Ist ein Halbmarathon überhaupt schaffbar? Ja. Ist er. Ich bin gemeldet, und gehe deshalb auf jeden Fall an den Start. Der Coach und alle um mich rum sind sich sehr sicher, dass der Dämmerhalbmarathon in Mannheim eine gute Idee ist. Nachdem wir gestern gut in Mannheim angekommen sind und den Tag gemeinsam mit den Vereinsmädels Madita und Lisabet sowie Lovis und ihrem Räuberhauptmann verbracht haben, spazieren wir gute zwei Stunden vor dem Start alle zusammen vom Hotel los und treffen als Erstes auf eine Polizeiabsperrung. Allerdings ist die Polizei ganz entspannt und sagt, dass wir da ruhig durchgehen können, weil wir ja Läufer sind. Und sie sperren hier ja für die Läufer ab. Vor der Beutelabgabe nehme ich mein Vorstartgel und mein Asthmaspray noch in die Hand und dann sitzen wir eine ganze Weile auf der Treppe im Rosengarten. 

Startunterlagen

Hier waren wir heute Mittag schon mal, als wir die Startunterlagen abgeholt haben. Meine Startunterlagen habe ich blitzschnell bekommen, weil wir da ein wunderbares Timing hatten. Es war gar nichts los. Der Räuberhauptmann und die Vereinsmädels haben sich noch ein Finishershirt gekauft und dann wollten wir über die Messe spazieren. Die es allerdings nicht gab. Der Dämmermarathon in Mannheim bietet dieses Jahr keine Messe. Das ist wirklich eine sehr komische Sache. Hängt bestimmt mit Corona zusammen, zumindest ist das meine Vermutung. Ein Lauf ohne Messe ist eine Coronafolge, die ich total ätzend finde. Abseits dieser gesamten Pandemie also noch zusätzlich. 

Im Rosengarten auf der Treppe gehen mir vor dem Start allerlei Gedanken durch den Kopf, während sich um uns herum immer mehr Läufer einfinden und sich auch die Pacemaker langsam in Schale werfen, nur um dann gleich von zahlreichen Läufern umgarnt zu werden. Einen Pacemaker brauche ich heute nicht. Ich habe meinen Plan genau im Kopf. Meine Uhr ist geladen und ich mache das einfach genau, wie mit dem Coach besprochen. Der Räuberhauptmann und die Vereinsmädels stellen sich dann zeitig in ihre Marathon-Startaufstellung und nach dem Start sehe ich sie dann auch noch beim ersten Kilometer, ehe ich mich selbst in meine Startaufstellung begebe. 

Mein Halbmarathonstart

Irgendwie ist mir komisch zumute. So viele Menschen auf engem Raum in der Startaufstellung. Das wirkt während dieser weiter andauernden Pandemie nicht richtig. Ich stehe ja ziemlich weit hinten und halte deshalb zu den Läufern um mich herum so gut Abstand, wie es eben möglich ist. Die Veranstalter schleusen meine Startgruppe zum Startbogen vor und ich habe einen Kloß im Hals. Als ich über die Startlinie renne, schießen mir die Tränen in die Augen. Na, das kann ja über die Strecke hinweg was geben, wenn ich jetzt die ganze Zeit weinen muss. Vor allem, weil das Atmen ja bei mir ein besonderes Thema ist. 

Die Läufermasse stockt auf den ersten Engstellen und ich laufe genau meine Geschwindigkeit, wie der Coach sie mir empfohlen hat. Klar, muss ich immer mal justieren, aber im Großen und Ganzen passt das alles super. Nach 2 km sehe ich Lovis und den Zeugwart, die am Rand vollkommen eskalieren. Und dann laufe ich an dem Polizisten von vorhin vorbei, der mir viel Spaß wünscht und sich an mich erinnert, weil wir als ordentliche Hessen ja die Absperrung umgehen wollten. Großartig. Ich laufe immer noch die perfekte Geschwindigkeit und hänge an zwei anderen Läufern dran. Allerdings kann ich schneller laufen und bin trotzdem noch im Rahmen und die Läufer werden langsamer. Ich laufe vorbei. 

Von hinten kommen permanent Bike & Run Athleten, die sich durch das immer noch recht dichte Läuferfeld durcharbeiten. Das ist gefährlich. Wo kommen die denn jetzt her? Anscheinend müssen sie mehr oder weniger zusammenbleiben, aber da, wo ein Läufer durchrennen kann, kommt man mit einem Fahrrad eben nicht unbedingt unfallfrei durch. Die zeitliche Abfolge der Starts könnte man wirklich mal überdenken, finde ich. Aber gut. Ich mache solche Pläne ja nicht. Also konzentriere ich mich wieder darauf, warum ich hier bin. Ich laufe einfach. Und überhole das nächste Läuferpärchen. 

Hinter denen ordne ich mich wieder ein und schaue immer mal wieder auf meine Uhr. Die Anzeige im Display zeigt mir die aktuelle Geschwindigkeit, die Entfernung, die ich bereits gelaufen und die Gesamtzeit, die ich unterwegs bin. Die Läufer sind mir ein bisschen zu langsam, also laufe ich wieder vorbei und zack, schon bin ich an der Verpflegungsstelle, an der sich Henning als Anfeuerer angekündigt hatte. Und wir erkennen uns. Henning macht ein paar Bilder und begleitet mich durch die Verpflegungsstelle. Dann laufe ich alleine weiter und die Strecke führt am Feld entlang. 

Hier stelle ich es mir für die Marathonläufer später ganz schön dunkel vor. Aber von einer Stirnlampe stand in der Beschreibung nichts. Die Strecke führt nach Seckenheim und hier steppt der Bär auf ganzer Linie. Alle Anwohner sorgen dafür, dass hier richtig großartige Stimmung herrscht. In der Beschreibung der Strecke ist von „lebendigem Treiben“ die Rede und dem kann ich wirklich nur zustimmen. Beeindruckend, wie viel Spaß das Anfeuern hier den Leuten macht. Ich höre meinen Namen ständig von allen Seiten, jeder feiert und ich habe eine ganz wunderbare Zeit. 

Ich laufe und laufe und überhole immer weiter. Gefühlt geht es die ganze Zeit Berg ab. Nach der nächsten Ecke laufen wir schnurgerade auf den Fernsehturm zu, der im Sonnenuntergang richtig toll aussieht. Die Strecke führt eine ganze Weile auf den Fernsehturm zu und ich überlege mehr als einmal, ob es sich nicht einfach total lohnen würde, für ein Foto anzuhalten. Allerdings laufe ich ja einen Halbmarathon und da machen andere die Bilder, denn ich bin zum Laufen hier. Urplötzlich bin ich am Fernsehturm angekommen, genieße die Band und trinke einen Schluck an der Verpflegungsstelle. 

Jetzt wird es wieder trubeliger an der Strecke, wo es die ganze Zeit recht einsam war. Es ist mittlerweile so dunkel, dass ich die Uhr nicht mehr ablesen kann. Aber weil am Rand das 18 Kilometer Schild steht, beschließe ich, dass ich nach Gefühl einfach etwas schneller laufe. Die komplette zweite Hälfte habe ich anscheinend einfach verpasst. Wie verrückt. Ich laufe in die Stadt und sehe den Zeugwart am Rand stehen. Wie schön es ist, ihn zu sehen und wie beflügelt ich auf die letzte kleine Runde am Wasserturm vorbei durch die Innenstadt laufe. Hier fangen einige Läufer, um mich herum an, zu gehen. Immer, wenn ich an ihnen vorbei laufe sage ich „komm mit“ und tatsächlich laufen einige wieder an und wir laufen gemeinsam. 

Es ist jetzt ja auch wirklich nicht mehr weit. Wenn man in Mannheim beim Halbmarathon den Wasserturm im Blick hat, dann läuft man nur noch einmal drumherum und dann geht’s ab ins Ziel. Auf den letzten Metern feiert mich Lovis, als würde ich gerade gewinnen, und irgendwie hat sie da ja auch recht. Die Uhr im Zielbogen zeigt 2 Stunden und 51 Minuten und ich laufe einfach unter dem Zielbogen durch. Und dann breche ich in Tränen aus. Ich habe es tatsächlich geschafft und bin einfach so durchs Ziel gelaufen. Einem Läufer, der weint, gibt man in Mannheim nicht so schnell eine Medaille. Ich laufe an einigen Helfern vorbei, bis mir ein Mann die Medaille umhängt und sagt, dass ich das offensichtlich ziemlich gut gemacht habe. 

Ich habe Durst und frage mich bei anderen Läufern durch, wo es denn etwas zu trinken gibt. Der Weg durch die Zielverpflegung ist ziemlich lang. Nach Iso, Wasser und Cola setze ich mich am Ende auf eine Bank und rufe den Zeugwart an. Nachdem ich meinen Beutel abgeholt habe, gehen wir an die Strecke und feuern die Marathonläufer an. Der Räuberhauptmann bringt seinen ersten Marathon ins Ziel und die Vereinsmädels laufen sogar mit Zielsprint ein. Wir sind erst nach 1h zurück im Hotel und die Dusche tut wirklich sehr gut. 

Fazit

Ich bin schon viele Halbmarathons gelaufen. Allerdings habe ich mich tatsächlich bei keinem so gut gefühlt, wie bei diesem. Nicht ein einziges Mal an eine Gehpause zu denken, war für mich vollkommen neu. Gezielte Verpflegungs-Gehpausen einzulegen, um Energie zuzuführen, war auch neu und hat super geklappt. Ich bin der besprochenen Strategie gefolgt und habe einfach daran festgehalten. Das war wirklich richtig prima. Das Klima war für meine Lunge perfekt und ich musste mein Spray kein weiteres Mal nutzen. So gut vorbereitet zu laufen ist wirklich prima. Ich bin geschafft und sehr zufrieden nach 2:27 Stunden ins Ziel eingelaufen. 

Hinweise an den Veranstalter

  • Schön wäre eine vollumfängliche Veranstaltung gewesen, mit Messe und Einkaufsmöglichkeiten. Ich hoffe sehr, dass die Messemöglichkeiten zurückkommen. 
  • Und ebenfalls schön wäre es gewesen, wenn die Bike & Run Veranstaltung nicht nach dem Halbmarathon gestartet wäre und das Läuferfeld nicht durch viel schnellere Radfahrer in Gefahr gebracht würde. Wer sich das ausgedacht hat, sollte die Abfolge für die nächste Veranstaltung dringend überdenken! 
  • Dass jeder die gleiche Medaille bekommen hat, gleich ob Halbmarathon oder Marathon finde ich ungewöhnlich.
  • Vielleicht wäre es auch eine Möglichkeit, die Security ordentlich einzuweisen. Einen Übergang nur einseitig zu öffnen, damit man als Zuschauer dann mitten im Zielkanal steht, macht wirklich überhaupt keinen Sinn. Und sich dann als Zuschauer über einen hilflosen Securitymitarbeiter hinwegzusetzen, kann auch nicht gewünscht sein. Die Zuschauer über den Zielbogen auf die Strecke zu schicken, kann auch nicht die Einweisung gewesen sein.