Unfassbar nervös wache ich heute früh nicht auf, zumindest sagt mir das mein Bauchgefühl. Der nervöse Husten und der Frosch sehen die Sache aber total anders. War ja irgendwie klar. Der Zeugwart und ich ziehen uns an und gehen zum Frühstück, das wir nur mit anderen Triathleten einnehmen. Ich glaube, das Hotel öffnet eh nur für Athleten vom Ironman 70.3 Kraichgau, sonst sieht es eher verlassen und leer aus. Egal, für unsere Ansprüche genügt es und so wird gefrühstückt, dann ausgecheckt und das Auto beladen. Eigentlich haben wir jetzt ja nicht mehr viel, denn die Hälfte von dem, was ich mit hergebracht habe, befindet sich ja bereits in den Wechselzonen. Mein Saisonhöhepunkt steht kurz bevor.

Unser Hotel liegt ganz günstig an der späteren Radstrecke, so dass wir es wirklich nicht weit zum See und damit zum Anfang des Geschehens haben. Der Zeugwart parkt wie gestern bereits geübt und ich schnappe mir zwei gefüllte Radflaschen, meinen Neoprenanzug, meinen weißen Beutel und meine Schwimmbrillen samt Badekappen. So sollte ich gut gerüstet sein.

Wechselzone

In der Wechselzone pumpe ich als Erstes mal mein Fahrrad auf 7,5 Bar auf, weil eine Athletin nebenan ihre Pumpe dabei hat. Wie praktisch. Das nenne ich glückliche Fügung! Dann verstaue ich meine Verpflegung am Rad, öffne die Gummibären und die Gels. Ich kontrolliere außerdem noch mal, dass mein Beutel da hängt, wo ich ihn gestern hingehängt hatte und dann marschieren der Zeugwart und ich in Richtung Schwimmstart.

Ich habe noch massig Zeit bis zum Start und wie das wohl so ist, wenn etwas plötzlich und unerwartet passiert. Auf einmal ist der Zeitpunkt gekommen und die Ereignisse überschlagen sich. Erst schlüpfe ich in den Neoprenanzug, der nach wie vor hervorragend paßt. Dann kommen der Flitzer und die Europameisterin auf ihren Fahrrädern vorbei und drücken mich noch mal und dann gibt es einen letzten Tipp vom Zeugwart erst eine Badekappe anzuziehen, dann meine Schwimmbrille und dann die Veranstalterbadekappe drüber zu ziehen, ehe ich einen letzten Vor Kraichgau – Drücker und viel Glück Kuß abstaube und mich zu den anderen pinken Badekappen begebe. Mein Saisonhöhepunkt startet, ich kann es kaum glauben.

Schwimmen

Ich stehe mit zahlreichen Mädels zusammen eingepfercht in einem Gatter und keine ist nervös. Alle haben nach eigener Aussage schon mehrfach Wettkämpfe gemacht und sind alte Hasen auf der 70.3 Distanz. Na bravo. Ich habe mich also gleich bei den Cracks einsortiert. Das ist ja super und wirklich vielversprechend.

Die Profimänner werden auf die Strecke geschickt und kurz danach geht’s auch für die Profidamen los. Dann dürfen wir durch den Schwimmstartbogen und ins Wasser. Ich flute sofort meinen Neo und gehe noch mal ein paar Schritte zurück, damit das Wasser sich gut verteilen kann und unten wieder rausfließt. Dann schwimme ich zur Startlinie und dann geht’s los.

Also ich bin quasi sofort im Rennen. Der Kanonenabfeuerer hat mir nur ein paar Sekunden gegeben zwischen annkommen und weitermachen. Offenbar hat er es eilig? Ich schwimme also. Der Ironman 70.3 Kraichgau, mein Saisonhöhepunkt, hat begonnen und mit ihm hat die lange Vorbereitungszeit auch irgendwie ein Ende gefunden. Interessant, wie schnell alles geht, wenn man erwachsen ist.

Auf einmal bin ich an der ersten Boje, dann an der nächsten und dann tauchen um mich rum grüne Badekappen auf. Keine Frauen. Frauen tragen im Kraichgau pink. Das sind die ersten Männer 50+, die ganz offenbar rasante Schwimmer sind. An der großen eckigen Arenaboje wird es eng und ich weiß jetzt, was mit „Prügelei an der Boje“ gemeint ist. Der See wird hier einmal außen umrundet und während ich mir so überlege, wie es wohl sein wird, wenn ich mit Schwimmen fertig bin, tritt mir jemand mit voller Wucht gegen den Kopf und die Brille vom Auge.

Gute Reflexe

Reflexartig schließe ich glücklicherweise noch rechtzeitig vor dem Wassereinbruch meine Augen, sonst wären die Kontaktlinsen weg und der Wettkampf wegen Blindheit vorbei. Die Brille habe ich aber, dank zeugwartscher Doppelbadekappentechnik, noch und nach einem kurzen Durchschnaufen, schwimme ich weiter. Eigentlich ganz gut, bis mich jemand am Bein abtastet und als er meinen Knöchel zu fassen bekommt daran zieht. Unfassbar! An meiner Fußgröße sieht man doch, dass ich eine Frau bin, umso ätzender, wenn sich ein Mann (und ich bin mir 100% sicher, dass die größe Hand eine Männerhand war!) daran langhangeln und mich womöglich überschwimmen möchte. Das ist doch total unsportlich! Also, weil ich mir das mal irgendwann gemerkt hatte, trete ich jetzt mal richtig aus. Mit beiden Beinen. Und zwar so, dass ich an meiner Ferse den Kieferkontakt deutlich merke. Ich hoffe, dieser Athlet überlegt sich den nächsten Knöchelgrapscher zweimal.

So voller Adrenalin über soviel Unsportlichkeit schwimme ich zum Ausstieg und werde in der Wechselzone von Menschenmassen empfangen, die die Ansage, umziehen im Wechselzelt nicht verstanden haben. Ich schnappe mir also meinen Beutel und laufe ins Wechselzelt, das wir uns zu fünft teilen. Wie bei Jan Frodeno abgeschaut, ziehe ich den Neo aus, Radsachen werden angelegt, alles nasse in den Beutel und schon geht’s mit dem Rad in Richtung Ausgang.

Radstrecke

Radstrecke

Hier komme ich ganz gut in die Gänge und verpflege mich erst mal ordentlich. Die Strecke ist mir von der Streckenbesichtigung noch gut in Erinnerung und so kenne ich markante Punkte und kann mich, als ich sie wieder sehe, auch an viele Häuser erinnern. Das ist schon was wert, denn so weiß ich wenigstens grob, wo ich mich auf der Karte befinde und wo es so langgeht. Plötzlich ruckt es durch mein Fahrrad und ich kann mich gerade noch so an meinem Lenker festhalten. Stoße aber mit ordentlich schwung gegen Oberrohr und mit dem Oberschenkel gegen meinen Lenker.

Einen Sturz kann ich verhindern und als ich mich etwas berappelt habe, fährt die Verursacherin weiter, ohne sich noch mal umzudrehen. Da ist mir doch eine andere Athletin hinten rein gefahren. Tief auf dem Auflieger und nicht nach vorne schauend, kann das natürlich schon mal passieren. Unfassbar, dass sie einfach weiterfährt. Ich prüfe kurz, ob an meinem Fahrrad alles ok ist, ärgere mich, dass ich ihre Startnummer nicht habe und fahre dann weiter. Schaltung funktioniert, also wird es schon passen.

Großartige Anstiege

Ich nehme alle Anstiege mit 10-14km/h und rolle die Abfahrten locker tretend runter, wie geübt. Der Zeugwart erwischt mich in Menzingen, bei Kilometer 30. Ich sehe ihn in  unserem Teamtrikot schon von weitem und winke, damit er mich sieht.

Claudi gives it a TRI - Radstrecke Kraichgau

Es geht mir einfach wunderbar! Zu keiner Zeit habe ich ein ungutes Gefühl, ich genieße die Zuschauer, wenn welche da sind und freue mich über kleine Anfeuergruppen die grillend in ihrer Hofeinfahrt sitzen und für die Radfahrer laute Musik spielen. Die bissigen Stellen der Radstrecke trete ich einfach weg, die fiesen Anstiege belächle ich und ich freue mich an der herrlichen Landschaft und dem Wetter, was hält. Auf dem Rückweg, wieder in Menzingen ist der Zeugwart jetzt fotowirksam umgezogen und schießt gleich noch ein Bild von mir.

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Ich habe tatsächlich beste Laune und komme gut mit der Radstrecke zurecht. Zusätzlich ist, im Gegensatz zu gestern heute leichte Bewölkung und die Sonne scheint immer mal durch. Wettkampfwetter für meinen Saisonhöhepunkt, wie bestellt eben. Gut, dass ich mit Sonnencreme eingeschmiert bin, wahrscheinlich hätte ich sonst jetzt schon einen Sonnenbrand. Als ich die letzte kurze Rampe zur zweiten Wechselzone hochfahre, kommt mir die Radstrecke noch gar nicht fertig vor. Ein letzter Blick auf den Tacho bestätigt mir aber, 90km sind rum. Ich bin da. In 21km habe ich meinen ersten Ironman 70.3 in der Tasche.

Nur noch laufen

Im Wechselzelt herrscht Hochbetrieb, als ich reinkomme. Aber ich finde natürlich einen Platz und schon kann es losgehen. Ich frage nach der Wetterprognose und wie es den Helfern so geht, während ich meine Radschuhe aus und meine Laufschuhe anziehe. Meinen Helm und den Buff nehme ich auch vom Kopf und die Kappe ziehe ich an. Dann noch die Radhandschuhe ausziehen, etwas Verpflegung einpacken und schon bin ich wieder unterwegs. Insgesamt bleibe ich bei unter 5 Minuten für den Wechsel. Der Zeugwart wird zufrieden sein!

Ironman 70.3 Kraichgau

Er erwischt mich mit diesem lustigen Foto, direkt nach dem Wechsel und jetzt geht es zum ersten Mal am Ziel vorbei auf die erste Laufrunde. Laufrunden zählt man hier mit Bändchen und so prüfe ich gleich mal, wie es so um meine Mitathleten steht und wer denn, so wie ich auch, bislang noch kein Bändchen vorzuweisen hat. Urplötzlich fängt mein Knie an zu zwicken. Wir hatten das nicht vereinbart, aber ganz ignorieren kann ich es jetzt auch nicht.

So muß ich leider schneller als erwartet mit den Gehpausen beginnen. Aber da ich zügig marschiere, lohnt es sich jetzt auch nicht, sich zuviel dem Knie zu widmen. Ich werde jetzt auf keinen Fall aufgeben, immerhin bin ich schon wirklich weit gekommen. Ich laufe also immer ein paar Kilometer und mache dann eine längere Gehpause. Und selbstverständlich lege ich die Gehpausen in zuschauerarme Bereiche der Laufstrecke, so dass das Anfeuern meine Knieschmerzen immer noch etwas hinauszögert.

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Eine wunderbare Überraschung ist, dass sich mittlerweile außer dem Flitzer auch Lisabet (während Madita beim 5i50 startet und wegen Gewitterwarnung auf das Schwimmen verzichten muß) und unsere zwei Profischwimmer an der Strecke eingefunden haben. Lisabet war angekündigt und ich freue mich riesig sie zu sehen, die Profischwimmer sind unangekündigt gekommen und so ist die Überraschung groß.

Anfeuerer

Ich muß fast weinen, als ich alle sehe, aber weinen nimmt mir den Atem und so beschließe ich vielleicht später ein Tränchen zu verdrücken. Jetzt wird erst mal gelaufen. Tatsächlich gibt es einige Mitstreiter, die ebenfalls gehen müssen und teilweise sogar wesentlich langsamer marschieren als ich. Von überall her werde ich angefeuert, teilweise rufen die Leute sogar, dass sich die ganze Schinderei gelohnt hat und von zweien kommt eine Nachfrage nach meinem Knie und ob der Zeugwart auch mit Anwesenheit glänzt! Da mir die Anfeuerer gar nicht bekannt vorkommen, müssen das also Blogleser sein, die mich erkannt haben und mietfiebern. Ich freue mich wahnsinnig!

Und ähnlich plötzlich wie es beim Radfahren zur Wechselzone zwei kam, laufe ich jetzt am 18km Schild vorbei und bin baff, dass mein erster Ironman 70.3 tatsächlich bald vorbei sein wird. Mit mir zusammen passiert Enrico das Kilometerschild und wir beide beschließen kurzerhand, dass wir gemeinsam reinlaufen werden, und ganz sicher eine logische Erklärung für Zeugwart und Ehefrau finden. Natürlich laufe ich die letzten Meter hoch erhobenen Hauptes, freue mich noch mal riesig über die vielen Anfeuerer und biege dann tatsächlich neben Enrico in die Finishline ab. Hier ist es zugegebenermaßen etwas verwaist, oder ich nehme gar nichts mehr so richtig wahr?

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Nach 7 Stunden und 11 Minuten ist der Ironman 70.3 Kraichgau für mich also tatsächlich Geschichte. Ich bin wahnsinnig stolz auf die Medaillie die mir ein Kind um den Hals hängt und ich verdrücke tatsächlich ein paar Tränchen, jetzt wo alles vorbei ist.

Fertig

Im Athletengarten bin ich eine von vielen, hole mein T-Shirt ab und suche meinen weißen Beutel. Dann habe ich ein perfektes Timing für die Massage und gehe nach einem Stück Streuselkuchen, einer Brezel und drei Flaschen Wasser und Iso zur Radausgabe. Weil allerdings Madita jetzt gleich auf der Laufstrecke vorbei rennen dürfte, machen wir noch eine kurze Anfeuer Pause, ehe ich mein Rad abhole. Der Zeugwart und ich warten auf sie, während Lisabet schon mal zum Ziel vorgeht um dort gleich ihre Aufnahme zu machen. Und während wir auf Madita warten, kommt Prominenz vorbei…

Claudi gives it a TRI - Run with the Flow

da hat er heute seinen ersten Triathlon machen wollen, und hat dann doch nur einen Duathlon absolvieren können. Wäre er mal besser mit mir gestartet… ich habe ja eine Wettergarantie. Aber das konnte der Gute natürlich nicht wissen. Es war auf jeden Fall sehr schön, ihn mal persönlich kennen zu lernen.

Mit meinem Fahrrad und meinen drei Wettkampfbeuteln laufen der Zeugwart und ich dann zurück zum Auto. Ich bin gespannt wann mein Muskelkater einsetzt, irgendwie habe ich das Gefühl, es beginnt bereits jetzt.

Fazit

Der Ironman 70.3 Kraichgau war ein toller Wettkampf und ein perfekter Saisonhöhepunkt. 1.000 geniale Höhenmeter auf der Radstrecke, von denen mir tatsächlich jeder einzelne gefallen hat, auch abseits des Profirennens, von dem ich tatsächlich gar nichts mitbekommen habe, war ich für die Zuschauer ja immer die wichtigste Athletin im Rennen. Der Hartdsee glänzt nicht mit Weitsicht, dafür aber mit angenehmer Wassertemperatur und guter Wasserqualität. Die Wechselzonen haben eine tolle Größe, so dass man nicht ewig am Laufen ist, aber trotzdem genug Platz in den Gängen hat. Die Laufstrecke ist wirklich wellig, was mit Knieschmerzen jetzt nicht ganz so super ist, aber nur gerade wäre auch langweilig. Man läuft 3 Runden, das schafft eine wahrlich familiäre Verbindung zu den Helfern an den Verpflegungsstellen.

Danke an die Organisation und danke an die vielen freiwilligen Helfer, die meine Ironman 70.3 Premiere zu etwas ganz Besonderem gemacht haben.

Danke an Sebastian von iQ Athletik, der mich, mit was auch immer er dieses Wunder vollbracht hat, fit machen konnte für diese Mitteldistanz. Ich weiß nicht, wie motiviert man als Trainer sein kann um jemanden wie mich auf diese Welle zu bringen! Danke Dir für Deinen Plan, den Durchblick und die Weitsicht!

Danke an meine unsportlichen Freunde und die Sportskanonen gleichermaßen. Was für ein tolles Gefühl, so wunderbare Freunde wie Euch zu haben! Sicherlich ist mancher Grillabend nicht ganz so ausschweifend geworden, wie erwartet, weil das Training mir wichtig war, Ihr habt alle Verständnis gehabt und mich immer ermutigt weiter zu machen. Für Sportler meistens selbstverständlich, für die, die nicht so sportlich sind, wahre Größe. Danke, dass Euch mein Ziel genauso wichtig war, wie mir.

Danke meinem Zeugwart, weil er den nervösen Husten erträgt, mir zehnmal erklärt, wie ich mein Hinterrad ausbauen muß und genau im richtigen Moment was lustiges ruft, damit ich einfach nur so weiterfliege!

Danke, dass Ihr alle an mich geglaubt habt. Wahnsinn, wenn einem klar wird: ANYTHING IS POSSIBLE. Ein wahrlich wahrer Slogan. Zumindest in meinem Fall.