Der Zeugwart und ich wachen heute zu einer total untypischen Hawaii Zeit auf. Weit nach 8h morgens, die Sonne ist längst aufgegangen und, weil wir nachts wegen der Lautstärke die Klimaanlage ausgeschaltet haben, unser Zimmer wird langsam warm. Ich kann mich vor Muskelkater kaum rühren. Nicht nur die Athleten hatten gestern einen anstrengenden Tag, auch die Helfer und Zuschauer wissen heute ganz sicher, was sie getan haben. Wir verbringen die Zeit heute besonders langsam. Irgendwie gehört das auch zu Hawaii dazu, und bisher haben wir das „Hang Loose“ Gefühl und das „sich treiben lassen“ noch nicht besonders gut umgesetzt. Vielleicht braucht man auch einfach einige Tage, bis die europäische Direktheit, die deutsche Pünktlichkeit und die Spannung, die man so Tag ein, Tag aus im Alltag hat, abfallen und unwichtig werden? Wir haben heute genau einen Termin… die Siegerehrung, hier Banquet of Champions genannt, um 18h.

Hang Loose

Ansonsten fliegen wir heute frei in den Tag hinein. Immer durchgeplant, auch in der letzten Woche, ist das heute nicht nur total ungewohnt, sondern auch ziemlich angenehm. Fast jede Erinnerung, jeder Aufbau und alles, was in der letzten Woche langsam in Kailua Kona aufgebaut wurde, um die größte Triathlonparty des Jahres zu gestalten, ist verschwunden. Kaum etwas, außer zahlreiche Menschen in Finishershirts und Leute, die etwas schwerfällig umhergehen, erinnert mehr an das Spektakel, was hier noch gestern abgefeuert wurde.

Da ist das Team hier vor Ort ziemlich magisch. Wie von Zauberhand ist alles verschwunden, jedes Banner, jeder Aufbau, die Zelte… alles weg. Kailua Kona gehört wieder weitestgehend sich selbst, und den Kreuzfahrern, die hier alle paar Tage anlegen und durchgeschleust werden. Der Zeugwart und ich spazieren heute mal ganz ohne Stress, ohne Termine und auch irgendwie ohne Ziel durch den kleinen Ort. Während ich gestern auf der Radstrecke zahlreiche blaue Karten für Zeitstrafen verteilt habe, hat der Zeugwart sich hier schon ein bisschen schlau gemacht und zeigt mir nun ein paar versteckte Ecken, die man wohl nur findet, wenn man Zeit und Muse hat. Ich habe beides meistens nicht und wenn, dann kann ich es nicht nutzen. Umso besser also, dass er die Sache im Griff hat.

Entdecker

Er findet nicht nur tolle Strände, wir machen auch eine sehr kultige Mittagspause im bei Triathleten berühmten Lava Java Restaurant. Eigentlich nur ein kleines Bistro oder Café, mit leckerer Speisekarte und absolut tollem Ausblick. Hier haben, der Legende nach, bereits mehrerere Triathlongrößen gegessen und der Wirt hat deshalb eine eigene Speisekarte für hungrige Athleten aufgesetzt. Tatsächlich sehen der Zeugwart und ich entweder hungrig aus, oder wie Athleten, denn wir bekommen die Speisekarte vorgelegt und essen mit unschlagbarem Ausblick sehr lecker und -wie immer in Amerika- auch ausreichend.

Nachdem wir noch ein bisschen durch die kleinen Geschäfte gebummelt sind und ein Strandpäuschen eingelegt haben, nähern wir uns dem eigentlichen Highlight des heutigen Tages. Obwohl sie erst nach Einbruch der Dunkelheit statt findet, ist die Siegerehrung heute tatsächlich das Highlight des Tages. Gestern sind nicht nur zwei Männer unter 8h geblieben (obwohl man sich an Nummer 2 ganz sicher nicht so lange erinnern wird, wie an Nummer 1), es wurden gleich mehrere Ganz- und Teil- Streckenrekorde geknackt und die Jubiläumsshow hat außerdem den ältesten Ironman Finisher aller Zeiten ins Ziel gebracht. Heute gibt es also etwas zu feiern.

Großes Kino

Mit viel Einführung und Vorstellung der hawaiianischen Kultur, mit traditionellen Begrüßungszeremonien und ein bisschen Geschichte. Die Veranstaltung spring nur 45 Minuten nach Buffetteröffnung direkt in die Vollen. Jede Altersklasse von 18-24 bis hin zu über 80 wird geehrt. Jeweils die Plätze 1- 5 werden auf die Bühne gerufen und bekommen eine Holzschale mit Plakette.  Dazwischen gibt es immer mal eine Geschichte zu einem Teilnehmer oder einen Schwank aus der Triathlonwelt. Hätte man gut noch etwas ausbauen können, aber hinterher ist man ja immer schlauer.

Besonders cool finde ich die Geschichte von Michael Collins. Bei der zweiten Ausgabe des Ironman Hawai, also 1979 war er als 16 jähriger am Start. Seine Eltern haben die Veranstaltung ursprünglich abgehalten. Er damals über 24 Stunden gebraucht. Gestern ist er 8 Stunden schneller als damals ins Ziel gekommen. Das ist doch mal eine krasse Entwicklung. Bob Babbitt erzählt, dass er, als er im Ziel von Geschichten über schlechte Tage hörte, gesagt hat, dass es erst dann ein schlechter Tag ist, wenn der Postbote morgens vor Dir die Zeitung austeilt, während Du noch rennst, in der die Ergebnisse des Rennens drin stehen, mit dem Du noch nicht fertig bist. Denn so war das für ihn, 1979.

Die Profis werden als Top 10 aufgerufen und der jeweilige Sieger darf noch eine Rede halten. Daniela Ryf kostet die Möglichkeit ein bisschen zu sehr aus, Patrick Lange macht es kurz, knackig und auf den Punkt.

Neben mir sitzt übrigens den ganzen Abend ein unzufriedener Finisher von gestern, die Startnummer 700. Zumindest lese ich das noch von seinem Armtattoo ab, was er gestern früh beim „Body Marking“ erhalten hat. Seine Frau ist sehr froh, dass ich ihm mitteile, dass er stolz auf seine Leistung sein soll. Immerhin ist er ins Ziel gekommen, da bringt es nun auch nichts mehr unzufrieden zu sein. Wahrscheinlich muß er noch ein paar Tage weiter darüber nachdenken, dann ist er sich sicherlich seiner Leistung auch bewußt. Jeder, der gestern ins Ziel marschiert ist, ist ein wahrer Held.