kann das sicherlich ganz schön nerven. Die Straßen in Duisburg könnten an einigen Stellen etwas Teer vertragen, um die Schlaglöcher aufzufüllen, aber ich habe ja Augen im Kopf und fahre einfach drumrum. Radbeherrschung und Radhandling kann ich ganz gut. Ich glaube vor allem, weil ich viel im Wald unterwegs bin und es dort ausgiebig geübt habe. Vor mir zieht ein Polizeimotorrad rein und der Fahrer zeigt an, dass eine Gefahr besteht. Ich bin aufmerksam und nehme Geschwindigkeit raus. 

Das Motorrad hält an und jetzt sehe ich auch die geplatzte Gelflasche, deren scharfkantige Teile überall herumliegen. Ich komme gut drumherum und fahre weiter. Überhaupt liegen hier unheimlich viele Rahmenflaschen, wie ich eine habe, auf der Straße. Und normale Trinkflaschen zähle ich auch locker 20. Ist das so schwierig, Trinkflaschen zurück in ihren Halter zu stecken? Dass sie wegen zu viel Vibrationen hier rausfallen glaube ich nicht. Der Asphalt ist dafür zu glatt. Die Flaschen werden nicht richtig zurückgesteckt und fallen dann eben einfach auf die Straße. Ich beobachte das auch zweimal vor mir und höre das laute Fluchen der Athleten, die nun ohne ihre Verpflegung weiter fahren müssen.

Meine Ernährungsstrategie besteht darin, dass ich die Dextro Energy Gels in meiner Rahmenflasche habe und hinter meinem Sattel eine Flasche mit Iso transportiere. An der Verpflegungsstelle nehme ich noch eine Flasche Wasser auf. Das klappt super und ich trinke nun immer von der Gelflasche und im Anschluss einen Schluck Wasser. Als meine Isoflasche leer ist, schmeiße ich sie an der Verpflegungsstelle weg und treffe sogar den Sammelbehälter. Das muss ich dem Zeugwart erzählen, denn im Werfen bin ich eigentlich keine große Leuchte. Ich nehme eine neue Isoflasche auf. Das rote Gatorade, was hier gereicht wird, schmeckt mir nämlich hervorragend und ich habe es auch schon getestet und gut vertragen. 

Auf der Strecke ist es teilweise ganz schön windig und ich bin froh, als ich auf dem Tacho sehe, dass die Hälfte der Radstrecke gleich geschafft ist. Eigentlich hätte ich den Tacho gar nicht dafür gebraucht, denn als ich in die Nähe des südlichen Wendepunkts komme, eskaliert die Menge. Meine Freunde flippen total aus, auf einem Schild steht „wir essen zeitig“ und ich schaffe es gar nicht, alles so richtig zu realisieren, da bin ich schon astrein um die enge Linkskurve gefahren und in der zweiten Runde. „Wir essen zeitig“ , rufe ich den Athleten immer zu, wenn ich sie anfeuere. Ich glaube, der Spruch kam ursprünglich mal von der Teamchefin? Vielleicht, ich bin mir nicht sicher. 

Ich muss auf jeden Fall ziemlich grinsen, weil ich quasi das zurückbekomme, was ich Walter Mitty, Lovis, Karla Kolumna oder dem Zeugwart bei ihren Wettkämpfen schon mal so mitgegeben habe. Sie mussten sich meinen Wunsch nach Geschwindigkeit, weil wir zeitig essen möchten, sicherlich schon ein paar mal anhören. Was ein Fest ist das hier heute bitte? Ich freue mich einfach sehr auf der zweiten Radrunde. Und ich bin über alles glücklich. Ich kann die Kurven toll nehmen, sehe aber ein paar Athleten, die eher geradeaus fahren, als abzubiegen.  Die Ernährung klappt bei mir hervorragend und ich bin wirklich bemüht ordentlich Druck auf die Pedale zu bringen. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 29 km/h und das finde ich ziemlich flott. 

Als der Zeugwart und ich den Wettkampf so durchgegangen sind, habe ich mit guten 4 Stunden auf der Radstrecke gerechnet und er mit 3,5 Stunden. Wenn ich allerdings so weiterfahre, dann komme ich sogar noch früher vom Rad. Also deutlich früher. Also, das ist doch der Knaller! Ob meine Freunde damit überhaupt rechnen? Sicherlich muss ich mir darüber keine Sorgen machen, denn der Tracker läuft ja garantiert mit, sodass klar ist, dass ich schneller bin, als erwartet. Die letzten Kilometer auf der Radstrecke haben sich noch mehr mit Material gefüllt, als in der ersten Runde. Flaschen zurück in den Halter stecken, scheint wirklich ein Trainingsthema zu sein.  

Ich passiere den südlichen Wendepunkt und fahre dieses Mal geradeaus weiter. Hier stehen mittlerweile auch nur noch deutlich weniger Menschen, als bei meinem ersten Mal. Ich denke, die meisten Zuschauer werden sich an das Radfinish gestellt haben, weil dort auch gleich die Laufstrecke vorbeiführt. So wird es nicht langweilig, was für Zuschauer wirklich ein großer Vorteil ist. Vor mir fährt eine Dame aus Wiesbaden, die so unbeholfen um die Kurven eiert, dass ich ihr „Blickführung“ zurufen möchte. Aber das mache ich natürlich nicht. Ich bin ja kein Coach und auch kein Zeugwart, der diesbezüglich Ahnung hat. Aber sie fährt Kurven wirklich so schlecht, dass es selbst mir auffällt. 

Dann sehe ich den Rad- Zielbogen und kann es gar nicht glauben. Ich bin jetzt tatsächlich schon durch mit der Radstrecke. Die 90 km vergingen, wie im Flug. Die Strecke hier in Duisburg ist wirklich sehr kurzweilig, vor allem durch die vielen Kurven. Ich konnte mich super orientieren und dass ich zwei gleiche Runden gefahren bin, kam mir auch extrem gelegen. Zu wissen, was ungefähr kommt, hilft mir sehr. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, höre ich meine Freunde, die mir alles Mögliche zurufen. Ich muss lachen und beschließe, mir über die Radstrecke dann einfach später Gedanken zu machen. An der Dismountline steht eine sympathische Kampfrichterin, die mir ein „gut gemacht“ sagt und dann laufe ich in die Wechselzone. Traben ist mir mit den Radschuhen unangenehm, also ist es eher ein Watscheln. 

Mein Rädchen hänge ich an seinen Platz und es ist in guter Gesellschaft. Hier ist es schon ordentlich voll und ich bin ganz offensichtlich die Allerletzte in meiner kompletten Reihe, die jetzt erst zurückkommt. Wahnsinn, wie schnell hier anscheinend jeder ist. Ich schnappe mir meinen Garmin und trabe zu den Wechselbeuteln. Dieser Wechsel geht für mich gut doppelt so flott, wie der Erste, weil ich meine Bandage ja bereits angezogen habe. Die rücke ich jetzt aber noch mal gut zurecht. Dann stecke ich mir zwei Gels in die Rückentasche, kontrolliere, dass mein Spray noch da ist, verpacke alles vom Radfahren und hänge meinen Beutel wieder auf. Kaum zu glauben, aber jetzt bin ich tatsächlich auf der Laufstrecke. 

DIE BILDER IN DEN IRONMAN 70.3 DUISBURG WETTKAMPFBERICHTEN HABEN MEINE FREUNDE, INGO KUTSCHE UND DIE FOTOGRAFEN DER FIRMA SPORTOGRAF VON MIR GEMACHT.