Mein Nachmittagstermin ging tatsächlich ziemlich lange. Ich will es heute trotzdem mit dem Schwimmbad probieren. Deshalb schlüpfe ich auf der Arbeit in meinen Badeanzug und stopfe meine Unterwäsche in den Arbeitsrucksack. Am Auto, so denke ich mir, kann ich die Unterwäsche dann in den Schwimmrucksack packen, um sie dann wieder zum Umziehen zu haben, wenn ich aus dem Schwimmbad komme. Der Verkehr kommt meinen Schwimmbadplänen gelegen und so bin ich rechtzeitig dort, um noch mindestens 1,5 Stunden Zeit zum Schwimmen, bis zur Schließung zu haben. 

Planung ist das halbe Leben

Das Leben eines Triathleten, oder vermutlich jedes Sportlers, besteht hauptsächlich aus Planung. Zumindest ist das mein Gefühl. Meistens rechne ich dabei rückwärts. Ich weiß also, wann ich spätestens aus dem Schwimmbad raus sein muss. Dann rechnen ich, wie viel Zeit mit das Umziehen, die Dusche nach dem Training, das Training an sich plus die Wegezeit so kostet und dann weiß ich auch irgendwann, dass ich das alles schaffe, oder eben zu spät bin. Dann kann ich zumindest noch entscheiden, ob ich kürzer schwimme, oder ob ich es gar nicht mehr ins Wasser schaffen kann. Manchmal sind 45 Minuten Mittwochs schwimmen ja deutlich effektiver, als 60 Minuten an einem Freitag. Das muss man immer bedenken. 

Natürlich vergesse ich die Unterwäsche in meinen Schwimmrucksack zu packen. War irgendwie klar. Ich habe auch vergessen, mir auf der Arbeit die Kontaktlinsen einzusetzen. Die hatte ich extra dabei, denn im Schwimmbecken sehe ich natürlich mit Kontaktlinsen deutlich mehr, als ohne. Heute fühle ich mich also in die Zeit vor den Linsen zurückversetzt. Ich spaziere mit Brille in die Dusche und dann auch mit Brille zum Becken. Wie nervig. Natürlich geht das deutlich besser. Warum nur vergesse ich solche Sachen einfach? Manchmal bin ich mit meinem Kopf anscheinend nicht da, wo ich sein sollte? 

Wie es sich für einen Schwimmbad-Mittwoch gehört, ist heute wenig los im Becken. Ich schwimme einen Trainingsplan vom Coach und merke, dass ich nicht so fit bin, wie ich es gerne hätte. Wahrscheinlich war das morgendliche Lauftraining eben doch anstrengender, als ich es wahrhaben will? Oder ich habe einfach einen unfitten Mittwochabend. So was soll es ja auch geben. Mein Trainingsplan ist umfangreich heute, aber er verliert sofort an Bedeutung, als ich am Beckenrand von Flossen zu Paddles wechsle und mir ein Anruf auf meiner Uhr angezeigt wird. Ein Anruf, der so ungewöhnlich ist, dass ich sofort weiß, dass es schlechte Nachrichten gibt. 

Sehr schlechte Nachrichten. 

Hätte ich Boden unter den Füßen und kein Wasser, dann würde es mir den kurz wegziehen. Ich kann natürlich nicht ans Telefon gehen, aber ich weiß trotzdem genau, um was es geht. Das ist schrecklich und gut zugleich. Schrecklich, weil eine Nachricht, dass jemand gestorben ist, immer schlimm ist. Egal, wie alt, egal wie jung, egal wie erwartet oder krank die Person gewesen ist. Und gut, weil der Tod auch eine Erlösung sein kann. Für den Sterbenden und für die Angehörigen auch. Aber das ist leicht gesagt und klingt hauptsächlich gut. Auf den Tod kann man sich nicht vorbereiten, auch wenn das viele Leute sagen. Bei mir geht das nicht. Es hat noch nie geklappt und es sind schon einige Menschen gestorben, die ich mochte und die mir wichtig gewesen sind. Selbst, wenn eine Krankheit noch so schlimm und lebensverkürzend ist, so ist die Endgültigkeit des Todes trotzdem immer überraschend.

Und wenn der Tod als Erlösung für den Sterbenden gesehen wird, weil eine lange, furchtbare Krankheit nun endlich keine Qual und kein Leid mehr verursacht, so ist die Person eben dann trotzdem einfach weg. Ich denke da schrecklich egoistisch und ich weiß das auch. Aber die nächsten Meter hier im Becken verbringe ich damit, was ich jetzt alles nicht mehr fragen kann, was ich vermisse und was mir fehlen wird. Ich tue mir hauptsächlich selbst leid, wie ich hier so schwimme. Und die engsten Angehörigen tun mir auch leid. Vor allem, weil man kaum Trost spenden kann. Was tröstet denn bitte, wenn jemand gestorben ist? 

Es ist nur die Zeit, die einen weitermachen lässt. Jede Minute, in der die Person nicht mehr lebt, verbringt man ja nun alleine. Man schnürt sich sein Erinnerungspäckchen. Viele Gedanken drehen sich nur um den Verstorbenen. Da kommt man einfach nicht drumherum. Nicht jede Minute wird gedacht und natürlich gibt es auch fröhliche Momente, aber erlaubt man sich die Fröhlichkeit? Unbedingt. Kein Verstorbener würde wollen, dass die Angehörigen einfach immer traurig sind. Die Zeit wird das Gefühl richten, auch wenn es in der Zeit, wo der Tod ganz präsent ist, kaum vorstellbar erscheint. 

Der Anruf wird als verpasst auf meinem Uhrdisplay angezeigt, als ich aus dem Becken steige und die Uhr stoppe. Ich setze meine Brille wieder auf und gehe in die Dusche. Hier sieht es unfassbar ordentlich aus. Das ist kein Vergleich zu meinen Freitagseindrücken, wo es in der Dusche oft wie auf einem Shampoo-Haare-Handtuch- Schlachtfeld aussieht. Ich treffe keinen auf dem Weg zurück zur Umkleide, ziehe mich an und vermisse natürlich die Unterwäsche. Klar. Die ist ja weiterhin im Arbeitsrucksack direkt neben meinen Kontaktlinsen. Egal. Ich spaziere nachdenklich zum Auto.

Auf dem Weg rufe ich zurück, aber jetzt, über eine Stunde später, klingelt es durch. Die schlechte Nachricht kenne ich ja eh. Ich melde mich einfach morgen. Jemand, der gestorben ist, ist ja nun sowieso für immer tot. Der Verlust ist morgen noch genauso groß, wie heute. Und den Angehörigen kann ich den schlimmen Verlust auch leider so gar nicht schönreden. Eine wunderbare, liebenswerte, großherzige Person ist einfach nicht mehr da. Welche Worte sollen denn da trösten?