In Duisburg verlasse ich die Wechselzone durch einen aufgeblasenen Torbogen und gleich steht ein Kollege dort und macht ein Bild von mir. Ich trabe und versuche nicht zu euphorisch loszusprinten, aber gleichzeitig auch nicht zu lethargisch rumzuschleichen. Schwups bin ich an der Verpflegungsstelle vorbeigelaufen, ohne mich zu verpflegen. Eigentlich sollte ich an jeder Verpflegungsstelle kurz gehen und etwas trinken. Allerdings drückt meine Blase und so denke ich, dass noch was nachschütten jetzt die nächsten Kilometer wahrscheinlich nicht Priorität 1 haben dürfte. Ich trabe über den Kanal, den ich vorhin noch im Wasser durchschwommen habe und laufe einen beflaggten Weg entlang. 

Der führt parallel zum Bike Finish und als ich um eine Linkskurve laufe, eskalieren meine Freunde, als wäre das hier schon der Zieleinlauf. Der ist allerdings noch gute 20 km entfernt. Ich werde mit Anfeuerungsrufen nur so vorangetrieben, als würde ich nie wieder vorbeikommen. Aber natürlich wissen alle, dass ich noch weitere zwei Runden absolvieren muss. Beim IRONMAN 70.3 Duisburg läuft man insgesamt drei Runden, ehe es in der Schauinsland Arena ins Ziel geht. Als Nächstes komme ich an Herbert, einem Einhornluftballon, vorbei, den eine Team Zoot Teamkollegin, die nicht selbst startet, dabei hat. Sie ist so immer super zu sehen… gut zu hören ist sie allerdings ebenfalls. 

Beschaulichkeit im Staub

Auf dem Weg, an der Regattastrecke entlang, wird es zuschauertechnisch etwas ruhiger. Ganz vereinzelt steht hier mal jemand und applaudiert oder ruft etwas Aufmunterndes zu. Ansonsten ist der Weg staubig und geht einfach nur geradeaus. Nach dem Getöse an der Wechselzone finde ich die wenigen Anfeuerer eigentlich gar nicht so verkehrt. An der nächsten Verpflegungsstelle entscheide ich mich für den Toilettengang. Die flüssigen Dextro Gels und die Iso Getränke haben meine Blase offensichtlich gut gefüllt. Ich betrete eine der Dixitoiletten und bin über den Sauberkeitszustand positiv überrascht. 

Aus der Tasche an meinem Rücken nehme ich die Gels raus und das Asthmaspray und lege alles ins Waschbecken. Als ich mich im Dixie so umschaue, sehe ich, dass hier überall Gels rumliegen. Und zwar nicht ausgequetschte Tütchen, die es einfach nicht in den Müll geschafft haben, sondern volle Geltüten. Hier liegt auch noch ein Briefchen Ibuprofen, ein Salbutamolspray und eine Tüte mit Riegeln, Gels und irgendwas Pulverigem. Aber gut. Ich bin ja hier im Wettkampf und nicht in der Dixie – Inventur, also ziehe ich mich wieder an, packe meine Gels und mein Spray wieder gut weg und bin zurück auf der Strecke. 

Der Weg wird jetzt wieder weniger staubig und ich trabe zurück in Richtung Schwimmstart. Langsam, so dass mich praktisch jeder überholt, aber eben auch kontinuierlich, was ich großartig finde. Wie lange ich schon unterwegs bin, weiß ich nicht. Meine Uhr zeigt mir den Kilometerdurchschnitt an und ich schau mal drauf, aber eigentlich laufe ich einfach so, wie ich eben laufe. Madita steht am Rand und ruft mir zu, dass der Tracker mich schon weiter vorne abbildet. Das liegt bestimmt an meiner Dixietoiletten Inventur. Wenn ich über die nächste Matte laufe, dürfte sich das wieder relativiert haben. 

Foto von Ingo Kutsche

Ehe ich zum ersten Mal ins Stadion abbiege, werde ich noch mal kräftig angefeuert und nehme an der Verpflegungsstelle auch mein erstes Gel. Dann biege ich ab und trabe durch den dunklen Tunnel in das vom Sonnenlicht durchflutete Stadion. Der Lärm des Zieleinlaufs ist ohrenbetäubend. Ich trabe einmal um die Ecke und bin auch schon wieder draußen. Ab auf die zweite Laufrunde. Verrückt. Die ersten 7 km habe ich schon. Nur noch 14 km, bis zu meinem eigenen Zieleinlauf. Das ist schon ziemlich wild alles. Ich schaue auf die Uhr und laufe zu schnell. Was keinen Sinn macht, denn zu schnell gibt’s im Wettkampf ja gar nicht. 

Wettkampfpsyche

Aber mein Kopf macht dicht. Nicht, dass ich so weiterlaufe und dann nicht ankomme, weil ich Gehpausen brauche oder gar nicht mehr kann? Was, wenn mein Knie nicht mitmacht? Was, wenn ich bei der Geschwindigkeit gleich keine Luft bekomme auf der staubigen Passage? Jetzt, wo ich das aufschreibe: Alles quatsch. Auf der Strecke aber eine absolut reale Gefahr. Ich gehe. Und das nicht, weil ich nicht mehr kann. Ich gehe, weil Angst habe, vielleicht demnächst nicht mehr zu können. Dann trabe ich wieder an, weil ich doch irgendwie verstehe, dass es quatsch ist. Die Hälfte ist rum und gleich bin ich sogar schon mehr als die Hälfte des Laufpart unterwegs. 

Beim IRONMAN 70.3 Duisburg geht’s zwar eigentlich um Runden, aber mir fällt es im Kopf anscheinend leichter, mit „Hälfte“, „Drittel“ oder „Viertel“ zu rechnen. Da ist wohl jeder anders. Meine Freunde und der Zeugwart tauchen immer wieder an unterschiedlichen Stellen auf und jubeln mir zu. In der zweiten Runde stehen noch mehr Freunde da, als vorher. Aber so richtig wahrnehmen kann ich die Details kaum. Schon erstaunlich, wie fokussiert ich selbst bei meiner unfassbar langsamen Geschwindigkeit so bin. Wie geht es erst den Schnellen? Ich frage den Zeugwart einmal, ob ich denn noch Zeit habe, ins Ziel zu kommen und er sagt, dass das alles gar kein Problem ist. 

Das freut mich. Immerhin kann ich mir die Medaille abholen! Das eigentliche Ziel des Trainings. Prima. Also weiter geht’s. Ich trabe weiter und in der staubigen Wegstrecke liegt ein Glückscent und lächelt mich an. Das kann kein Zufall sein. Er bleibt aber hier liegen, weil ich mich jetzt nicht aus dem Tritt bringen lassen möchte. Mittlerweile stehen immer mehr Finisher am Rand und feuern die, die noch unterwegs sind, mit an. Ich laufe wieder an der Wechselzone vorbei und bin auf einmal in einem Konfettiregen! Wie toll ist das denn? Die coolsten Fans der Welt haben Konfettikanonen mit an die Strecke geschleppt. Der Athlet, der gerade neben mir läuft, sagt „wie geil sind die denn?“ und ich sage ihm, dass es eben die tollsten sind. 

Der Athlet läuft weiter und ich mache eine kurze Gehpause an der Verpflegung und trabe dann auch weiter. Noch einmal die staubige Etappe, den Helfern danke und auf Wiedersehen sagen und dann auch noch mal an der Frau mit dem Power-Up Schild vorbeilaufen. Jetzt kann es auch nicht mehr weit sein. Ein Blick auf die Uhr bestätigt es. Ich habe noch drei Kilometer bis ins Ziel und trabe jetzt irgendwie selig. Das letzte Mal der Schotter, das letzte Mal die Brücke mit dem doch irgendwie fiesen Anstieg und dann das letzte Bändchen abholen. Es sind weiterhin viele Zuschauer an der Strecke. Eine Frau ruft mir zu, dass mein Fanclub schon im Stadion auf mich wartet, sie aber nur noch flott erwähnen möchte, dass zeitig gegessen wird. 

Sie freut sich diebisch darüber und ich muss lachen. Irgendwie scheinen meine Freunde auch ihr den Tag versüßt zu haben. So wird aus einem bitteren Kampf zurück eben doch irgendwie ein paradisisches Schweben. Ganz nebenbei. Ich kann das Ziel schon hören und die letzte Kurve, ehe es ins sonst abgesperrte Stadiongelände geht, sehen. Tatsächlich ist meine dritte Disziplin beim IRONMAN 70.3 Duisburg jetzt gleich vorbei. Die Menschen, die hier in der letzten Kurve stehen, jubeln und schreien, als wenn es das Allerletzte ist, was sie tun können.  Ich lächle, eigentlich so, wie schon die ganze Zeit, über das ganze Gesicht. Nur vielleicht jetzt noch ein kleines bisschen mehr. Habe ich mir eigentlich schon was für den Zieleinlauf überlegt? 

DIE BILDER und das Video IN DEN IRONMAN 70.3 DUISBURG WETTKAMPFBERICHTEN HABEN MEINE FREUNDE, INGO KUTSCHE UND DIE FOTOGRAFEN DER FIRMA SPORTOGRAF VON MIR GEMACHT.