Ich vermute, dass der Coach denkt, dass ich eine Maschine bin. Oder, dass ich krass bin und es einfach drauf habe. Auf jeden Fall schaue ich heute früh nach dem Frühstück etwas müde in meinen Trainingsplan und stelle fest, dass ich heute 1:15 Stunden laufen gehen soll. Über eine Stunde? Echt jetzt. Na Prost Neujahr! Was ist denn da beim Coach los? Vermutlich hat er meinen Trainingsplan für heute mit dem eines anderen, viel sportlicheren, Athleten verwechselt? Obwohl der Coach das eigentlich noch nie gemacht hat. Für meinen Neujahrslauf geht es heute also etwas länger raus, als ich das erst angenommen habe. Interessant. Ist das wirklich machbar? 2024 legen der Coach und ich also heute gleich mal eine Richtung fest. 

Ich ziehe mich gleich nach dem Frühstück um. Um diese Uhrzeit wird nämlich am Neujahrstag noch nicht so viel los sein. Hoffe ich zumindest. Immerhin ist ein Neujahrsspaziergang ja für viele Tradition und dann wird es an den schönen Stellen auch flott voll. Für heute ist zwar nicht so tolles Wetter angesagt, aber ich kann mir vorstellen, dass ab 13h die Spaziergänger vor die Hütten treten. Vorher schon wieder da zu sein ist also keine schlechte Sache. Ich packe mir noch was zu trinken ein und trabe dann los. Regen ist für heute keiner angesagt, also spare ich mir die Regenjacke. Dass das naiv ist und keine schlaue Idee, stelle ich natürlich nach gut der Hälfte der Wegstrecke fest. Da beginnt es nämlich richtig schön zu regnen. 

Wo laufe ich denn bloß hin heute? Der Wald ist weiterhin unattraktiv, weil es immer noch stürmisch ist. Außerdem sind die Wege aktuell ganz aufgeweicht, der ganze Wald steht buchstäblich unter Wasser. Ich wähle also asphaltierte Wege über Felder und durch die Siedlungen. Hier windet es natürlich auch ordentlich, aber mir kann wenig auf den Kopf fallen. Und schlammige, rutschige Strecken halten sich auch in Grenzen. Auf dem Asphalt stehen ab und zu Pfützen, aber um die kann ich gut drumrum manövrieren. Das ist kein Problem. Mein Neujahrslauf ist diesbezüglich also in gute Bahnen gelenkt. 

Die gewählte Strecke hält, was ich mir erhofft habe. Es ist überhaupt nichts los und ich trabe hier ganz für mich alleine entlang. Der Wind ist stark, aber auszuhalten und meine vorherigen Abschätzungen, nach welcher Zeit ich an welcher Stelle sein werde, passen auch. Das bedeutet einerseits, dass ich so langsam bin, wie erwartet und andererseits, dass ich Entfernungen eben einfach gut einschätzen kann mittlerweile. Das ist doch auch was wert! Immer, wenn ich nach langer Zeit mal wieder irgendwo langlaufe, brauche ich praktisch keine Ablenkung. Die Gegend zu betrachten ist dann immer ganz schön und Ablenkung genug. 

Durch die Siedlungen und durchs Dorf hinweg fallen mir natürlich die Müllberge auf, die die Silvesternacht hinterlassen hat. So knapp kann das Geld gar nicht sitzen, wenn ich mir die Feuerwerksreste so ansehe. Auch spannend, dass wir hier ja alle direkt am Naturschutzgebiet und am Wald wohnen, die Böllerreste aber darauf schließen lassen, dass Naturschutz an Silvester gerade nichts zur Sache tut. Naturschutz ist nur ein Thema von vielen, was hauptsächlich dann bemängelt wird, wenn es einen selbst nicht betrifft oder wenn es eben gerade mal nicht unbequem ist. Während ich hier bei meinem Neujahrslauf also die Müllberge betrachte und feststelle, dass auch ansonsten jede Menge Müll in der Natur rumliegt, vergeht die Zeit wirklich wie im Flug. 

Der Coach hat sich also nicht getäuscht. Ich absolviere die Trainingszeit und lebe noch. Wie schön ist das bitte? Eben. Ganz hervorragend! Und für morgen in der Mittagspause habe ich auch gleich eine Outdooraktivität aufgetan. Da werde ich mal mit meiner Mülltüte losmarschieren und die Natur vom Müll befreien. Und zwar nicht vom Silvesterknallermüll, sondern von Kippen, Zigarettenpäckchen und Flaschen. Davon liegen hier nämlich auch jede Menge rum. Und da es morgen Dauerregen geben soll werden mir da sicherlich ähnlich wenig Menschen begegnen, wie heute.